Mit dem Thema Interaktion soll für die nächste Tagung der GMP eine Nahperspektive auf musikalische Erfahrungs- und Lernprozesse eingenommen werden. Als Terminus in soziologischen Handlungs- und Praxistheorien weist der Begriff Interaktion auf Situationen „direkter Kommunikation“ (Goffman) und öffnet mit der Behauptung eines ‚Zwischen’ den Blick für deren performative Qualität: Interaktion findet zwischen mindestens zwei Akteuren statt, wobei sie etwas darstellt oder hervorbringt, das sich gegenüber dem Agens des jeweils einzelnen Interaktionspartner als autonom erweist. Erving Goffman hebt daher zu Beginn seiner Untersuchung zu Interaktionsritualen hervor: „Es geht hier ... nicht um Menschen und ihre Situationen, sondern eher um Situationen und ihre Menschen.“
In musikpädagogischen Kontexten ist der Begriff der Interaktion auf verschiedenen Ebenen bedeutsam: Zum einen findet er dort Verwendung, wo es in Unterrichtssituationen um die interaktive Aushandlung sozialer Ordnungen geht. Diese Dimension von Unterricht teilt der (schulische und private) Musikunterricht mit anderen Fächern. Ihr wird in der jüngeren ethnografisch orientierten erziehungswissenschaftlichen Forschung besondere Aufmerksamkeit geschenkt, indem zum Beispiel die soziale Rolle der Schülerin oder des Schülers als „Schülerjob“ (Breidenstein) gedeutet wird. Auch im Hinblick auf Anforderungen an inklusiven Musikunterricht ist diese Dimension von Bedeutung.
Zum anderen spielt Interaktion auch bei der den Unterrichtsgegenstand betreffenden (musikalischen) Bedeutungszuweisung eine Rolle, womit die pädagogisch-didaktische Dimension von Unterricht in den Blick gerät. So gehört es zum Beispiel für die Kommunikative Musikpädagogik (Orgass) zum Grundbestand ihrer konzeptionellen Überzeugungen, dass musikalische Bedeutungen in weitgehend symmetrischer Kommunikation zwischen den am Unterricht Beteiligten auszuhandeln sind.
Angesichts der zentralen Rolle des praktischen Musizierens, das seit den späten 1980er-Jahren zunehmend den schulischen Musikunterricht bestimmt – sowie natürlich den Instrumental- und Gesangsunterricht – sind im Hinblick auf musikalische Sinnbildung besonders auch Interaktionsprozesse auf klanglicher und gestischer Ebene zu beachten. Sie betreffen die leibliche Dimension des Musikmachens und des musikalischen Lernens und vermitteln implizites, praktisches Wissen „in“ Musik (Elliott). Besonders auch die Einbeziehung von Improvisation und Bewegung eröffnet das Feld nonverbaler Verständigungs- und Sinnbildungsprozesse.
Im Hinblick auf die Verwendung des Interaktionsbegriffs stellt der Umgang mit ‚interaktiven‘ Medien und – mehr noch – der mit materiellen Dingen einen schillernden Randbereich dar. Gleichfalls Verwendung findet der Begriff gelegentlich für das Verhältnis zwischen Aufführung und Publikum, insbesondere wenn es sich um besondere (Kinder-)Konzertformate handelt. Mit dem Blick auf das generative Potenzial von Interaktionsprozessen ergeben sich Fragen für die Gestaltung sowie für die Erforschung musikalischer Lehr-Lernsituationen. Wie müssen zum Beispiel Praxisphasen im Unterricht angelegt sein, damit sich ein interaktiver Aushandlungsprozess ereignen kann? Welcher didaktisch-methodischer Anordnungen bedarf es, um interaktiver Sinnbildung Raum zu geben, ohne den Anspruch des Lehrens völlig preiszugeben? Wie stellt sich dieses Problemfeld in historischer Perspektive dar? Und wie kann die Emergenz interaktiver Prozesse für die beobachtenden Forschenden zugänglich werden?
Diesen und weiteren Fragen widmet sich die öffentliche Jahrestagung 2020. Vorbereitend wird am 26. Oktober 2019 in Leipzig eine eintägige Arbeitstagung stattfinden, die der Diskussion der Exposés für die Tagung 2020 in Hannover dient.
Interessentinnen und Interessenten reichen bitte ihr ein- bis zweiseitiges Exposé bis zum 15. Februar 2019 ein (constanze.rora [at] hmt-leipzig.de (constanze[dot]rora[at]hmt-leipzig[dot]de)) und halten sich neben dem oben genannten Termin im März 2020 auch bitte den im Oktober 2019 frei.