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Kurse, die es in sich haben

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Zur Vielfalt der musikalischen Jugend- und Nachwuchsbildung in Deutschland
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„Dass ich in meiner Jugend an Sommerkursen der Jeunesses teilgenommen habe, hat meinen musikalischen Enthusiasmus erst so richtig entfacht und meinem beruflichen Weg als Musiker die Richtung gegeben.“ Reinhart von Gutzeits Weg führte über das Schulmusik-Studium in die Welt der Musikschulen, er leitete die Musikschule Bochum, wurde Bundesvorsitzender des Verbands deutscher Musikschulen, war 25 Jahre Vorsitzender des Projektbeirats von „Jugend musiziert“, wurde Rektor des Bruckner-Konservatoriums Linz und danach des Mozarteums in Salzburg. Die musikalische Förderung von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen – in Breite und Spitze, von den ersten Anfängen bis zur Berufsausbildung – wurde so zu seiner Lebensaufgabe. Der Rückblick, dass seine mehrfachen Jeunesses-Kurs-Erlebnisse die entscheidende Weichenstellung und Prägung waren, bewegte ihn dazu, Persönliches Mitglied der JMD zu werden und die Organisation zu stärken, die ihm in früher Jugend eine Vision und Kraft dazu gegeben hatte.

Aus der persönlichen Begegnung, dem gemeinsamen Musizieren mit dem Streben nach künstlerischem Anspruch waren die Anfänge der Jeunesses Musicales in Deutschland entstanden: Schon die Bayreuther Musikstudententreffen, von MJD-Gründer Herbert Barth initiiert, folgten einem Konzept von Lernen, Austausch und Wahrhaftigkeit im Musizieren, das seither allen Kursen der JMD innewohnt. 1956 fand man in Weikersheim mit den von Bund, Land und Kommune geförderten Internationalen Sommerkursen für Orchester und Kammermusik eine stabile Basis. Von Mitte Juli bis Mitte September konnten sich Musikstudent*innen aus Deutschland und dem Ausland in wochenweise wechselnde Orchesterkurse einschreiben, durchgeführt von namhaften Dirigenten wie Hermann Scherchen, Franz Paul Decker, Werner Egk. Parallel fanden Meisterkurse für Streicher beziehungsweise Bläser statt, unter Professoren wie Siegfried Palm, Auguste Brunier, René Le Roy, Gustav Scheck oder Siegfried Fink, der dem damals kaum beachteten Schlagzeug die Bahn brach. 1959 setzte Klaus Bernbacher, der später noch lange die künstlerische Leitung der Sommerkurse innehatte, auch „Oper“ aufs Programm – damals ein weltweit konkurrenzloses Kurs­event, heute eine veritable „Akademie“ für junge Profis auf, vor und hinter der Bühne. Weikersheim galt lange Zeit als das „Dritte Semester“ – und eines mit Auswirkung: Da die Hochschulen damals fast nur das klassische Solistentum fokussierten, schloss das Sommerangebot eine echte Ausbildungslücke. 1970 etwa stellte man fest, dass sich „in fast allen Kulturorchestern … junge Musiker bewähren, die an den Internationalen Sommerkursen der MJD teilgenommen haben.“

Daneben florierten seit den 1960ern über 25 Jahre lang die von Klaus Börner initiierten „Arbeitswochen für Kammermusik und Orchester“ in Klappholttal auf Sylt, die sich dezidiert an jüngere Instrumentalisten*innen wandten. Ein Jazzkurs an der Akademie Remscheid entwickelte sich unter Mitwirkung von Glen Buschmann, Wolfgang Dauner und Klaus Doldinger zu einer Werkstattwoche mit wegweisendem Fortbildungscharakter. Da die JMD-Landesverbände – anfangs kaum als solche existent – bis heute fast vollständig auf ehrenamtlicher Basis arbeiten, waren deren Kursangebote über die Jahrzehnte wechselhaft. Von Bestand aber erwiesen sich die von Helmut W. Erdmann in Lüneburg durchgeführten Kurse für (zeitgenössische) Kammermusik und Live-Elektronik, der von Claudia Klemkow-Lubda betreute Jugend-musiziert-Kammermusikkurs in Hamburg, die „Holzbläser im Schloss“ in Baden-Württemberg und insbesondere die von Hans Josef Menke von Nordrhein-Westfalen aus aufgebauten deutsch-französischen Musikferien, die seit über 30 Jahren das Musizieren mit Sprachanimation und Freizeitprogramm für Kinder und Jugendliche verknüpfen.

Kursprogramm

Nach Errichtung der „Musikalischen Bildungsstätte“ in Weikersheim wurden in den 1980er-Jahren mehr Kurse auch übers Jahr ins Programm genommen, zum Teil wieder Lücken im Studienprogramm der Hochschulen füllend wie die von Generalsekretär Claus Harten initiierten „Probespieltrainings“ für Streicher beziehungsweise Holzbläser, die über 20 Jahre höchst erfolgreich liefen, bis die Hochschulen selbst diese Anforderung integriert hatten. Auch Kurse für jüngere Musiker*innen wurden nun angeboten. Der ebenfalls von Harten begründete „Kammermusikkurs für junge Instrumentalisten“ läuft bis heute als einer der „Idealkurse“ der JMD, verbindet er doch das jugendliche Streben nach außergewöhnlichen musikalischen Leistungen mit dem Kennenlernenwollen von „tollen Stücken“ und „neuen Leuten“ in einer dafür extrem empfänglichen Lebensphase. Es kamen Jazzkurse für Amateure dazu, als Jazz noch für viele „Klassiker“ ein unbekanntes Land war. Es gab Percussionkurse, als dieses Instrumentarium noch lange nicht als ernstzunehmend angesehen wurde. Es wurde ein „Jugend komponiert“-Kurs etabliert, auch mit einem gewissen Exotenstatus eine Leerstelle der Musikpädagogik schließend, woraus sich später unter Leitung von Theo Brandmüller und Martin Christoph Redel der Bundeswettbewerb Jugend komponiert entfaltete, der 2021 seinen 36. Jahrgang erlebt. Es wurde mit der dezidierten Funktion der JMD als Verband junger Orchester ein Dirigierseminar für Jugendorchesterleiter*innen eingerichtet, das lange unter Leitung von Karl-Heinz Bloemeke und Constantin Alex erfolgreich war und in dessen Fokus heute weniger das Dirigieren selbst als die Herausforderung steht, Jugendlichen im Orchesterspiel eine zeitgemäße „Erfüllungsperspektive“ zu eröffnen. Übrigens gab es hauptsächlich in den 1990er-Jahren auch ein Orchesterlager über den Jahreswechsel.

Die Internationalen Sommerkurse erfuhren Mitte der 1990er-Jahre unter Generalsekretär Thomas Rietschel einen weichenstellenden Professionalisierungsschub: Der Internationale Kammermusikkurs wurde mit Protagonisten wie dem Artemis Quartett und anderen Weltklasse-Dozenten zu einer Profil-Schmiede für junge Ensembleformationen, Vorstandsmitglied Heribert Schröder glückte beim Opernkurs der „Klimmzug“ zur bis heute konkurrenzbeständigen jung-professionellen Kurs-plus-Festival-Konzeption.

Schlüsselprozesse

Für Generalsekretär Uli Wüster bedeuten „die Kurse“ einen pädagogischen Schlüsselprozess für die Verwirklichung der JMD-Ideale: Seit 2004 sind das Children’s Cello Camp von Sabine Heimrich mit dem gleichzeitigen Junior Geigen Camp absolute „Renner“ und bieten mit dem Young Cello/Geigen-Camp Anschlussfähigkeit für Orchester und Kammermusik. Das Sommer-Camp der Jugend­initiative „mu:v – Musik verbindet“ bietet seit 2010 jungen Musikbegeisterten ein Programm von 30 Workshops und Kursen, „die über das hinausgehen, was man so im Musikschulunterricht erlebt.“, wie Toni Rack, einer der damaligen Initiatoren, es formulierte. Seit 2013 verwirklicht das ETHNO Germany Music Camp, für die JMD auf der Jugendburg Thallichtenberg vom Landesverband Rheinland-Pfalz organisiert, mit jungen Teilnehmenden aus allen Kontinenten eine exzeptionelle Folk-/Traditional-Gemeinschaft Mit der 2017 bis 2019 neu entwickelten ETHNO-Leader-Fortbildung eröffnet die JMD dieses interkulturelle Musizieren auch für die musikalische Jugendbildung. Im High-End-Bereich ist das exzellenz labor oper, eine Konzeption von Hedwig Fassbender, ein international erfolgreiches Sprungbrett für junge Sänger*innen und Korrepetitoren*innen, und in seiner elder-peer-kollegialen Chamber Music Academy wagt das junge Notos Quartett mit hochmotivierten Studierenden gemeinsame interpretatorische Exkursionen. 

Zukunftsorientiert

Mit einer neuen Referenten-Stelle „Musikalische Jugendbildung“ hat sich die JMD seit 2020 für das Thema „Kurse“ zukunftsorientiert aufgestellt. Die Perspektive für den neuen Kollegen Lorenz Blaumer ist ambitioniert: Den Bestand wertvoller Kurse behutsam am sich wandelnden Bedarf weiter zu entwickeln, ist das Eine, was stets zum Erfolgsprinzip gehörte – immerhin erleben etwa die „Sommerkurse“ mit ungebrochener Dynamik ihren 66. Jahrgang – neue Angebote und Formate zu konzipieren, das Andere: Im Jubiläumsjahr geht an der Musikakademie in Weikersheim eine neue Reihe von Impuls-Workshops für Jugendorchester an den Start. „Empowerment“-Coachings zur Qualifizierung jungen Engagements in der Musik werden entwickelt, etwa für JM-Botschafter*innen in den Jugendorchestern, für junge Projektorganisatoren bei mu:v oder im Rahmen der ebenfalls neuen NMZ-Akademie für junge Musikjournalist*innen. Auch andere „Vertriebswege“ werden gesucht, denn der Weg nach Weikersheim ist für Manche weit. Mit JMDvorORT werden dezentrale Angebote erprobt, die Kooperation mit örtlichen Musikschulen gesucht.  Die JMD nutzt die Digitalisierung, etwa beim neuen Digital-analogen Klanglabor oder bei „JMX“, einer brandneuen Innovationsplattform für junge, engagierte Musiker*innen – wird aber ihr Kernanliegen nicht aufgeben: Wenn „der Mensch im Mittelpunkt der Musik“ stehen soll, dann bleibt die authentische Begegnung und das gemeinsame Musizieren, welches nur in dieser Live-Situation seine lebendige und animierende Kraft entfaltet, auch in Zukunft unser Fokus.

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