Im aktuellen Jubiläumsartikel spricht Generalsekretär Uli Wüster mit Prof. Martin Christoph Redel über das Verhältnis der JMD zur zeitgenössischen Musik und die Förderung junger Komponierender. Der renommierte Komponist Redel, heute emeritierter Professor für Komposition und Rektor der Musikhochschule Detmold, war von 1992 bis 2004 Bundesvorsitzender der JMD und ist seitdem ihr Ehrenpräsident. Vor 35 Jahren gründete er den Bundeswettbewerb Jugend komponiert, dessen Künstlerischer Leiter er bis 2015 war.
Ulrich Wüster: Im „Kitzinger Manifest“ von 1953, unserem allerersten Leitbild, heißt es: „Die MJD bekennt sich zur Musik unserer Zeit. Sie will offen sein für alles Neue…“.
Martin Christoph Redel: Diese Formulierung geht auf die damals aktiven Mitwirkenden zurück, da waren ja einige Komponisten dabei: Fritz Büchtger etwa, Josef Anton Riedl oder Klaus Hashagen. Nach dem Krieg war es sicherlich Vielen ein Anliegen, dass man sich der zeitgenössischen Musik und insbesondere der, die unter den Nazis nicht gespielt werden durfte, wieder stärker zuwandte.
Wüster: Dass sich aber vermehrt Komponisten bei der JMD eingefunden hätten, lässt sich wohl nicht sagen. Die JMD hat sich auch nie als Standesorganisation verstanden. Es ging immer um die musikalische Jugend. Und das war auch dem einen oder anderen Komponisten ein Anliegen.
Redel: Klaus Hashagen, einer der JMD-Gründer, hat schon früh Elektronik gemacht. Er war lange Zeit beim Bayerischen Rundfunk Studio Franken in Nürnberg für die Musik zuständig und hat da vielen jungen Komponisten eine Chance gegeben. Sein Einfluss war sicherlich maßgeblich, dass die Jeunesses die Neue Musik immer unterstützt und gefördert hat. Helmut W. Erdmann kenne ich vor allem als Flötisten, auch er ist Komponist. In Lüneburg macht er seit Jahrzehnten ein Festival und eine internationale Studienwoche zeitgenössische Musik, wo auch die Live-Elektronik, sein Spezialgebiet, eine Rolle spielt. In Hamburg hatte Detlev Glanert seinen ersten Erfolg mit einem Werk für das Hamburger Jugendorchester. Das Stück hieß „Aufbruch“, und damals kannte ihn noch keiner. Aber danach war der Grundstein gelegt. Heute ist er ein international anerkannter Komponist insbesondere auf dem Gebiet der Oper.
Wüster: Bei der „Inbesitznahme“ der TauberPhilharmonie Weikersheim 2019 haben wir den „Aufbruch“ wieder mal gespielt. Da war er auch persönlich da, er ist ja auch JMD-Mitglied. Aber wie hast du selbst den Weg zur Jeunesses gefunden?
Redel: Mein erster Besuch in Weikersheim war 1967: ein Schlagzeug-Kurs bei Siegfried Fink – auch ein Komponist. Ich kam dann durch Vermittlung Klaus Bernbachers mit dem Landesjugendorchester NRW in Kontakt, das damals meine Komposition „Strophen“ im Rahmen des Kulturprogramms der Olympiade 1972 uraufgeführt hat. Damals lernte ich Rainer Cadenbach kennen, der die Camerata der Uni Bonn leitete und im Vorstand der JMD war. Er hatte als erster die Idee, warum es nicht „Jugend komponiert“ geben solle, wo es doch „Jugend musiziert“ gab.
Wüster: Die treibenden Personen waren du und der 2012 zu früh verstorbene Theo Brandmüller, Komponist, Organist und Hochschullehrer in Saarbrücken. Wie waren die Anfänge, und wie wurde ein Bundeswettbewerb daraus, der mit der „Kompositionswerkstatt Schloss Weikersheim“ ein bis heute einzigartiges Förderangebot für jugendliche Komponierende darstellt?
Redel: In den allerersten Anfängen, etwa 1973, war das ein Kurs, bei dem Jeder einsenden oder mitbringen konnte, was er an Kompositionen hatte, ob für Orchester oder Flöte allein. Da sollten Jazzer kommen, Elektroniker ebenso wie Liedermacher und „normal“-Komponierende. Das war dann doch ein sehr buntes Gemisch. Eigentlich wollten wir erreichen, dass sich der Liedermacher mal für Elektronik interessiert oder der Elektroniker auch mal für Streichquartett. Das hat leider so nicht funktioniert, so dass wir uns darauf besannen, diese Kurse rein für instrumental Komponierende auszulegen. Ein Problem bestand vor allem darin, dass wir keine Instrumentalisten hatten, die das spielen konnten. Und man war natürlich technisch auch noch nicht so weit, dass Jeder einen Tonträger mitbringen konnte. Ein entscheidender Impuls ging von dem Komponisten Klaus Wüsthoff aus Berlin aus. Der war auch mal in Weikersheim bei unserem Kurs und nannte das Problem beim Namen: dass die jungen Leute doch hören müssten, was sie da komponiert haben.
Wüster: Dank der Kooperation mit dem Deutschen Musikrat und dessen Bundesauswahl Konzerte Junger Künstler, dem Stipendiatenprogramm zum Deutschen Musikwettbewerb, garantieren ja hervorragende junge Instrumentalisten*innen für kompetente Interpretationen ...
Redel: ... und tauschen sich mit unseren Preisträgern und Preisträgerinnen in der Kompositionswerkstatt lebhaft aus, spielen die Sachen dann im Konzert und für die CD in Studioqualität. Ich habe damals von der Musikhochschule Detmold, die als eine der ersten einen Studiengang für Tonmeister hatte, junge Kollegen dieser Zunft dafür eingebunden. Der Musikrat war von Anfang an dabei, als 1985 die Gründungsverhandlungen mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung über einen zu fördernden Bundeswettbewerb zu eben diesem führte, der 1986 erstmals stattfand und seitdem eine – man darf sagen – Instanz im deutschen Musikleben geworden ist.
Wüster: Im Unterschied zu dem weiter bestehenden offenen Kompositionskurs „Jugend komponiert“ hieß der Wettbewerb zunächst „Schüler komponieren – Treffen junger Komponisten“, firmierte später als „Bundeswettbewerb Komposition“ und erhielt erst 2013 wieder seinen ursprünglichen Namen „Jugend komponiert“.
Redel: Ja, aber drin war immer dasselbe, von Anfang an das gute und bis heute tragfähige Konzept mit der „Kompositionswerkstatt Schloss Weikersheim“ im Zentrum.
Wüster: Damit hatte die Jeunesses genau die Nische im Thema „Musik unserer Zeit“ gefunden, die zu ihr passt, in der sie erfolgreich ist und Profil gewonnen hat. Es waren ja auch stets interessante und namhafte Dozenten und Dozentinnen dabei. Heute sind schon Alumni von früher darunter, etwa Charlotte Seither, Benjamin Schweizer, Harald Münz, Ulrich Kreppein …
Redel: Von Anfang an sorgten „berühmtere“ Kolleginnen und Kollegen für Attraktivität und breite Orientierung: Giselher Klebe, Helmut Lachenmann, Isang Yun, Rudolf Kelterborn, Dieter Schnebel, Peter Michael Hamel, Detlev Glanert, Michael Denhoff, Adriana Hölzsky, Gordon Kampe, Moritz Eggert, Violeta Dinescu – man kann sie gar nicht alle aufzählen.
Wüster: Aber auch unsere Projektleiter*innen bei der JMD sollte man kurz nennen: Da war anfangs der Weikersheimer Kurt Menzel, der auch für die Tonbandaufnahmen sorgte und die erste Festschrift 1992 erstellte; bis 2008 hielt meine Kollegin Barbara Kampa „ihre Komponisten“ zusammen, bis 2015 meine damalige Assistentin Kamala Börngen, und seitdem ist es Anja Knab – auf einer vom Bundesbildungsministerium finanzierten Stelle.
Wüster: Du hast die Künstlerische Leitung 2015 nach 30 Jahren an Philipp Vandré weitergegeben, der als Pianist, Komponist und Leiter der Kompositionsklasse der Stuttgarter Musikschule dieses Erbe mit behutsamen Aktualisierungen in die Zukunft führt. Wir bieten etwa Anschlussförderungen für Bundespreisträger*innen mit kleinen Kompositionsaufträgen, zum Beispiel in Kooperation mit der „Initiative Neues Zeug“. Der Wettbewerb erfreut sich jährlich einer hohen Zahl von zirka 200 Einreichungen von etwa 130 komponierenden Jugendlichen bei insgesamt beachtlichem Niveau.
Redel: Es ist erfreulicherweise wesentlich mehr geworden, was an Förderung von jungen Komponierenden stattfindet. Es gibt einige Landeswettbewerbe zum Teil nach unserem Vorbild, teils auch anders ausgerichtet. Es gibt Initiativen, wo sich Profiorchester der Förderung junger Komponierender zuwenden. Es gibt eine ganz ansehnliche Anzahl von Kompositionsklassen überall im Land, zum Teil mit einiger Tradition, aber auch viele neue. Ich glaube, dass diese Dinge letzten Endes auch ein bisschen damit zu tun haben, dass die Förderung von jungen und jüngsten Komponisten von Weikersheim aus ausgestrahlt hat.
Wüster: Philipp Vandré hat die Fahne der Jeunesses auch im sich entwickelnden Spezialgebiet „Kompositionspädagogik“ hochgehalten. Er ist zum Beispiel Mitautor des Musikschul-Lehrplans „Komposition“. Wir wollen auch den Lehrpersonen an Schulen und Musikschulen Impulse geben, die bei jungen Menschen die kreative Fähigkeit, eigene Musik schreiben zu wollen und zu können, wecken. Die JMD hat zwei Symposien und die „Weikersheimer Gespräche zur Kompositionspädagogik“ mit führenden Fachleuten ausgerichtet und publiziert. 2015 schloss sich das Projekt KomPäd mit der Uni Köln an, das ein Fortbildungskonzept für die Zielgruppe der hauptberuflichen Komponisten und Komponistinnen zum Inhalt hatte.
Redel: Ja, denn auch „normale“ Komponisten können ja die Fähigkeit haben, kompositorische Aspekte pädagogisch sehr erfolgreich an die Jungen heranzubringen. Es ist zu wünschen, dass sich das auch an den Musikhochschulen angemessen etablieren lässt.
Wüster: „Neue“ Musik hat die Jeunesses stets begleitet. Von Beginn an hatten unsere Mitgliedsorchester Zeitgenössisches im Programm. Heute versuchen wir, ihnen mit Auswahllisten von „praxisgeprüften“ Werken und einem Notenkoffer der Verlage Orientierung und Anreiz zu geben. Immer setzten sich Mitglieder der JMD auch in ihrem beruflichen Umfeld dafür ein, stellvertretend will ich mal Klaus Bernbacher in seiner damaligen Tätigkeit bei Radio Bremen nennen. Darüber hinaus hat die JMD auch mit dem einen oder anderen Projekt „aufhorchen“ lassen.
Redel: Da würde ich vielleicht das seinerzeit doch wegweisende Konzept „Jeunesses moderne“ nennen, das ich von 2001 bis 2007 mit dem damaligen Direktor des Konservatoriums in Lyon Henri Fourès und dem Kollegen Reinhard Flender aus Hamburg leiten durfte. Ein wunderbares, weil hoch intensives Masterclass-Format für Musikstudierende, bei dem namhafte Künstler und Künstlerinnen aus Deutschland und Frankreich als Dozenten tätig waren, etwa die Flötistin Carin Levine oder der Geiger Marc Danel. Es ging nur um zeitgenössische Musik. Im Zentrum stand eine Arbeitswoche, in der die Werke erarbeitet wurden. Um die Ohren für ungewohntes Klanggeschehen zu öffnen, wurde auch sehr konzentriert mit Improvisation gearbeitet. Immer wurden Auftragswerke vergeben, etwa an Moritz Eggert, Miroslav Srnka, Sascha Lino Lemke, Tobias PM Schneid und andere, die dann auch selbst dabei waren. Das war zu jener Zeit, als es noch keine bundesweite „Initiative Neue Musik“ und noch kein einziges Landesjugendensemble für Neue Musik gab, ein wirklich bahnbrechendes Angebot.
Wüster: „Komposition“ für und mit ausübenden Musiker*innen und bewusst in die Kategorie „Experimente“ gehend, war unser „eCommunity“-Projekt 2006 bis 2008. Das hatte eine Linie für Studierende, in der die Kompositionsklasse der Frankfurter Hochschule von Gerhard Müller-Hornbach Stücke schrieb, im direkten Kontakt mit Instrumentalstudierenden unter Leitung des Aeolian-Bläsertrios. Es gab einen rein elektronischen Teil in Verbindung mit dem ZKM Karlsruhe. Dann wirkte die Stuttgarter Musikschule mit einem von der dortigen Kompositionsklasse von Philipp Vandré geschriebenen Musical mit. Und es gab eine spannende „Klanggestaltungs“-Werkstatt mit Kindern aus Weikersheim, Winsen und Wittenberg unter Leitung von Matthias Kaul und Astrid Schmeling.
Redel: Dann hattet ihr doch auch ein „Stadtkomponist Weikersheim“-Projekt, bei dem Charlotte Seither und danach Babette Koblenz involviert waren. Leider führte das nicht zu einem fortgesetzten Engagement der Stadt, schade.
Wüster: Und dann wäre da noch 1993 die Europäische Erstaufführung der Oper „Orphée“ von Philipp Glass in Weikersheim, initiiert von Heribert Schröder, der damals schon für Dennis Russel Davies arbeitete, der mit Glass befreundet war ...
Redel: Das war nun wirklich ein Event! Einen solchen „Rummel“ hat Weikersheim weder vorher noch nachher erlebt. Wie viele Fernsehstationen hatten sich da angemeldet, um diese Premiere zu filmen! Ein Beispiel dafür, dass es auch zeitgenössische Musik gibt, die äußerst populär ist.