Wie hängen gelingendes Leben und Musik zusammen und in welchen sozialen Kontexten entfaltet sich gelingende musikalische Praxis? Welche Herausforderungen und Perspektiven ergeben sich dabei für die Musikpädagogik? Fragen dieser Art standen im Zentrum der Jahrestagung der Gesellschaft für Musikpädagogik, die an der Folkwang-Universität der Künste in Essen vom 9. bis 11. März 2018 stattfand und an die Arbeitstagung 2017 anknüpfte. Diese Verbindung beider Jahrestagungen ermöglichte eine fundierte fortlaufende Auseinandersetzung der vorgestellten Beiträge und eine intensive Interaktion zwischen den Teilnehmenden.
Diversität – Identität
Diesen Themenblock prägten Peter W. Schatt, Katharina Bradler und Malte Sachsse durch ihre Ausführungen zur Vielfältigkeit guten Lebens und musikalischer Praxis sowie der Frage nach der Identitätsdarstellung durch die Musik.
Peter W. Schatt eröffnete die Tagung mit seinem Vortrag über die musikalische Praxis als Teilhabe am „immateriellen kulturellen Erbe“ im Kontext kultureller Diversität und wies darauf hin, dass musikalische Praxis keine notwendige Bedingung für gelingendes Leben darstelle und sich das Subjekt das gelingende Leben selbst konstituiert. Ob das passiert, hänge davon ab, wie das „Bild“ von Musik in Übereinstimmung mit neu gewonnener Erfahrung gebracht werden kann.
Die Suche nach dem guten Leben und Musik stellt normative Ansprüche an die Musikpädagogik. Identität herausbilden heißt auch, Entscheidungen durch Unterscheidungen treffen zu müssen. Dabei bildet Anerkennung eine wichtige Grundvoraussetzung. Die Ausübung von Kunst und Musik ist schließlich in besonderem Maße geeignet, Differenzen anzunehmen und Widersprüche auszuhalten sowie Welterfahrungen zu machen, die zur Identitätsbildung beitragen können. Indem Differenz als nicht immer kontrollierbar gesehen und vielmehr als „Handlungs-Denk-Geschehensraum“ gedacht wird, kann die Musikpädagogik aus dem damit einhergehenden Potenzial schöpfen.
Schließlich können Musikblogs aus dem Internet, die als Plattformen für partizipative Aushandlung von Normen, identitätsstiftender Vorbilder und zur eigenen Aneignung und Transformation musikalischer Praxen, ein bisher wenig betrachtetes Forschungsfeld eröffnen, in welchem musikbezogenes gelingendes Leben vor dem Hintergrund eines Bedeutungsgefüges erscheint, in dem (Vor-)Bilder entworfen, verhandelt oder auch verworfen werden.
Teilhabe
Im zweiten Themenblock widmeten sich Stefan Orgass, Nazfar Hadji, Andrea Welte, Uta von Kameke-Frischling, Andreas Höftmann und Brigitta Bandun in vielfältiger Weise den Aspekten von Teilhabe.
Teilhabe sowie die Frage nach dem gelingenden Leben stehen unmittelbar mit der Inklusionsdebatte in Zusammenhang. In diesem Kontext stellte Stefan Orgass den Begriff des „inklusiv intendierten Musikunterrichts“ in den Mittelpunkt seiner Ausführungen. Während integrativer Unterricht zieldifferent realisiert wird, konzipiert sich inklusiver Unterricht als zielgleicher Unterricht mit gemeinsamem Gegenstand und unterschiedlich komplexer Teilhabe aller Lernenden.
Gelingende musikalische Bildung spielt sich auch außerhalb gewohnter Kontexte ab, wie die Vorstellung des Projektes „Zwischen den Welten“ aufzuzeigen versuchte. Das besondere Potential des Projektes liegt darin, Menschen in der Psychiatrie Situationen musikalisch-ästhetisch-künstlerischer Partizipation zu ermöglichen.
Wettbewerbsorientierung, Leistungsdruck und Nützlichkeitsdenken prägen unsere Gesellschaft und zeigen sich auch im Musikbetrieb. Daher stehen Musik und Musizieren immer wieder im Spannungsfeld von Nützlichkeit und Muße. Die Aufmerksamkeit auf den Lernprozess an sich zu lenken, kann fruchtbar sein und eine tiefgehende intrinsische Beziehung zur Musik durch Absichtslosigkeit und Muße ermöglichen.
Obwohl Platons Schriften in musikpädagogischen Diskursen bisweilen wenig Aufmerksamkeit erfuhren, eignen sich vor allem die Nomoi für ein Neudenken im Hinblick auf den Teilhabeaspekt als Ziel und Glück einer Gemeinschaft. Dieses kommt besonders gepaart mit ästhetischer Bildung als „Fest der Sinne“ zur Geltung, deren Inszenierungen die alltäglichen Sinne im Medium Musik öffnen und im Inneren der Schülerinnen und Schüler ein Fest anstoßen können.
Der Unterricht der enthusiastischen Lehrkraft ist geprägt durch ihr Charisma, durch ihr Verhalten aus Freude, Liebe und Engagement. Der Art, wie sie ihre Arbeit und Beziehung zu ihren Schülern gestaltet, wohnt eine Tendenz zur Grenzüberschreitung inne. Dies äußert sich in einer Eigenart des Unterrichtens, welche formale, methodisch-didaktische und pädagogische Maßstäbe teilweise oder ganz außer Kraft setzt.
Beziehung – Resonanz
Im dritten thematischen Block wurden Beziehungsqualitäten als Fundament gelingenden Lebens identifiziert und in den Beiträgen von Philipp Schäffler, Christoph Stange, Annette Ziegenmeyer und Christine Löbbert, Juliane Gerland, Nicole Besse und Daniela Bartels vorgestellt. Das physikalische Phänomen der Resonanz kann dabei metaphorisch auf solche Beziehungen übertragen werden. Im Bereich der Musik kann sich eine gelingende Form der Weltbeziehung im gemeinsamen Interesse der Sache als ein Raum für Glückserfahrungen etablieren. Nicht nur zwischenmenschliche Beziehungen spielen hierbei eine Rolle, die Beziehungsaufnahme ist auch wesentlich leiblich bestimmt. Der mimetische Prozess verbindet das Selbst mit Anderen, dabei fungiert der Körper als Kommunikationsmittel und stiftet Beziehungen.
Neben dem Körper ist auch die Zeit ein essentieller Aspekt, um Prozesse zu gestalten. Zeit wurde primär in Bezug auf inklusive Kontexte als entscheidender Faktor einer gelingenden Teilhabe herauskristallisiert. Die Desynchronisation zwischen Eigenzeitlichkeit versus Beschleunigung, wie sie Hartmut Rosa beschreibt, kann zu einer Beschränkung der Synchronizität im Sinne gemeinsamer Zeiterfahrungen führen. Sich mit anderen zu synchronisieren und Zeitabläufe mit anderen abzustimmen, fördert hingegen die soziale Eingebundenheit und Beziehungsaufnahme.
Anhand der Kriterien der Offenheit und Verbundenheit kann man die Beziehungsfähigkeit in Unterrichtssituationen beurteilen. Diese kategoriale Unterscheidung vollzieht sich sowohl auf sozialer als auch auf fachlicher Ebene, das heißt sowohl zwischenmenschliche Beziehungen als auch die Beziehung zur Musik selbst lassen sich durch Verbundenheit und Offenheit beurteilen.
An drei Beispielen musikalischer Praxis wurde außerdem aufgezeigt, wie Menschen sich durch „phronesis“ (praktische Klugheit) und Selbstgestaltung beim Musizieren Wege zum guten Leben eröffnen können. Diese Verbindung ermöglicht es dem Menschen, das eigene Handeln zu reflektieren und eine Sensibilität für seine bewusste Lebensführung zu erlangen.
Schließlich orientieren sich Beziehungsqualitäten auch an der Eigen-erfahrung des Menschen. Eine produktive Auseinandersetzung mit Musik kann als Modell für ein gelingendes Selbst-Weltverhältnis gelten und zeigt sich im musikalischen Ausdruck.
An beiden Tagen konnten im Anschluss an die Vorträge in parallelen Arbeitsgruppen entweder die vorangehenden Beiträge vertiefend diskutiert oder praktisch angelegte Workshops (Birgit Jeschonnek, Uta Kameke-Frischling) belegt werden. Studierende der Folkwang-Universität der Künste Essen und der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover gestalteten Workshops, die sich mit gelingenden Übergängen und Perspektiven musikpädagogischer Transitionsforschung auseinandersetzten.
Insgesamt wurden in den Beiträgen theoretische, empirische als auch praktische Erkenntnisse berücksichtigt und deren Verknüpfung in den anschließenden Diskussionen immer wieder gesucht. Auf vielfältige Weise wurden Wege zwischen gelingenden Leben und Musik aufgezeigt und diskutiert.