Seit längerem geht das Gespenst sterbender Lehramtsstudiengänge Musik an den Musikhochschulen um. Die Einbrüche der Bewerber:innenzahlen sind mancherorts massiv, an anderen Standorten noch moderat – ein Rückgang der Zahlen ist jedoch überall zu verzeichnen.
Nachwuchsmangel Schulmusik
Was sind die Ursachen für diesen Rückgang, der sich weniger schleichend als abrupt vollzieht, und was lässt sich dagegen tun? An der HMT Leipzig wird derzeit Ursachenforschung betrieben. Ein Fragebogen an Schüler:innen der Oberstufe, die Musikkurse besuchen, ist im Umlauf. Gefragt wird nach der Motivation, „irgendetwas mit Musik“ zu studieren, und nach den Gründen, die dieser Motivation oder ihrer Umsetzung im Wege stehen. Eine solche Befragung impliziert Vorannahmen – hier sind es die Überlegungen, dass es vielleicht eine negative Sicht auf den Lehrerberuf sein könnte, die vom Musikstudium Abstand nehmen lässt; oder auch die Befürchtung, der Eignungsprüfung nicht standhalten zu können. Möglicherweise liegt aber auch das musikalische Interesse der Befragten jenseits der Studienangebote der HMT, so dass die Betreffenden ihre musikalische Expertise gar nicht in ein Studium ummünzen können.
Die Befragung erfolgt einerseits mit geschlossenen Fragen, bei denen skalierte Antworten vorgegeben sind. Andrerseits gibt es auch offene Fragen, mit denen versucht wird, Antworten zu erhalten, die nicht bereits vorgedacht sind, sondern Raum bieten sollen für überraschende Perspektiven auf die Option eines Musikstudiums. Ein weiterer Fragebogen ist an die Lehramtsstudierenden der HMT gerichtet. Hier geht es um die Erfahrungen mit der eigenen Aufnahmeprüfung sowie darum, Ideen einzusammeln, wie die Aufnahmeprüfung attraktiver gestaltet werden könnte.
Ob die Umfragen einen neuen Wissensstand ermöglichen, oder die bisherigen Vermutungen bestätigen wird erst die Auswertung zeigen. Einen wichtigen Schritt im Zusammenhang mit dem Bemühen, die Situation zu verstehen und daraus Möglichkeiten der Verbesserung abzuleiten, stellt unabhängig von den Fragebögen an Schüler:innen und Studierende im Lehramt Musik die Diskussion mit Musiklehrern und Musiklehrerinnen dar. Knapp fünfzig sächsische Musiklehrer:innen aller Schulstufen kündigten auf eine Einladung zu einem „Forum Zukunft Lehramt Musik“, das für einen Freitagnachmittag im April in den Räumen der HMT Leipzig angesetzt war, ihr Kommen an. Trotz Bahnstreiks waren schließlich fast dreißig Musiklehrkräfte vor Ort, die alle sehr an Erfahrungsaustausch und Diskussion interessiert waren.
Ihre Aussagen zu den veränderten beruflichen Anforderungen heute ergeben bei aller Vielfalt ein recht einheitliches Bild: Es dominieren Aussagen zur Veränderung der Schüler:innen in Richtung zunehmender Heterogenität der Lerngruppen. Diese manifestiert sich nicht zuletzt in extremen psychischen Dispositionen, sozial-emotionalem Förderbedarf und Verhaltensauffälligkeiten, denen individuell angemessen begegnet werden muss. Hinzu kommen kulturelle Differenzen, die nicht nur in Migrationskontexten auftreten, sondern auch als Tendenz zu stärker werdenden Divergenzen der Hörgewohnheiten der Schüler:innen wahrgenommen werden. All dies – neben nicht geringer werdenden Unterschieden in den musikalischen Voraussetzungen – stellt hohe Anforderung an die Binnendifferenzierung des Unterrichts. Lehrbücher haben in diesem Zusammenhang nur mehr den Stellenwert einer Materialsammlung, da der jeweils besonderen und singulären Situation einer Lerngruppe mit individuellen Unterrichtsideen begegnet werden muss. Als offene Frage gilt die nach einem Werkkanon – wie überhaupt die kulturelle Verortung des Musikunterrichts Anlass zum Nachdenken bietet. Übereinstimmend wird als Aufgabe des Musikunterricht die Hinführung zu einem respektvollen Umgang mit anderen Musikkulturen gesehen. Zugleich aber wird konzediert, dass es im Bereich außereuropäischer Musikkulturen an Expertise der Lehrkräfte mangelt.
Schließlich wird auf Aufgabenbereiche verwiesen, derer sich alle Fächer und so auch der Musikunterricht annehmen sollen und die mit Stichworten wie Demokratiebildung, Sprachsensibilität, Gendergerechtigkeit, Digitalisierung bezeichnet werden. Insbesondere die Aneignung der eigenen Kompetenz, digitale Medien im Unterricht sinnvoll einzusetzen, erfordert einen nicht geringen zusätzlichen Arbeitsaufwand.
Zu den aktuellen Problemfeldern werden von den Lehrkräften auch Schwierigkeiten gezählt, die seit jeher den allgemeinbildenden Musikunterricht zu einer pädagogischen Herausforderung machen: Wie kann es gelingen, musikanalytische und -theoretische Inhalte so zu unterrichten, dass die SuS diese als relevant wahrnehmen? Wie lassen sich in großen Lerngruppen ästhetische Prozesse initiieren? Wie kann nachhaltiges Lernen erreicht werden? Die für den Unterricht zur Verfügung stehenden zeitlichen und räumlichen Ressourcen sind eng. In Sachsen wurde erst kürzlich eine Wochenstunde Musik in der dritten Klasse gestrichen. Häufig fehlt es an einem Musikraum, so dass Instrumente quer durchs Schulgebäude transportiert werden müssen. Vorhandene Musikräume sind nicht selten zu eng zum Tanzen. Die Leitung von Ensembles, Chor, Orchester wird oft ohne Abminderungsstunden bzw. ohne Anrechnung auf das Stundendeputat als nicht-honorierte Zusatzleistung übernommen. Auch die Unterstützung der Seiteneineinsteiger:innen im Kollegium fordert zusätzliches Engagement. Nicht wenige der Anwesenden sprechen davon, dass das Unterrichten im Fach Musik an den Kräften zehrt und sie lieber in ihrem anderen Fach unterrichten.
Die im ersten Teil des Nachmittags zusammengetragenen Anforderungen im Berufsalltag kommen im zweiten Teil als Anforderungen an das Studium zur Sprache. In Kleingruppen gab es Gelegenheit für die Darstellung und den Austausch der individuellen Erfahrungen mit der Passung von Studium und Beruf. Es kamen dabei Fragen der künstlerischen Dimensionierung des Studiums in den Blick. Die Vielzahl der teils sehr differenzierten Feststellungen kann hier nicht angemessen zur Darstellung kommen. Nur einige willkürlich herausgegriffene Aspekte seien genannt: Bezogen auf die stimmlich-gesanglichen Studieninhalte wird ihre zentrale Bedeutung für den Musiklehrkräftealltag festgestellt, der auf das flexible Funktionieren der Stimme beim Singen und Sprechen angewiesen ist. Allerdings sei es weniger der klassische Gesang, der in der Schule relevant sei, das heißt die Fähigkeit, eine Arie darbieten zu können, ist deutlich weniger gefragt als die Fähigkeit, einen Popsong ansprechend vorzutragen. Immer wieder deutlich gemacht wird die Notwendigkeit musikpraktischer Flexibilität. Die Gitarre als Instrument schulpraktischen Musizierens erweise sich wegen seiner Transportierbarkeit im Schulalltag oftmals als praktischer als das Klavier. Während der Ausbildung der stimmlichen und gesanglichen Fähigkeiten übereinstimmend ein sehr hoher Stellenwert eingeräumt wird, ist in Bezug auf die Frage der instrumentalen Ausbildung ein Abwägen zu bemerken. Nur wenige setzen ihr Hauptinstrument in der Schule ein und einige empfinden ihre instrumentalen Fähigkeiten als Überqualifikation. Vor allem sei eine durchgehende schulpraktische Orientierung wichtig. Das Studium sollte auf das Musizieren „anderer Musiken“ vorbereiten, Bewegung, Tanz, Bodypercussion sollten einen hohen Stellenwert erhalten, und der Umgang mit unterrichtsrelevanten digitalen Medien im Studium trainiert werden.
Mit gemeinsamen Überlegungen dazu, wie dem Bewerberinnenmangel entgegengewirkt werden könnte, endete die Veranstaltung.
Gesprächsveranstaltungen wie diese generieren keine verallgemeinerbaren Aussagen zu den zur Sprache kommenden Themen der Musiklehrkräftebildung. Sie geben aber Gelegenheit, Sichtweisen zu artikulieren und auszutauschen. Den Anstoß gab in diesem Fall die genannte krisenhafte Entwicklung bei den Studienbewerbungen. Der Nachmittag hat jedoch gezeigt, dass ein solcher Austausch unabhängig von konkreten Anlässen in hohem Maße sinnvoll und bereichernd ist. Entsprechend ist geplant, Zusammenkünfte wie diese regelmäßig durchzuführen und auf diese informelle Weise die Kommunikation zwischen Schule und Hochschule zu intensivieren.
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