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Gelingendes Leben und Musik

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Zu den Jahrestagungen 2017 und 2018
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Die Gesellschaft für Musikpädagogik widmet sich auf ihren beiden Jahrestagungen 2017 und 2018 dem Thema „Gelingendes Leben und Musik“. Die erste Tagung, die am 4. März in Leipzig stattgefunden hat, war als nicht-öffentliche Arbeitstagung angelegt. Ihr Ziel lag darin, den Austausch und die Interaktion zwischen den Teilnehmenden und ihren Themen zu fördern. 13 Referentinnen und Referenten fanden sich ein, die miteinander – moderiert durch die Vorstandsmitglieder – ihre Entwürfe und Ideen diskutierten.

Die vorgestellten Exposés erwiesen sich als äußerst vielfältig, und die Diskussionen eröffneten darüber hinaus ein weites Feld an Fragestellungen und vielfältige Strategien der Annäherung. Im Neben-, Mit- und Gegeneinander der Entwürfe traten manche Begriffe wiederholt in den Vordergrund, so dass geplant ist, die zweite Tagung entlang dreier begrifflicher Felder zu konzipieren. Die folgende Darstellung unternimmt den Versuch, die diskutierten Entwürfe diesen Feldern zuzuordnen. Inwieweit diese Zuordnungen im Prozess der Ausarbeitung tragfähig bleiben oder ob sich andere Konstellationen und Schwerpunkte herausstellen, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht absehen. (Die in Klammern angegebenen Namen bezeichnen die Autorinnen und Autoren der Exposés, deren Ideen in dem jeweiligen Abschnitt zusammengefasst werden.)

Diversität/Identität
(Katharina Bradler, Theresa Etzold, Andreas Kloth, Malte Sachsse, Peter W. Schatt)

Erfahrung von Diversität spielt im Bereich Musik eine besondere Rolle, weil Musik oft als ein Mittel der Identitätsdarstellung dient. Umso dringlicher stellt sich die musikpädagogische Aufgabe, mit diesem Problemfeld umzugehen und sensibel für kulturell heterogen zusammengesetzte Zielgruppen zu sein. Da Anerkennung als eine Voraussetzung für gelingendes Leben betrachtet werden kann,  müssen sich Lehrende der Aufgabe stellen, Situationen zu schaffen, in denen sich Schüler im Rahmen eines Anerkennungsgefüges bilden und ihre Identität entwickeln können. 

Bezogen auf Musik gilt es, sie darin zu unterstützen, Kontingenz und Widersprüche auszuhalten und fähig zu werden, eine eigene Position  zu erarbeiten und zu vertreten. Insbesondere Bildungsinstitutionen mit interkulturellem Kontext, wie zum Beispiel deutsche Auslandsschulen, bieten unter diesem Aspekt einen aufschlussreichen Untersuchungsgegenstand.  Zu dem Stichwort „Umgang mit Heterogenität“ gibt es mittlerweile eine ausdifferenzierte Praxisliteratur, deren systematische Aufarbeitung ein Desiderat darstellt. Sie könnte einen Überblick über den Stand der Diskussion sowie auch  über die Vielfalt gegenwärtiger Konzepte bieten.

Doch nicht nur pädagogisch gerahmte Situationen wie schulischer  Musikunterricht oder Instrumentalunterricht geben Anstöße und Gelegenheit zur Aushandlung und Ausprägung (musikalischer) Identität. Normative Aushandlungsprozesse können auch in den virtuellen Räumen des Internet angeregt und geführt werden. Zum Beispiel werden in Musikblogs Sinn- und Bedeutungszuweisungen vorgenommen und je nach Anlage der Plattform den Nutzern Gelegenheiten zu partizipativer Verhandlung musikalischer Normen und Wertzuschreibungen gegeben. Diesem Bereich medialer Inszenierungen sollte im Hinblick auf den Zusammenhang von Menschenbild und Musikbegriff mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden, hat er doch möglicherweise einen großen Einfluss auf das musikalische Selbstverständnis von Jugendlichen.

Teilhabe
(Daniela Bartels, Nazfar Hadji, Andreas Höftmann)

Die Frage der Teilhabe ist für den Sinn, den Platon in den Nomoi der Musik zuweist, von zentraler Bedeutung. Teilhabe an der Vernunftordnung, die göttlichen Ursprungs ist, darin liegt das Ziel und das Glück der Gemeinschaft. Der Musik kommt die Funktion zu, die göttliche Ordnung abzubilden. In ihrer festlichen Darbietung trägt sie zur Konsolidierung der gemeinschaftlichen Ordnung bei. Aus heutiger Perspektive mutet die Forderung nach mimetischer Einfügung, nach Übernahme der richtigen Gefühle durch Prägung und Habitualisierung, seltsam an – scheint es doch heute eher um Selbstbestimmtheit und Reflexion zu gehen. Andererseits erfahren gerade in der jüngeren Vergangenheit Prozesse impliziten Lernens sowie Gebrauchs-praxen erhöhte musikpädagogische Aufmerksamkeit, so dass sich vielleicht doch aktuelle Bezüge herstellen lassen.

Gleichfalls antiken Ursprungs ist das aristotelische Konzept der Lebensklugheit (Phronesis), das im Hinblick auf die Haltung des Lehrers musikpädagogisch fruchtbar gemacht wird. Die Klugheit der Lehrenden drückt sich aus in ihrem pädagogischen Handeln. Dieses gilt es den Schülerinnen und Schülern einsehbar zu machen, denn damit entsteht für diese die Gelegenheit, Phronesis als Haltung zu übernehmen, sich in ihr zu üben.

Wenn Kinder oder Jugendliche vom gesellschaftlichen Alltag ausgeschlossen sind, wie dies nicht zuletzt in Krankheitsfällen gegeben sein kann, wird die pädagogische Forderung  nach Partizipation besonders dringlich. Musikpädagogische Projekte in Krankenhäusern haben den Anspruch, die Erfahrung von Anerkennung und kultureller Teilhabe zu ermöglichen. Welche Potenziale musikalisch-ästhetische Bildungsangebote für Jugendliche zum Beispiel in der Psychiatrie haben, lässt sich herausfinden, wenn man sie befragt.

Beziehungen/Resonanz
(Nicole Besse, Juliane Gerland, Christoph Stange, Annette Ziegenmeyer/Christine Löbbert)

Musik kann Beziehungen zwischen Menschen stiften und transzendieren. Eine besondere Rolle spielt dabei die Synchronizität im Sinne gemeinsamer Zeiterfahrung, die durch die musikalische Rhythmisierung möglich wird. Gemeinsam erfüllte Zeit zu verbringen und in einem gemeinsamen gespürten Zeitverlauf fühlbar eingespannt zu sein, gehört zu den Spezifika von Musik, denen neuerdings im Rahmen von Embodiment-Konzepten verstärkte Aufmerksamkeit geschenkt wird. Das Vergehen der Zeit zu einem gemeinsamen Erlebnis zu machen, fördert die Reflexion dieser für das menschliche Leben und das Gefühl des Gelingens zentralen Kategorie. Insbesondere im Hinblick auf Menschen, deren Behinderung den Zeitaufwand für alltägliche Verrichtungen vergrößert, kann die musikalisch gegliederte Zeit Gelegenheit geben, sich mit anderen zu synchronisieren und Beziehung aufzunehmen.

Ob die Möglichkeit im Unterricht gegeben ist, in den dort musikalisch gerahmten Situationen Beziehungen aufzunehmen, lässt sich anhand der Kriterien der Offenheit und Verbundenheit, wie sie Hartmut Rosa herausgearbeitet hat, beurteilen. Nicht nur die Beziehung zu anderen Menschen, auch die Beziehung zu Musik ist von den Resonanzkriterien der Offenheit und Verbundenheit abhängig. Weiterhin spielen körperliche Prägungs- und Aneignungsprozesse bei dem Versuch, Beziehungen zwischen Menschen und zu Musik herzustellen, eine wichtige Rolle. Doch wie die Beziehungen konkret im unterrichtlichen Kontext aussehen und in welcher Weise das Gelingen von Beziehungen im Unterricht zurück auf das Individuum und sein Bedürfnis nach Selbstwirksamkeitserfahrung wirkt, lässt sich nur mit Methoden untersuchen, in denen dem individuellen Einzelfall sowie dem Eigensinn musikalisch-künstlerischer Prozesse Raum gegeben wird. 

Die Erfahrung mit Musik im Sinne einer produktiven künstlerischen Ausein-andersetzung kann zur Erfahrung des Individuums mit sich selbst als eine weitere Beziehungsebene führen. In der praktischen Reflexion, das heißt der Reflexion im Handeln, wie sie in den Künsten gefordert ist, bildet sich eine Form des Ich-Welt-Verhältnisses ab, die als Modell für ein Gelingen dieser Beziehung gelten kann.

  • Die vorgestellten Forschungs- und Reflexionsansätze werden im Verlauf des Jahres  ausgearbeitet und auf der 2. Tagung der Gesellschaft für Musikpädagogik zu diesem Thema am 9./10. März 2018 in Essen vorgetragen.
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