Unter der Überschrift „Musizieren mit Hörschädigung – (wie) geht das?“ findet am Samstag, den 11. Mai 2019, eine interdisziplinäre musikpädagogische Tagung an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover (HMTMH) für Menschen mit und ohne Hörschädigung statt. Lehrkräften, Betroffenen, Expertinnen und Experten sowie Studierenden soll ein innovatives Forum für Information, Austausch und Weiterbildung zu diesem wichtigen, aber vernachlässigten Thema geboten werden.
Hörschädigungen sind weiter verbreitet als man gemeinhin annimmt und betreffen in unterschiedlichen Abstufungen etwa 15 Millionen Menschen in Deutschland. Anders als etwa in Australien oder Amerika sind sie in Deutschland bisher oft eine schambesetzte Beeinträchtigung, die niemand gerne zugibt, und die Frage, ob man damit erfüllend musizieren kann, erscheint vielen exotisch. So sind viele Menschen ohne Hörschädigung der Meinung, Menschen mit Hörschädigung könnten nichts oder kaum etwas mit Musik anfangen. Jedoch lieben auch Gehörlose beziehungsweise Menschen mit Hörschädigung Musik! Sie hören Musik auf unterschiedliche Art und Weise, mit Hörgeräten beziehungsweise Cochlear Implantaten und/oder ihrem Körper. Etliche musizieren auch aktiv und wirken zum Beispiel in Laienensembles mit. Dem Musizieren von Personen mit Hörschädigung stehen jedoch zahlreiche Vorbehalte entgegen: Die Betroffenen trauen sich selbst oft nur wenig zu und Normalhörende können sich oftmals kaum vorstellen, dass jemand, der die Unterstützung technischer Hörsysteme benötigt, überhaupt „richtig“ Musik hören und machen kann.
Im Zentrum des Dokumentarfilms „Touch the sound“ (2004) von Thomas Riedelsheimer steht die schottische Schlagzeugerin und Komponistin Evelyn Glennie. Sie ist ein prominentes Beispiel für eine Profi-Musikerin mit Hörschädigung. Aufgrund einer Krankheit verschlechterte sich ihr Hörvermögen in ihrer Kindheit und Jugend drastisch; heute nimmt sie Musik vor allem über Vibrationen wahr. „To teach the world to listen“ – Evelyn Glennie hat es sich zur Aufgabe gemacht, ein anderes, besseres Hören zu zeigen und anzuregen.
Der 30-jährige italienische Pianist Davide Santocolomba aus Palermo, der beim Thementag am 11. Mai an der HMTMH konzertieren wird, bezeichnet sich selbst als taub. Das Instrument Klavier entdeckte er im Alter von acht Jahren in einem Mailänder Krankenhaus, als seine Familie ihn dort zu einer Höruntersuchung vorstellte. Der achtjährige Davide war begeistert und erhielt fortan Klavierunterricht. Heutzutage ist er ein gefragter Pianist. Nach Abschluss des Konservatoriums studiert er seit 2015 an der „Scuola universitaria di Musica“ in Lugano (Schweiz) bei der berühmten ukrainischen Pianistin Anna Kravtchenko im künstlerisch-pädagogischen Masterstudiengang. Seit circa fünf Jahren hört er mit Cochlear Implantat.
Welche Arten von Hörschädigungen gibt es eigentlich? Und wie gelingt das Musizieren bei Menschen, die von einer Hörschädigung betroffen sind? Und weiter: Wie können sie im Musikunterricht und beim musikalischen Ensemblespiel unterstützt und gefördert werden? – Die hannoveraner Tagung, die in Kooperation zwischen der Hannoverschen Cochlear Implantat Gesellschaft (HCIG) und der HMTMH veranstaltet wird, richtet sich gleichermaßen an Menschen mit einer Hörschädigung wie an Musiklehrkräfte, die bereits mit hörbeeinträchtigten Kindern, Jugendlichen oder Erwachsenen arbeiten oder Offenheit und Interesse an einer solchen Arbeit zeigen. Mit Blick auf Hörschädigungen wird nicht zuletzt der Aspekt „Musik und Cochlear Implantate“ berücksichtigt. Im Unterschied zu Hörgeräten, die die Lautstärke von Geräuschen erhöhen, übernehmen Cochlea-Implantate als eine Art Ohrprothesen die Funktion der beschädigten Teile des Innenohrs (der Cochlea), um Audiosignale an das Gehirn zu übertragen. Musikgenuss nach einer CI-Implantation stellt für viele Menschen eine besondere Herausforderung dar. Zugleich ist Musik wichtiger Bestandteil eines guten Hörtrainings, da der Umgang mit Musik vielfältige positive Auswirkungen auf den Hörerfolg mit CI haben kann.
Der Schwerpunkt des Tages liegt auf dem instrumentalen Musizieren, wie es an Musikschulen und Schulen unterrichtet und in diversen Ensembles, Orchestern, Posaunenchören, Chören, Bands etcetera ausgeübt wird. Daneben werden auch Möglichkeiten des elementaren Musizierens und Singens einbezogen, unter anderem durch Bewegung. Einerseits soll den Betroffenen anhand praktischer Beispiele Mut gemacht werden, selbst ein Instrument zu erlernen und zu spielen. Andererseits sollen Lehrkräfte an Schulen, Musikschulen und in freiberuflicher Tätigkeit sowie Studierende mit Blick auf die Thematik informiert und sensibilisiert werden, unter anderem indem aufgezeigt wird, von welchen Faktoren der Erfolg beim Musizieren mit technischer Unterstützung abhängt. Herausforderungen, Konfliktfelder und Lösungsmöglichkeiten sollen in Vorträgen, Workshops und Diskussionsrunden beispielhaft aufgezeigt werden. Als Referentinnen und Referenten wirken mit: Prof. Dr. Eckart Altenmüller, Sebastian Fehr, Prof. Elisa Läubin, Christine Löbbert, Prof. Dr. Waldo Nogueira, Tabea Otte, Roswitha Rother, Claus-Jürgen Schulz, Prof. Dr. Andrea Welte. Der Tag soll schließlich auch die Gelegenheit zum Erfahrungsaustausch bieten. Ein interessantes Detail sei noch angemerkt: Das Abschlusskonzert mit dem italienischen Pianisten Davide Santocolomba wird von zwei Amateurmusikern moderiert, die ebenfalls Hörsysteme tragen.
Anmeldung/Infos: www.ifmpf.hmtm-hannover.de und www.hcig.de
- In unregelmäßiger Folge berichtet die GMP in dieser Rubrik über Projekte von GMP-Mitgliedern.