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Zum Gegenstandsbezug in der Praxis

Untertitel
Doing Things: Tagung der Gesellschaft für Musikpädagogik vom 15. bis 17. März 2024 in Potsdam
Vorspann / Teaser

Die wissenschaftliche Tagung der Gesellschaft für Musikpädagogik (GMP) unter dem Titel „Doing Things – Zum Gegenstandsbezug musikpädagogischer Praxis” hat in diesem Jahr vom 15. bis 17. März in Potsdam an der Hochschule Clara Hoffbauer (HCHP) stattgefunden. Im Call for Papers wurde dazu aufgerufen, das Spannungsfeld einer „ihren Dingbezug reflektierende[n] Musikpädagogik […] pädagogisch und forschend zu erkunden und andererseits Zugänge zu der gegenständlichen, der Lebenswelt abgewandten Seite von Musikstücken zu öffnen und zu diskutieren.” (CfP) Nach der Begrüßung durch die Vorsitzende der GMP Prof.in Constanze Rora sowie dem Präsidenten der HCHP Prof. Karsten Kiewitt startete die Tagung mit Beiträgen zu theoretischen Annäherungen.

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Im ersten Beitrag zum Thema „Musik und Bezugnahme“ nutzte Constanze Elisabeth Tinawi die analytische Musikphilosophie als Grundlage für ein Verständnis von Musik als holistisch konstituiertes Sinnsystem. Tinawi beruft sich auf „Languages of Art“ von Nelson Goodman. Zentral ist hierbei die Annahme, dass Musik als Zeichensystem fungiert, welches sowohl inner- als auch außermusikalische Symbole denotiert und dadurch neue Zugänge zur Gegenständlichkeit von Musik ermöglicht.

Oliver Kautny verhandelte im Anschluss Wirkungspotentiale als analytische Perspektive für die Musikpädagogik am Beispiel von bereits 1980 publizierten Geschichten, die Schüler:innen im Musikunterricht zu „Cantus in Memory of Benjamin Britten“ von Arvo Pärt verfasst hatten. Auf Basis einer mehrstufigen, rezeptionstheoretischen Analyse diskutierte Kautny, inwiefern die von den Schüler:innen verfassten assoziativen Analysen eine geteilte Gegenständlichkeit des Werks widerspiegeln und damit ein Wirkungspotential des Werks abgeleitet werden kann. Den Nachmittag schloss Stefan Orgass mit dem Versuch einer Fruchtbarmachung der General Formal Ontology (GFO) für musikpädagogische Lernforschung. Die von Orgass bereits früher publizierten Überlegungen zur Reflexionslogik als Metatheorie wurden hierbei um den Prozessbegriff der GFO erweitert. Orgass arbeitete am Beispiel des eigenen Lernprozesses plastisch Stärken aber auch Schwächen der Verbindung dieses aus der theoretischen Informatik entlehnten Konzepts als Ergänzung des von ihm vertretenen reflexionslogischen Modells heraus.

Den Samstag, der unter der thematischen Klammer der Gegenständlichkeit in musikalischen Gestaltungsprozessen stand, eröffnete Corinna Eikmeier mit einem Beitrag zum sensomotorischen Lernen beim Improvisieren. Zentral stellt sich ihr die Frage, wie technische Herausforderungen gemeistert werden und wie sich Bewegungsqualität beim Improvisieren verändern kann. Sie arbeitete hierzu zunächst die Besonderheiten des Improvisierens und der damit verbundenen Improvisationsdidaktik heraus. Improvisatorische Zugänge, so ihr Fazit, sind in der Lage, Interpret:innen neue Zugänge zu eigenen Bewegungsmustern zu ermöglichen.

Auch der Beitrag von Andrea Welte und Tamara Schmidt beschäftigte sich mit improvisationsdidaktischen Zugängen. Sie begleiteten Improvisations-Workshops von Musiker:innen an allgemeinbildenden Schulen mit dem Ziel, Beziehungen zwischen beteiligten Personen, dem Gegenstand Improvisation sowie der didaktischen Vorgehensweise zu erschließen. Als zentralen Parameter der jeweiligen didaktischen Zugänge arbeiteten sie unterschiedliche Zielkategorien von Improvisation heraus.

Das Conduction Konzept von Butch Morris diente Thorsten Wagner schließlich als Grundlage für die Überlegung, wie sich musikalische Zielvorstellungen in Gruppen bilden und zu einer gemeinsamen Improvisation führen können. Er nutzte hierfür den Begriff des „Referenten“ von Jeff Pressing und arbeitete anschaulich die Mehrdimensionalität der in Gruppenprozessen vorhandenen musikalischen Bezugspunkte heraus.
Christiane Plank-Baldauf und Tamara Schmidt präsentierten im Anschluss aktuelle Projekte der Musiktheatervermittlung für jüngstes Publikum. In ihrem Beitrag wurde deutlich, wie sich in den gezeigten Beispielen die zugrundeliegenden postdramatischen Konzepte, kooperative Arbeitsweisen und Ko-Präsenz als philosophische Grundlage gegenseitig bei der Umsetzung der Projekte bedingen und zu einer altersspezifischen Wahrnehmungsförderung von Kindern beitragen können.

Einen besonderen Zugang zur Akteur-Netzwerk-Theorie bot Peter W. Schatt in seinem autoethnografischen Zugang zum „Potential der Dinge in Neuer Musik“. Differenziert arbeitete er die Dekonstruktion klassischen Instrumentariums in Werken der Neuen Musik und den hier geforderten „gewaltsamen Regelverstoß“ heraus, welcher bewusst gegen die „eingebaute Tradition“ der Instrumente arbeitet und dadurch, so sein Fazit, die Weiter-Bildung der Musizierenden fördert.

Am Beispiel einer Performance des „Musicircus“ von John Cage von Schüler:innen in einem Supermarkt diskutierte Adrian Niegot die dieser Präsentation zugrundeliegende Offenlegung von Intimem und die damit verbundene Provokation einer Auseinandersetzung mit Musik. Nachvollziehbar arbeitete er die pädagogischen Potentiale neuer, unkonventioneller Lehr-/Lernräume sowohl für Schüler:innen als auch Lehrende und Publikum im so entstehenden Umgang mit dem Gegenstand Musik heraus. Niegot gelang ein emotionaler und sprachlich beinahe poetischer Vortrag zur Hingabe beim Musizieren.

Historische Betrachtungen auf institutionelles musikpädagogisches Handeln am Beispiel der Musikschule Frankfurt bildete den Rahmen des Vortrags von Matthias Goebel. In der präsentierten Teilstudie arbeitete Goebel die Bedeutung repräsentativer Gegenstände zur konzeptionellen Fundierung der Musikschule Frankfurt und den damit verbundenen Bildungsidealen heraus. Neben dem konkret behandelten Teilaspekt gelang Goebel ein überzeugender Einblick in den von ihm vertretenen mikrohistorischen Ansatz.

Basierend auf videogestützte Unterrichtsbeobachtungen arbeitete Veronika Phung Subjektivierungsprozesse in inklusionsorientierten Gruppenmusiziersituationen und damit verbunden Ein- und Ausschlussmomente heraus. Als gegenständlicher Kristallisationspunkt zur Analyse der präsentierten Unterrichtssequenz dienen ihr „Radiergummi und Stift“ und deren Wirkmacht in den exemplarischen Aushandlungsprozessen und damit die Bedeutung soziomaterieller Aspekte musikalischen Lernens.

Den Tag schlossen Timo Neuhausen und Marc Godau mit Beobachtungen zum „Musik-Lernen unter Bedingungen der Postdigitalität“. In ihrem Beitrag stellten sie zunächst ihre empirische Herangehensweise in einem Vergleich individuumszentrierter, soziokultureller und soziomaterieller Ansätze vor. Ganz im Sinne Latours folgten sie den am Erkenntnisprozess beteiligten Akteuren beim Umgang mit einer Onlineplattform für Gitarrentranskriptionen. Deutlich wurden die Stärken des Ansatzes bei der Darstellung von Vernetzungen und Übersetzungsketten des Erkenntnisprozesses.

Jan-Peter Koch diskutierte am Sonntag unter dem Label des „Algorithmus als Un-Ding“ über die Nutzung von Tab­lets und Smartphones als Musikinstrumente. Er stellte hier insbesondere mit Blick auf den Übergang von analogen Eingabegeräten zu schon im Interaktionsprozess korrigierenden digitalen Interfaces die Frage, inwieweit auf diese Art digital erzeugte Musik noch etwas Dinghaftes habe und in der Folge Teil von Bildungsprozessen sein sollte.

Die Tagung schloss schließlich mit dem Vortrag von Constanze Rora und Katharina Schilling-Sandvoß zur Bedeutung von Musik als Gegenstand eines besonderen Verstehens im Musikunterricht vor dem Hintergrund der in der Förderschuldidaktik nach Georg Feuser diskutierten Frage nach dem gemeinsamen Gegenstand. Sie plädierten dafür, Musik als Gegenstand der Reflexion, die Interpretation von musikalischen Objekten und die Bedeutung von musikalischer Sinngebung als Grundlage von Musikverstehen stärker als zentrale Aspekte von Unterricht zu betrachten.

Mehrfach wurde im Laufe der Tagung deutlich, dass die bereits im vergangenen September stattgefundene Vortagung nicht nur einen vertieften wissenschaftlich-kritischen Austausch der Refernt:innen förderte, sondern die Qualität und Tiefe der an der Tagung geführten Diskussionen befördert hat. Mit Spannung kann die Publikation der Beiträge im Tagungsband erwartet werden.

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