Über die Grenzen des eigenen Genres, Ensembles oder Instrumentes hinweg Neues entdecken, musikalische Bekanntschaften außerhalb des Gewohnten machen – spontan begeisterte sich Martin Grubinger für „mu:v – Musik verbindet!“, die junge Initiative der JMD. Julia Sinnhöfer und Toni Rack vom mu:v-Team haben ihn in Leipzig und in Köln getroffen.
Julia Sinnhöfer: Hallo Martin!
Martin Grubinger: Hallo!
Julia: Du hast ja bereits im Alter von vier Jahren angefangen, Schlagzeug zu spielen. Warum Schlagzeug?
Martin: Mein Vater ist Lehrer für Schlagzeug an der Uni in Salzburg, und ich war immer dabei, wenn er unterrichtet hat. Ich durfte zuhören und am Ende des Unterrichts durfte ich dann auch zehn Minuten ran. So hat sich diese Liebe entwickelt.
Julia: Du sagst, das Schlagzeug sei das Instrument des 21. Jahrhunderts. Was fasziniert Dich so daran?
Martin: Die vielfältige Instrumentenwahl. Wir haben Instrumente aus Lateinamerika, aus Afrika, aus Europa, aus Nordamerika und aus Asien. Dieses Globale, was die Perkussion mit sich bringt, ist etwas Aufregendes. Und als Zweites natürlich die ganzkörperliche Aktion: Als Schlagzeuger ist man nicht nur Musiker, sondern in gewisser Weise auch Sportler. Es macht einfach Spaß, wenn man den Rhythmus mit dem ganzen Körper leben kann.
Julia: Du treibst selber auch Sport?
Martin: Ja, ja. Radfahren und Bayern München. Bayern München ist super cool.
Toni Rack: 2006 hast Du in vier Stunden Konzertmarathon acht Schlagzeugkonzerte am Stück gespielt. Und das alles auswendig! Du hast damit gezeigt, dass Du Grenzen gerne ausreizt und sogar überschreitest. Viele haben geglaubt, dass das nicht realisierbar ist, aber Du hast es wirklich gemacht. Woher nimmst Du die Kraft, und was fasziniert Dich an den Extremen?
Martin: Am Limit zu sein ist etwas Besonderes. Man lernt die Leute ganz anders und viel besser kennen. Wenn ich mit meinen Kollegen im Ensemble spiele, und wir sind alle schon im Grenzbereich, dann erfährt man, wie der andere tickt: Ist er jemand, der sehr extrem denkt und dann noch volles Risiko geht, oder ist er jemand, der sich ein bisschen zurückhält und immer etwas Raum für alle Fälle lässt? Man lernt das Publikum, das Orchester, den Dirigenten, die Komposition, sich selbst nur kennen, wenn man sich in einer Extremsituation befindet. Und wie halte ich das durch? Na ja, ich habe ein bisschen geübt und Sport gemacht und mich über Monate vorbereitet, und dann hat‘s geklappt.
Toni: Wie würdest Du für Dich die Aspekte Talent, Disziplin und Spaß beim Musizieren gewichten?
Martin: Ich würde sagen, Talent 25 Prozent, Disziplin 50 Prozent … Der Rest ist Spaß!
Julia: Du spielst mit unzähligen Schlaginstrumenten die verschiedensten Musikrichtungen. Wie wichtig ist es Dir, nicht auf ein Genre festgelegt zu sein?
Martin: Das ist unser Leben! Die Perkussion hat ihre Wurzeln eigentlich in der Latin-Perkussion-Musik, auch Südamerika, es gibt große Meister aus Burkina Faso oder Nigeria und die Taiko-Tradition aus Asien. Und natürlich ist die Perkussion auch ganz wichtig im Bereich Jazz. Die Perkussion spielt eigentlich in jeder Richtung, in jedem Genre eine Rolle. Bei mir im Konzert kommt es vor, dass ich am Anfang zeitgenössische Musik mache, dann mache ich Tango, nach der Pause Salsa, Samba, Rock, Funk-Fusion, und am Ende spiele ich einen Choral von Bach. Da ist für jeden etwas dabei. Diejenigen, die wegen des Salsa kommen, hören sich den Bach und das Zeitgenössische an, und die wegen der zeitgenössischen Musik kommen, befinden sich plötzlich mitten in einer Samba.
Julia: Was, glaubst Du, entgeht Menschen, die kein Instrument spielen?
Martin: Sehr viel! Die Musik und das Instrument geben uns die Möglichkeit zu kommunizieren. Wenn ich zum Beispiel in Frankreich bin – ich spreche leider nicht Französisch – kann ich mit den Musikern dort über die Musik kommunizieren und lerne die Leute dadurch auch sehr gut kennen. Wenn man kein Instrument spielt, verpasst man aber auch ganz klar gesellschaftlich relevante Dinge. Durch ein Instrument ist man sozialer, teamfähiger, kreativer, friedfertiger, einfach besser! Und deshalb sage ich: Instrumente für alle!
Toni: Wie würdest Du zum Beispiel einen Rockmusikfan für ein klassisches Konzert motivieren?
Martin: Wenn ich bei mir zu Hause in den Musikverein in Wien gehe und Händel oder Haydn höre – dann hat das immer einen Flow. Letztens war ich bei Nicolaus Harnoncourt und habe gesagt: Maestro, das Tolle an Ihrer Musik ist: Es groovt immer! Und er hat gesagt: Ja, genau darum geht‘s! Das ist wie im Jazz. Genau das ist der Ansatz: Dass Musik zum Tanzen anregt, zum Bewegen, dass man in jeder Weise mit Musik befasst ist, mit jeder Faser des Körpers leben und mitfühlen kann.
Toni: Warum lohnt es sich, in der Musik neugierig zu bleiben?
Martin: Wir leben in einer globalen Welt, und das Internet und die Medien geben uns die Möglichkeit, extrem schnell und vielseitig zu agieren. Wir können mittlerweile einfach alles hören. Man kann sehr schnell herausfinden, wer ist der schnellste Schlagzeuger, wer ist der lauteste Schlagzeuger, wer ist der vielseitigste, der beste, … Die Neugierde ist es, was uns antreibt. Natürlich haben wir hier in den schönen Sälen Europas und weltweit die Möglichkeit zu spielen, aber verarbeiten können wir das alles nur dann, wenn es ein Publikum gibt, das uns zuhören will, und wenn wir Repertoire entdecken, das für das Publikum auch etwas Neues bedeutet.
Julia: Noch ein paar kurze Fragen zum Abschluss: Mit welcher Musik würdest Du Dich fünf Tage im Keller einsperren lassen?
Martin: Mahler! (lacht)
Julia: Die drei Prioritäten Deines Lebens sind?
Martin: Musik, Humanismus und Kampf gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus.
Julia: Wo siehst Du Dich in zehn Jahren?
Martin: Ich hoffe, mit meinem Instrument in diversen Konzertsälen; aber ganz wichtig ist, dass wir versuchen, mit dieser Musik mehr zu erreichen, als nur im „Konzertsaal“ zu spielen. Wir wollen die multikulturelle Botschaft dieses Instruments weiter tragen. Dankenswerter Weise habe ich immer wieder die Möglichkeit, das auch öffentlich kund zu tun. Wenn wir in 10 Jahren mehr Toleranz für all diese Traditionen und Kulturen schaffen können, dann haben wir viel erreicht.
Julia: Dankeschön Martin! Wir danken Dir, dass Du Dir Zeit für uns genommen hast, wünschen Dir alles Gute und freuen uns schon auf Deine nächsten Konzerte!
Martin: Danke sehr! Danke!