Eine Chance wurde vertan, sowohl von den Fragestellern bei der Großen Anfrage der CDU/CSU-Fraktion und der FDP-Fraktion „Wirtschaftliche und soziale Entwicklung der künstlerischen Berufe und des Kunstbetriebs in Deutschland” (im Folgenden: Große Anfrage) als auch von der Bundesregierung bei der Beantwortung der Großen Anfrage.
Große Anfragen im Deutschen Bundestag sind nicht gerade ein Instrument, welches tagtäg- lich genutzt werden kann. Sie bieten bereits von ihrem Umfang her die Möglichkeit, entweder der Regierung auf den Zahn zu fühlen, wenn die Große Anfrage von der Opposition gestellt wird, oder aber die Leistungen der Bundesregierung herauszustreichen, wenn das Instrument der Großen Anfrage von den Regierungsfraktionen genutzt wird. Auf Grund der Bedeutung des Instruments sollten der Zeitpunkt und auch die Fragestellung genau überlegt sein.
Es verwunderte daher, dass die Oppositionsfraktionen zu einem Zeitpunkt die Große Anfrage starteten, als die Einsetzung der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags „Kultur in Deutschland” bereits eine beschlossene Sache war. Es war zu erwarten, dass die Bundesregierung bei einer Vielzahl von Fragen darauf verweisen würde, zunächst die Ergebnisse der Enquete-Kommission abwarten zu wollen. Noch verwunderlicher ist allerdings, warum bei den Fragen zur wirtschaftlichen und sozialen Lage der Künstler die Sparte Literatur von den Fragestellern hartnäckig ausgeklammert wird. Es wird ausschließlich der Status in den Sparten Musik, Bildende Kunst und Darstellende Kunst erfragt. Es kann daraus kein vollständiges Bild der Lage in den künstlerischen Berufen entstehen, zumal auch die Bundesregierung das „Vergessen“ der Sparte Literatur nicht genüsslich ausgeschlachtet hat, sondern ausschließlich Angaben zu den Sparten Musik, Darstellende Kunst und Bildende Kunst machte.
Nachdem die künstlerischen Berufe schon auf drei Sparten reduziert wurden, konzentrieren sich die Fragen nach der Kulturwirtschaft ausschließlich auf den Kunstmarkt – nicht gerade die führende kulturwirtschaftliche Branche.
So präjudizieren bereits die Fragen eine Schieflage bei der Darstellung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der künstlerischen Berufe. Diese Schieflage wird durch die Antwort der Bundesregierung nicht aufgefangen. Die Antworten zur sozialen Lage der Künstlerinnen und Künstler lassen mehr Fragen offen, als tatsächlich Antworten gegeben wurden. Die präsentierten Daten werden weder in einen Kontext eingeordnet, noch interpretiert.
So wundert man sich bei Frage zwei (Wie viele angestellte Künstlerinnen und Künstler (bildende Kunst, Musik, darstellende Kunst) leben und arbeiten – aufgelistet nach Sparten – in Deutschland?), dass bei den angestellten Künstlern nach den Ergebnissen des Mikrozensus im April 2002 gerade die Bildenden Künste mit 47.000 angestellten Berufsangehörigen die größte Berufsgruppe stellen, gegenüber den 24.000 angestellten Musikern und 22.000 angestellten darstellenden Künstlern und Sängern. Zwar wird hinter der Zahlenangabe der Bildenden Künstler in Klammern angegeben: angewandte Kunst, doch werden keine weiteren Angaben dazu gemacht, um welche Berufe es sich letztlich handelt. Bislang galt die Sparte Bildende Kunst immer als jene Sparte, die in erster Linie zur freiberuflichen Tätigkeit führt.
Auch stellt sich die Frage, wer sich hinter den in der Antwort zu Frage elf (Wie hoch ist die Zahl der künstlerisch Ausgebildeten/Tätigen an der Arbeitslosenzahl heute und wie hat sich die Zahl in den vergangenen Jahren entwickelt?) 16.414 arbeitslosen Bildenden Künstlern verbirgt.
Hier fand in den Jahren von 1995 bis 2002 mit 8.411 Arbeitslosen auf die genannten 16.414 Arbeitslosen immerhin fast eine Verdopplung statt, wohingegen in den anderen Sparten die Zahl der Arbeitslosen etwa konstant blieb oder vergleichsweise moderat anstieg. In ihrer Antwort bleibt die Bundesregierung die Interpretation dieser Daten schuldig. Sie nennt lediglich die Zahlen.
Ausführlicher sind lediglich die Angaben zu Frage 17 (Gibt es spezifische steuerlich Vergünstigungen, die in künstlerischen Berufen Tätige in Anspruch nehmen können, und in welchem Maße wird Gebrauch von diesen Regelungen gemacht?). Hier nutzt die Bundesregierung das Instrument Große Anfrage, um ihre Politik positiv darzustellen. Dass sie mit der Darstellung der pauschalen Besteuerung ausländischer Künstler, die in Deutschland auftreten, ihren Auftrag ausweitet, sei verziehen. Bedrückend ist die klare Antwort der Bundesregierung auf Frage 14: Plant die Bundesregierung Maßnahmen zur Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Lage von freischaffenden Künstlerinnen und Künstlern (bildende Kunst, Musik, darstellende Kunst)? Sie sagt klipp und klar, dass die Bundesregierung derzeit im Bereich des Sozialwesens keine weiteren spezifischen Maßnahmen zur Verbesserung der Lage der selbständigen Künstlerinnen und Künstler plant. Dass zuvor noch auf die kapitalgedeckte private Altersvorsorge verwiesen wird, die auch den rentenversicherungspflichtigen selbständigen Künstlern zugute kommt, erscheint in dem Lichte fast schon als Hohn. Denn wie soll es gelingen, mit einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von rund 11.100 Euro (Durchschnittsjahreseinkommen aller Sparten einschließlich des Wortbereiches; ohne den Wortbereich betrug das Durchschnittseinkommen im Jahr 2003 rund 10.200 Euro), noch eine ausreichende private Altersvorsorge aufzubauen?
Auch tröstet es wenig, wenn ebenfalls in der Antwort auf die bereits erwähnte Frage 14 darauf verwiesen wird, dass mit dem so genannten “Korb 2” zur Gestaltung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft in einem Schwerpunkt die urheberrechtlichen Vergütungssysteme reformiert werden sollen. Das in der letzten Legislaturperiode mühselig durchgesetzte Urhebervertragsrecht – auf das ebenfalls verwiesen wird – hat bislang zu noch keinen Vereinbarungen zwischen Verwerter- und Künstlerverbänden auf angemessene Vergütung geführt.
Die Erwartungen und auch die Anforderungen an die Enquete-Kommission im Deutschen Bundestag „Kultur in Deutschland“ sind nach dieser Großen Anfrage und der Antwort der Bundesregierung eher noch gestiegen. Auf die Enquete-Kommission wartet die Aufgabe, die Wechselwirkungen innerhalb des Kulturbereiches aufzuzeigen. Umsatzeinbußen in der Kulturwirtschaft führen zu Entlassungen, die die Zahl der freiberuflichen Kulturberufler, die nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz versicherungspflichtig sind, ansteigen lassen. Sinkende Umsätze bei den Unternehmen der Kulturwirtschaft schlagen sich in niedrigeren Honoraren nieder. Einer stetig wachsenden Zahl an Versicherten in der Künstlersozialversicherung steht eine relativ konstante Zahl an Abgabepflichtigen gegenüber. Darüber hinaus entsteht eine Gruppe an Kulturberuflern, die durch alle Raster fallen, da sie weder künstlersozialversicherungspflichtig sind noch ausreichend verdienen, um sich privat abzusichern. Zusätzlich darf nicht aus dem Blick verloren werden, dass Einsparungen der öffentlichen Hände, der Trend zu Events und anderes mehr zu einer Schwächung der Einkommensbasis vieler Künstler führen. Die Enquete-Kommission wird auf diese Fragen Antworten geben müssen, damit nicht auch ihr Ergebnis mit „Chance vertan“ bewertet werden wird.