Jugendliche und Berufsmusiker musizieren gemeinsam an einem Pult. Unmittelbarer und sympathischer kann Orchesternachwuchsarbeit nicht sein. Aktuell sind über 100 Jugend- und Profiorchester in einer tutti pro-Patenschaft engagiert. Wie sich dabei Arbeit teilen und Freude verdoppeln lässt, darum ging es in einem von JMD, DOV und VdM gemeinsam veranstalteten Symposium am 19. Mai in Stuttgart.
In einer Präsentation stellten JMD-Generalsekretär Ulrich Wüster und die Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung Gerald Mertens und des Verbands deutscher Musikschulen Matthias Pannes zunächst die Idee und inhaltlichen und formalen Rahmenbedingungen der tutti pro-Orchesterpatenschaften vor. Die gemeinsame Initiative der drei Verbände ist bereits seit 2004 erfolgreich und findet als ein verbürgtes Qualitätssiegel auch die Aufmerksamkeit und Anerkennung der Politik. Einige aktuelle Spotlights vermittelten einen ersten Eindruck der vielfältigen Möglichkeiten, wie eine Patenschaft ausgestaltet werden kann.
Disziplin und Leidenschaft im Zusammenspiel
In der anschließenden Arbeitsgemeinschaft gaben Akteure dreier Patenschaften einen konkreten Einblick in ihre jeweiligen tutti pro-Aktivitäten. Den Anfang machte, als Gastgeber, die Patenschaft zwischen dem Jugendsinfonieorchester der Stuttgarter Musikschule und der Stuttgarter Philharmoniker. „Wenn wir unsere Musiktradition weitergeben wollen, müssen wir Jugendlichen entsprechende Angebote machen“, begründete der Intendant der Philharmoniker Michael Stille das tutti pro-Engagement seines Orchesters. Für ihn sei es faszinierend zu erleben, wie die Jugendlichen das hohe Arbeitstempo in der wenigen gemeinsamen Probenarbeit mitgehen könnten. Damit sprach er Alexander Adiarte, dem Leiter des JSO, ein Kompliment für dessen gute Vorbereitungen aus. Als Herzblut-Jugendorchesterleiter übernimmt Adiarte in der Zusammenarbeit mit dem Berufsorchester die Rolle des Ermöglichers, die sich bei Weitem nicht auf die Erarbeitung des Repertoires der gemeinsamen Konzerte beschränkt. Eine vorausschauende Koordination im Zusammenspiel des Managements gehört ebenso dazu, wie eine verbindliche Teilnahme der Jugendlichen am Projekt sicherzustellen. „Probendisziplin“ zu erleben und zu lernen – dies war denn auch einer der Punkte, die Michael Roser, Solo-Fagottist der Philharmoniker, als ein Angebot seines Orchesters benannte. Für ihn persönlich sei das Wichtigste der direkte Kontakt mit den Jugendlichen: Wenn er eine Stimmprobe übernehme, dann habe das „nichts mit Musikunterricht zu tun“, es gehe vielmehr darum, Tipps, Trick und Kniffe weiterzugeben. Nach einem Konzert einen jungen Kollegen neben sich stehen zu haben „mit leuchtenden Augen, rotem Kopf, der alles gegeben hat und nach dem Konzert in Feierlaune ist“ – dies sei für ihn der Optimalfall und die schönste Bestätigung. Für Kaspar Wachinger (18), Violine, der aus Sicht eines Jugendorchestermitglieds berichtete, sind ebenfalls die Registerproben und die Gelegenheit zum Austausch mit „echten“ Orchestermusikern eine ganz besondere Erfahrung – „noch konzentrierter, weil ungewohnter“. Kurz und treffend auch seine Beschreibung eines weiteren tutti pro-Effekts auf Jugendorchesterseite: „man möchte gut sein, deshalb wird’s dann auch besser!“
Kontinuität bringt Qualität
Dass tutti pro auch für ein Jugendorchester, das als Projektorchester organisiert ist, funktioniert, davon berichteten Brigitte Baldes, Gesamtleiterin der Deutschen Streicherphilharmonie und Claudia Beyer, Bratschistin des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin. Der Verbindung zum Berufsorchester zu verdanken ist etwa, dass die Jugendlichen teils in der Berliner Philharmonie proben und an ähnlich prominenten Orten auftreten können. Im Zentrum auch dieser Patenschaft steht der persönliche Kontakt, sowohl auf musikalischer als auch auf Managementebene. „DSP und RSB verbindet eine dichte, vertrauensvolle Zusammenarbeit, über die ich sehr froh bin. Wir sind nahezu täglich in Kontakt“, so Brigitte Baldes. Alle Dozentenaufgaben würden von Mitgliedern des Berufsorchesters übernommen, und dies bereits seit 30 Jahren. Claudia Beyer, selbst als Dozentin maßgeblich an der Zusammenarbeit der Orchester beteiligt, und als „Talentscout“ für die DSP aktiv, nannte als Ziel, die Jugendlichen über einen möglichst langen Zeitraum intensiv zu begleiten. Auf diese Weise wachse ein persönliches Vertrauensverhältnis. Die Berufsmusiker seien Ansprechpartner, wenn vor Konzerten „psychologische Hilfe“ gebraucht werde, um die Auftrittsangst zu nehmen, bis hin zur Beratung bei der Studienwahl. Die Kontinuität im Dozententeam sei ein wesentlicher Erfolgsfaktor für die Zusammenarbeit der beiden Orchester.
Baustein zum Erfolg
Wieder anders in Recklinghausen. Wo es keineswegs selbstverständlich ist, dass Kinder ein Instrument lernen, gilt es für das örtliche Jugendsinfonieorchester, Basisarbeit zu leisten. Tutti pro kann hier ein weiterer wertvoller Baustein sein, „Orchester“ attraktiv und erfolgreich zu machen und als feste Größe in der Stadt zu verankern. Tutti pro-Partner ist die Neue Philharmonie Westfalen, die durch Lioba Krause vorstellt wurde: Trotz einer extremen Auslastung was die Zahl der Konzertverpflichtungen anbelangt, sei die Philharmonie mit diversen Projekten für die Nachwuchsarbeit engagiert. Gewissermaßen Dreh- und Angelpunkt der Orchesterpatenschaft ist dabei Manfred Hof, der das Jugendsinfonieorchester Recklinghausen dirigiert und leitet und als Trompeter zugleich Mitglied des Berufsorchesters ist. Logistische Hilfe, sei es bei Notenmaterial, sei es beim Leihen von Pauken oder einer Harfe, funktioniert da schnell über den „kleinen Dienstweg“. Höhepunkte sind gemeinsame Konzerte, zuletzt am 10. Mai zum 10-jährigen Bestehen der Patenschaft. Ein Selbstläufer freilich ist tutti pro auch hier nicht. Immer wieder neu braucht es den Anstoß einer der beiden Partner zu einer nächsten gemeinsamen Initiative. Stellvertretend für mittlerweile 54 Patenschaften bundesweit vermittelten die Akteure den Symposiums-Teilnehmern einen sympathischen und lebendigen Eindruck, was tutti pro sein und in Bewegung bringen kann.
Synergien vor Ort und im Erfahrungsaustausch
Raum für Diskussion, Erfahrungsaustausch und die Beantwortung konkreter Fragen bot das abschließende Forum, moderiert von Barbara Haack, Take PArt Kulturberatung und Herausgeberin der neuen musikzeitung. Dabei wurde kollegial-vertraulich auch thematisiert, wo es bisweilen hakt. Schwierig wird es etwa dann, wenn eine Orchesterpatenschaft nicht als „Chefsache“ vom Generalmusikdirektor mit unterstützt wird oder die Anrechnung von Diensten für das Projekt nicht befriedigend geregelt ist. Gerald Mertens verwies hier auf entsprechende Vereinbarungen im Flächentarifvertrag, in dem das Engagement im Bereich Education und Jugendorchester verankert sei und als grundsätzlich gleichrangig eingestuft werde mit der Verpflichtung, ein Konzert zu spielen. Manchen Teilnehmern ging es im Austausch mit den Kollegen darum, nach einer „Durststrecke“ wieder neu Ideen und Motivation zu bekommen, andere nutzten die Gelegenheit, sich aus erster Hand zu informieren, wie sich eine bereits bestehende Zusammenarbeit öffentlichkeitswirksam zu einer tutti pro-Orchesterpatenschaft „upgraden“ lässt. Einig waren sich die Teilnehmer darin, dass tutti pro eine wunderbare Möglichkeit und ein „perfektes Format“ ist, Kontakte zu knüpfen und Synergien zu schaffen für eine gelingende und motivierende Orchester-Nachwuchsarbeit. In der engagierten Diskussion wurde ebenfalls deutlich, dass die Initiative ein gemeinsamer Erfolg aller Beteiligten ist: der tutti pro-Partner vor Ort, in deren Zusammenarbeit Jugendliche und Berufsmusiker einander als „Kollegen“ auf Augenhöhe begegnen und sich wechselseitig beflügeln, und der dreier starker Verbände, die das ihre tun, um das Engagement der Orchester zu unterstützen und in einer bundesweiten Öffentlichkeit zu würdigen. Bleibt zu ergänzen, dass sich in einem tutti pro-Konzert auch das Publikum bunter mischt, Klassik froh gestimmt und mit anderer Aufmerksamkeit als gewöhnlich hört.
Als perfekter Ausklang des Symposiums waren am Abend in der Liederhalle die Mitglieder des Jugendsinfonieorchesters der Stuttgarter Musikschule und die Stuttgarter Philharmoniker in einem gemeinsamen Konzert zu erleben. Und das Programm war anspruchsvoll: Mozart, Ouvertüre zu „Die Entführung aus dem Serail“ und Konzert für Oboe und Orchester, Tschaikowskis Rokoko-Variationen für Violoncello und Orchester und die Rhapsodie über ein Thema von Paganini für Klavier und Orchester von Rachmaninow. Alexander Adiarte machte seinen Orchestermitgliedern anschließend ein großes Kompliment: „Die Jugendlichen haben ihr Bestes gegeben, und ich bin sehr stolz auf sie“. Alle dafür und alle mit vollem Einsatz – so klingt tutti pro.
Informationen zu tutti pro unter www.jmd.info/jugendorchester.
Dort finden Sie auch eine Liste aller bestehenden Patenschaften.
Eine ausführliche Informationsbroschüre kann bei der JMD kostenlos angefordert werden. Kontakt: Käthe Bildstein, Tel. 07934 9936-21, bildstein [at] jeunessesmusicales.de (bildstein[at]jeunessesmusicales[dot]de)