„ImproKultur“, „Der ewige Atem“, „Leyla und Medjnun“ – den drei Projekten ist gemeinsam, dass neu zugewanderten Jugendlichen kulturelle Teilhabe in Form von musikalisch-ästhetischer Erfahrung und kreativer musikalischer Bildung ermöglicht werden soll. Gleichzeitig werden Studierende intensiv auf aktuelle gesellschaftliche und musikpädagogische Herausforderungen vorbereitet, indem sie erste eigene Lehrerfahrungen in einem ebenso komplexen wie spannenden Praxisfeld sammeln.
Seit Herbst 2015 läuft unter der Leitung von Andrea Welte (Professorin für Musikpädagogik an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover) das musikalische Bildungs-, Ausbildungs- und Forschungsprojekt „ImproKultur. Musizieren und Improvisieren in Sprachlernklassen“. Im Rahmen des Projekts und dank einer großzügigen Unterstützung des Förderkreises der Hochschule erhalten neu nach Deutschland zugewanderte Kinder und Jugendliche zwischen 10 und 17 Jahren in den Sprachlernklassen der Integrierten Gesamtschule Linden und der Leonore Goldschmidt Schule in Hannover ein wöchentliches Musikangebot mit einem Schwerpunkt auf dem Musizieren und Improvisieren in der Gruppe. Fortgeschrittene Studierende und Alumni der HMTMH arbeiten dabei in Dreierteams zusammen. Die Arbeit wird von der Hochschule pädagogisch, künstlerisch und wissenschaftlich betreut. So finden regelmäßig Zwischenreflexionen, Hospitationen, Workshops und Seminare zu verschiedenen Themen statt, zum Beispiel zur Didaktik von Improvisation oder zum Umgang mit traumatisierten Jugendlichen. Die beteiligten (angehenden) Lehrkräfte werden vielfältig und praxisnah ausgebildet und weiterqualifiziert, unter anderem in den Feldern „Improvisationspädagogik“, „Inklusion/Interkulturalität und Umgang mit Zugewanderten“, „sprachsensibles Unterrichten“, „Team-Teaching“ und „musikalische Leitung heterogener Gruppen“. Bei den halbjährlichen Aufführungen geben die Sprachlernklassen Kostproben ihres musikalischen Könnens.
Um diese kontinuierliche Arbeit zu ergänzen und Schülerinnen und Schülern in Sprachlernklassen, die – egal, ob mit oder ohne Flüchtlingsstatus – in der Regel in verschiedener Hinsicht benachteiligt sind, auch einen Zugang zum öffentlichen Konzertleben zu eröffnen, wurden im vergangenen Jahr zwei Projektseminare im Bereich der Musikvermittlung veranstaltet – beide ebenfalls unter Leitung von Andrea Welte. Dabei ging es darum, die Institutionen Hochschule, Schule und Kultureinrichtung/Opernhaus zu verbinden, Jugendlichen mit Zuwanderungsgeschichte musikalisch-ästhetische Erfahrung im öffentlichen Kulturleben zu ermöglichen und Studierende verschiedener musikpädagogischer Studiengänge im Feld kreativer Musikvermittlung auszubilden.
Rund um das szenische Konzert „Der ewige Atem“ für vier Akkordeongruppen, Senioren und Zuspielbänder des Komponisten Harald Weiss, das im Rahmen des Akkordeon-Festivals „Wurzeln“ am 26.11.2016 im Caldersaal des Sprengel Museums uraufgeführt wurde, wurden in einem von der Klosterkammer Hannover geförderten Seminarprojekt Musikvermittlungsaktivitäten speziell für Jugendliche mit Zuwanderungsgeschichte konzipiert, durchgeführt und reflektiert. Sechs Klassen, davon vier Sprachlernklassen und zwei heterogen zusammengesetzte Regelklassen mit einem hohen Anteil an Zugewanderten, nahmen am Projekt teil. Die Studierenden konzipierten ausgehend vom Werk, aber zugeschnitten auf die jeweilige Zielgruppe, unterschiedliche partizipative Workshops, in denen Handlungsorientierung, Wahrnehmungs- und Kreativitätsförderung groß geschrieben wurden. Inhalte waren unter anderem Atemerfahrung, Dirigieren, grafische Notation, theatrale Elemente, Bodypercussion, Vocussion, Instrumentenvorstellung und Höranalyse. Ein gemeinsamer Bestandteil aller Konzepte waren Mundharmonikas, die zum gemeinsamen Musizieren, aber auch zur Veranschaulichung der Grundprinzipien von Zungeninstrumenten eingesetzt wurden. Dadurch, dass es sich nicht um ein einmaliges Event handelte, sondern jede Klasse drei aufeinanderfolgende und inhaltlich abgestimmte Veranstaltungen besuchte – Workshop zur Einführung und Vorbereitung, Generalprobe, Workshop zur Nachbereitung –, war eine intensive, facettenreiche und nachhaltige Arbeit möglich. Die Rückmeldungen waren ausgesprochen positiv. Die hohe Motivation und Freude der Jugendlichen war unmittelbar zu spüren. Auch die Studierenden waren von der Arbeit fasziniert; sie konnten hautnah erleben, welche Chancen und Herausforderungen die Vermittlung zeitgenössischer Musik an Jugendliche insbesondere in einer von Migration geprägten Gesellschaft bietet.
Musik und Sprache als verbindende Formen der Kommunikation standen im Mittelpunkt des Projektseminars „Leyla und Medjnun“ in Kooperation mit der Jungen Oper der Staatsoper Hannover (Maike Fölling) für und mit Sprachlernklassen weiterführender Schulen. Gegenstand des Projekts, das mit freundlicher Unterstützung der Niedersächsische Lotto-Sport-Stiftung realisiert wurde, war das Märchen für Musik „Leyla und Medjnun“ von Detlev Glanert nach einem Libretto von Aras Ören und Peter Schneider, das auf der persischen Erzählung von Nezami basiert. Am 12. Mai 2017 hatte es in der Jungen Oper Hannover Premiere. „Leyla und Medjnun“, das beinahe 1.000 Jahre alte Epos der persischen Literatur, erinnert stark an „Romeo und Julia“, stehen doch auch in dieser Geschichte zwei Liebende im Mittelpunkt, die an den Erwartungen der Gesellschaft scheitern. In Detlev Glanerts zeitgenössischer Komposition wird westliche Operntradition mit den Klängen östlicher Musik verwoben; so ist das Instrument Und wesentlicher Bestandteil des Orchesters. Im Rahmen des Projektseminars begleiteten drei Gruppen von Studierenden sechs Sprachlernklassen verschiedener weiterführender Schulen rund um deren Opernbesuch. Jede der Sprachlernklassen nahm an einem intensiven, vorbereitenden Workshop (vier Schulstunden) teil, besuchte mit den Studierenden gemeinsam eine Vorstellung von „Leyla und Medjnun“ und bereitete das Erlebte im Anschluss in der Schule auf. Die Schülerinnen und Schüler setzten sich aktiv und kreativ mit dem Text und der Musik der Oper auseinander, wobei interkulturelle Aspekte ebenso eine Rolle spielten wie die Auseinandersetzung mit den Konflikten der Figuren. Vor allem dem Zwiespalt zwischen Liebe und gesellschaftlichen Forderungen, der vielen Jugendlichen unterschiedlicher Kulturen aus eigener Erfahrung bekannt ist, wurde Beachtung geschenkt. Es war wunderbar zu erleben, dass nicht nur die Studierenden, sondern auch die Jugendlichen mit großer Begeisterung mitwirkten und die Teilnahme am Projekt für alle ungemein anregend und bereichernd war.
- In unregelmäßiger Folge berichtet die GMP zukünftig unter dieser Rubrik über Projekte von GMP-Mitgliedern.