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Herausforderungen und Perspektiven

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Kurztagung der Gesellschaft für Musikpädagogik am 1. März 2013 an der Universität Siegen
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Die Gesellschaft für Musikpädagogik hat sich in ihren Tagungen der vergangenen Jahre aktuellen Themen der Musikpädagogik angenommen. Im März 2011 beispielsweise stand das Thema „Inklusion als musikpädagogische und künstlerische Herausforderung“ im Mittelpunkt des Symposiums in Bochum. Bei dem ein Jahr später stattfindenden musikpädagogischen Kolloquium wurde das Thema der sozialen Inklusion weiter vertieft.

Ein besonderes Augenmerk lag auf der Erarbeitung von Perspektiven für die Grundschule, die Instrumental- und Gesangspädagogik, sowie für die außerschulische Jugendarbeit. Die diesjährige Kurztagung an der Universität Siegen griff auf vergangene Themen zurück, warf zugleich neue Aspekte auf und bot mit dem offen gehaltenen Leitgedanken „Aktuelle musikpädagogische Herausforderungen und Perspektiven“ eine Vielfalt an Vorträgen, die die Spannweite der gegenwärtigen musikpädagogischen Aufgaben und Problemstellungen aufzeigte.

Dr. Jürgen Oberschmidt referierte über institutionelle und berufskulturelle Bedingungen einer zuweilen – wie er konstatierte – schwierigen Kooperation zwischen allgemeinbildenden Schulen und Musikschulen. Bereits Leo Kestenberg habe sich im Jahr 1921 für das Zusammenbringen von Schulmusik und Musikschulen eingesetzt. Auch der deutsche Musikrat fordere in seiner Veröffentlichung „Musikalische Bildung für alle“ (Berlin 2012) Kooperationen zwischen allen Musikakteuren: „Den Dialog suchen und gemeinsam handeln“. Die praktische Umsetzung dieser Forderung weise jedoch einige Schwierigkeiten auf. Die Schule verwandle sich in ein „selfish system, das sich ausschließlich an den Normen des eigenen Betriebs orientiert“ (Peter Sloterdijk, 2011). Es fehle laut Oberschmidt an Zusammenarbeitsstrukturen. Bei einer additiven Kooperation, die wie vermessene Felder mit marginalem Grenzverkehr vorzustellen seien, träfen mit den verschiedenen Persönlichkeiten unterschiedliche Didaktiken, Rituale und Arbeitstechniken aufeinander, die Konfliktpotenzial bereithielten. Voraussetzung für eine gelingende Zusammenarbeit seien offene Begegnungen, persönliche Bindungen und reflektierende Perspektivenübernahmen. Im Gegensatz dazu setze die synergetische Kooperation, die ein übergeordnetes Kooperationsziel beinhalte, gemeinsame Aus- und Fortbildungsstrukturen voraus. Es stelle sich weiterhin die Frage nach einer gemeinsamen Ausbildung für Musikpädagogen der unterschiedlichen Professionen, nach Doppelqualifizierungen und einer Ausbildung von integrierten Musikpädagogen. Oberschmidt verdeutlichte die Notwendigkeit des Austausches und die Entwicklung von Konzepten, mit Hilfe derer Fortbildungsmöglichkeiten angeboten werden könnten. Vom Plenum wurde vorgeschlagen, statt ausschließlich auf einem institutionellen Wege, ebenso inhaltlich an die Problematik heranzugehen. Darüber hinaus wurde darauf verwiesen, dass der direkte individuelle Umgang mit Schwierigkeiten und die Suche nach spezifischen Lösungen ebenfalls ein produktives Verfahren sei, anstelle des Heranziehens eines allgemein vorgefertigten Lösungskonzeptes.

Als sehr praxisnah gestaltete sich der Vortrag von Dr. Thorsten Wagner zum Thema „Neue Medien und die Vermittlung Neuer Musik“. Schülerinnen und Schüler würden kaum mehr Neue Musik hören, so dass die Lehrperson auf Grund der großen Differenz zwischen Neuer Musik und der Lebenswelt der Lernenden vor eine komplexe Aufgabe gestellt werde. Es gelte, einen als positiv empfundenen Lebensweltbezug herzustellen, wobei die Nutzung von Medien und vorhandener Kompetenzen auf Seiten der Schülerinnen und Schüler einen wesentlichen Beitrag leisten könne. Zwei Ansatzpunkte wurden eingehender dargestellt, die nach Wagner helfen eine Vermittlung von Neuer Musik zu ermöglichen: Sound-scape-Kompositionen und Noise Music. Ein ausführliches Konzept zur Erstellung von Soundscape-Kompositionen stelle Leigh Landy in „Making Music With Sounds“ (2012) dar. Konzipiert für Schülerinnen und Schüler im Alter von 11 bis 14 Jahren gehe es darum, die Techniken und Klänge der Soundwalks und Soundscapes kennenzulernen, mit denen solche Kompositionen erstellt werden, um darüber selbstständig kreativ zu werden. Mit dem Einsatz von Noise Music, wie beispielsweise Mouse on Mars, Anders Trentemøller, Roni Size oder Ambient, könnten produktionsbedingte Analogien zwischen populärer elektronischer Musik und elektronischer Neuer Musik herausgearbeitet werden. Ausgehend von popmusikalischen Beispielen, die der Lebenswelt der Jugendlichen näher seien, werde ein Zugang zur Neuen Musik geschaffen. Die Besonderheit bestehe nach Wagner darin, dass die Schülerinnen und Schüler vergleichend analysieren, Klänge untersuchen und kompositorisch denken lernen.

Prof. Dr. Katharina Schilling-Sandvoß erörterte die scheinbare Unvereinbarkeit von individueller Förderung im Musikunterricht einerseits und dem gemeinsamen musikalischen Lernen andererseits. Die Diversität der Schülerinnen und Schüler solle nicht nur als Chance begriffen werden, sondern vielmehr als Voraussetzung individueller Entwicklungen und gelingender Lernsituationen. Auf der Grundlage individueller Stärken und Fähigkeiten könnten gemeinsame Prozesse entstehen. Die Hauptaufgabe der Lehrenden liege in einer dreischrittigen musikalischen Diagnostik: einer kriteriengeleiteten Wahrnehmung und Beobachtung der Schülerinnen und Schüler, einer theoriegeleiteten Auswertung der Beobachtungen und schließlich einer Reflexion zur möglichen Veränderungen didaktischer und methodischer Entscheidungen. Die gegensätzlichen Pole gelte es auszubalancieren, individuelle Lernprozesse zwar zu ermöglichen, gleichzeitig jedoch einen gegenseitigen Austausch anzuregen und in gemeinsame Lernsituationen zusammenzuführen. Der Blick solle nicht auf Defizite, sondern auf die Entwicklungsmöglichkeiten der Schülerinnen und Schüler gerichtet sein, mit möglichst konkreten Vorstellungen von den individuellen Voraussetzungen und Lernzuwächsen. Tagungsteilnehmer stellten heraus, dass die Spannbreite der Heterogenität angesichts der Inklusionsdebatte noch deutlich wachsen werde und in Bezug auf den Umgang mit heterogenen Lerngruppen erst der Anfang getan sei. Konsens bestand in der Überzeugung, individuelle Unterschiede kreativ zu nutzen, statt mit Leistungsstandards einebnen zu wollen.

Teil 2 in der nmz 6-13

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