Banner Full-Size

Der Geist der Ausschreibung

Untertitel
Die Duo-Kategorien bei „Jugend musiziert“
Publikationsdatum
Body

Irgendwo im Ruhrgebiet. Es ist Regionalwettbewerb „Jugend musiziert“ und ich habe die Ehre des Juryvorsitzes der Kategorie „Duo: Klavier und ein Streichinstrument“.

Als letzter Beitrag der Altersgruppe IV spielt eine junge Dame am Cello mit ihrem Klavierpartner. Die Eltern, der Vater gleichzeitig der Cellolehrer, helfen beim Auftritt: Der Stuhl wird bereitgestellt, die Cellistin tritt selbstbewusst auf und nimmt Platz, zirka anderthalb Meter vor dem Klavier und ohne jeglichen Sichtkontakt mit dem Pianisten.

Der Vortrag beginnt: Luigi Boccherinis Cellosonate Nr. 2 und „Allegro appassionato“ von Camille Saint-Saëns. Um es kurz zu machen: Das Mädchen spielt großartig, die Aufgaben des Pianisten sind etwa vergleichbar denen von Manuel Neuer beim Spiel gegen Aserbaidschan, nur dass letzterer zumindest Sichtkontakt mit seinen Mannschaftskollegen hat.

In der anschließenden Juryberatung gibt es allgemeines Unbehagen: „War das Kammermusik?“ Diese Frage wird verneint und hinterlässt uns ratlos. Natürlich waren die Stücke zugelassen, da es sich weder um Basso-continuo-Literatur, noch um Bearbeitungen handelte. Natürlich spielten die beiden sehr gut. Auch ein mehrteiliges Werk war dabei (der Boccherini), aber wo bleibt der „Geist der Ausschreibung“, der das Zusammenspiel zweier gleichwertiger Partner fordert und vor allem fördern will? Wir entscheiden uns, jeder für sich, das Duo zwar weiterzuleiten, aber einerseits durch die Punktvergabe („nur“ 23 Punkte) und später auch in einem Beratungsgespräch auf das Defizit aufmerksam zu machen. Zu letzterem kommt es nicht, da die beiden nicht erscheinen. Gleichwohl ruft die Mutter mich am nächsten Tag im Büro an: „Wieso nur 23 Punkte? Das ist eine Unverschämtheit, meine Tochter hat sooo gut gespielt!“ Kein Wort zum Pianisten, der kommt bei ihr gar nicht vor. Ich versuche ihr klar zu machen, was in dieser Kategorie eigentlich gefordert ist und schlage vor, zum Landeswettbewerb eine Programmänderung vorzunehmen. „Ausgeschlossen, das bleibt so!“ Ich versuche noch, den „Geist der Ausschreibung“ weiter zu erklären und mache darauf aufmerksam, dass auch die nächste Jury ähnlich entscheiden könnte. Keine Chance! Das Ende vom Lied: Das Duo erhält 22 Punkte im Landeswettbewerb und der Landesausschuss erhält einen Brief der Eltern, der mit „Eine Unverschämtheit...“ beginnt.

War das Kammermusik?

Was ist hieraus zu lernen? Erstens: Viele Instrumentalpädagogen (auch Eltern) missverstehen die beiden Kategorien „Duo: Klavier und ein Streichinstrument“ und „Duo: Klavier und ein Blasinstrument“ als verkappte Solowertung mit der lästigen Vorgabe, einen jugendlichen „Begleiter“ einsetzen zu müssen.

Zweitens: Was formal zugelassen ist, ist noch lange nicht unbeschränkt geeignet für die Programmgestaltung in dieser Kategorie. Eine selbstkritische Frage, ob das Programm den Kern trifft, muss sich das Duo, muss sich der Pädagoge oder die Pädagogin schon noch stellen.

Ein anderes Problem stellte sich mir in meiner Funktion als Projektleiter eines großen Landeswettbewerbs. Ich ging in diesem Jahr daran, alle mir vorliegenden Programmhefte der Regionalwettbewerbe unseres Bundeslandes auf die Regelkonformität der Programme der Duokategorie zu überprüfen. Ergebnis: Bis zu 60 Prozent der Programme waren nicht korrekt! Da fanden sich Violinsonaten von Händel, Cellosonaten von Benedetto Marcello, es gab Werke, die im Original vom Orchester begleitet werden und es gab Programme in höheren Altersgruppen mit Auszügen aus mehr als zwei Werken (davon keines vollständig) und so weiter.

Viele Teilnehmerinnen und Teilnehmern musste ich dann später kontaktieren und um Änderung ihrer Programme zum Landeswettbewerb bitten. Die Reaktionen von Schülern, Lehrern, Eltern kann man sich ausmalen, mussten doch innerhalb nur weniger Wochen neue Werke einstudiert werden.

Das Fazit: Instrumentalpädagogen und Eltern, die über eine Teilnahme von Schülern und Kindern in einer der genannten Kategorien nachdenken (die nächste Gelegenheit bietet sich schon 2013), sollten unbedingt die Vorgaben der Ausschreibung (www.jugend-musiziert.org) beachten und sich darüber hinaus Gedanken machen, ob die ausgewählten Werke wirklich dem beschworenen „Geist“ des Kammermusikspiels entsprechen. 

Wenn beides zutrifft, liegen die Chancen auf ein gutes Wettbewerbsergebnis deutlich höher, als wenn, wie im obigen Beispiel, ein eher für Solowettbewerbe geeignetes Programm vorgetragen wird.

Zweimal Solo ist nicht gleich Duo

Im selben Jahr nahm übrigens auch ein Duo mit Violoncello und Klavier am Wettbewerb teil, dessen Programm vielen Verantwortlichen und Juroren ideal erschien: Beethovens Sonate op. 69 (komplett) und Chopins Polonaise brillante. 

Es beinhaltete also einerseits ein zentrales Werk der Kammermusik für Klavier und Violoncello, andererseits hatte die Cellistin in der Polonaise auch die Möglichkeit, virtuoses Können zu zeigen. Die Jurys aller Wettbewerbsstufen gaben den beiden Recht und vergaben hohe und höchste Auszeichnungen.

Was aber ist zu tun, wenn die Kinder noch klein sind und die Auswahl spielbarer Literatur für das Melodieinstrument in der geforderten Charakteristik nicht sonderlich groß ist? 

Hier sorgt die Ausschreibung insofern vor, als in den Altersgruppen I und II auch Auszüge aus Kammermusikwerken zulässig sind. Teile aus bis zu drei Werken dürfen gespielt werden. Aber Vorsicht: Auch hier sind keine Bearbeitungen von Orchesterwerken und keine Stücke mit Basso-continuo-Begleitung zugelassen. Insbesondere die Pädagogen sind an dieser Stelle gefordert, aus den vorliegenden Unterrichtswerken und aus dem allgemeinen Fundus kindgerechter Literatur geeignete Werke auszuwählen. Hindemiths „Drei leichte Stücke“ kommen mir in den Sinn, die Sonatine für Violine und Klavier von Harald Genzmer oder die „Pièces Faciles“ für Flöte und Klavier von Eugéne Bozza.

Und wenn immer noch Mangel an geeigneten Stücken herrscht? Dann könnte man vielleicht an einen Kompositionsauftrag denken, wobei man dem Komponisten oder der Komponistin genau erklären müsste, was alles es zu beachten gilt – ansonsten ist anzuraten, bis zum nächsten Solowettbewerb des Instruments zu warten, bei dem die Vorgaben günstiger sind. Diese Entscheidung wäre dann immer noch einer Beugung der Regeln (mit der Gefahr einer Zurückweisung auf Landesebene) vorzuziehen.

In Zweifelsfällen sind die Regionalausschüsse, die Landesausschüsse und die Bundesgeschäftsstelle gern behilflich, das projektierte Programm auf seine Eignung zum Wettbewerb in den Duo­kategorien zu überprüfen.

Michael Bender, Projektleiter
„Jugend musiziert“ NRW

Print-Rubriken
Unterrubrik