…das Nachdenken über Utopien und deren Verlust in einer Gesellschaft, die sich einem Effizienzstrukturalismus verschrieben hat, mag anachronistisch anmuten…
Es geht bei den sogenannten Reformen im Rundfunk nicht um Einsparungen, es geht nicht um ein Zurechtrücken von überproportionalen Sendezeiten für viel zu kleine Hörergruppen. Es geht um die Verhinderung der Ansprüche von Hochkultur durch Personen, deren eigene kulturelle Bedürfnisse sich mit Events sportlicher Natur blendend abdecken lassen.
Sicherheiten, klare Perspektiven – so denkt die kleinbürgerliche Gesellschaft sich die ideale Ausgangsposition für den Künstler. Und so sitzt er dann mit 35 Jahren, seit 10 Jahren im gleichen Orchester, ist unkündbar und unverrückbar, wird sich nicht bewegen können in der Zeit seiner größten menschlichen – und künstlerischen – Kraft. Verdammt dazu, ohne Perspektive und ohne Utopie in einem sozialen goldenen Käfig zu verdorren.
Manfred Trojahn
Der rapide Wandel der Rahmenbedingungen für Kultur führt dazu, dass die Möglichkeiten für Berufsmusiker immer schlechter werden. Orchesterfusionen, Verkleinerungen oder gar Schließungen sind an der Tagesordnung, freie Ensembles müssen ums Überleben kämpfen. Für Komponisten wird die Situation durch den Rückzug der Rundfunkanstalten aus der Neuen Musik immer schwieriger. Für den Landesmusikrat NRW höchste Zeit, eine Bilanz zu ziehen und Perspektiven aufzuzeigen.
Der anlässlich seiner jährlichen Mitgliederversammlung und im Rahmen der Kulturpartnerschaft mit WDR 3 im Kölner Funkhaus des WDR veranstaltete „Tag der Berufsmusik“ bildete den Abschluss einer „Musik und Beruf“ betitelten Reihe von Diskussionsveranstaltungen in Essen, Köln und Düsseldorf. Das Grundsatzreferat zur Situation von Berufsmusikern hielt der Düsseldorfer Komponist und Vorsitzende des Deutschen Komponistenverbandes Manfred Trojahn.
Der Kompositionsprofessor an der Düsseldorfer Robert Schumann Hochschule formulierte pointiert aus der Sicht des Künstlers und seines Kunstanspruchs. Er bemängelte die zunehmende Utopieunfähigkeit nicht nur der Gesellschaft, sondern auch der Verantwortlichen an den Hochschulen und der Musiker und Musikerinnen selbst. Effizienzorientierung und Organisationsoptimierung bestimmten den Weg, die Hochschulen eilten den Moden hinterher und zwängten zum Beispiel die dort neu etablierten Studieninhalte im Bereich der populären Musik in durchgeplante Lehrabläufe und Prüfungsvorgänge. Das Schlimmste aber sei, dass es keine Diskussion mehr über Inhalte und darüber gebe, wohin der Weg gehe.
Trojahns Plädoyer für den Mut zur Utopie und für eine neue Orientierung an Werten bot reichlich Diskussionsstoff für die anschließende, von Werner Wittershein (WDR 3) moderierte Podiumsdiskussion, an der neben Prof. Manfred Trojahn der Intendant der Kölner Philharmonie, Louwrens Langevoort, die Generalmusikdirektorin der Bergischen Symphoniker, Romely Pfund, und der Rektor der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf, Prof. Raimund Wippermann, teilnahmen. Deutlich wurde aber auch, wo es den Orchestern und Konzertveranstaltern heute mehr denn je unter den Nägeln brennt, beim Publikumsnachwuchs: Neue pädagogische Konzepte und neue – bzw. wiederentdeckte – Formen der Kontaktaufnahme (z.B. durch den Besuch von Orchestermusikern in Schulen) sollen das an hochkultureller Musik interessierte Publikum von morgen gewinnen. Neben den Kunstauftrag ist ein starker Bildungsauftrag getreten, dem sich inzwischen auch die Musikhochschulen verpflichtet fühlen.
Die Podiumsdiskussion wurde im Rahmen des „Kulturpolitischen Forums“ von WDR 3 bereits gesendet. Der Vortrag von Prof. Trojahn ist im Internetportal des LMR www.lmr-nrw.de zum Download eingestellt.
Zum Ausklang des „Tags der Berufsmusik“ fand zum zweiten Mal die Verleihung der „Silbernen Stimmgabel des Landesmusikrates NRW“ statt, durch die Persönlichkeiten ausgezeichnet werden, die sich in besonderer Weise um das Musikleben in NRW verdient gemacht und für die Ziele des Landesmusikrats eingesetzt haben. Nach der ersten Verleihung an Landtagspräsident Ulrich Schmidt wurde in diesem Jahr der Intendant des WDR, Fritz Pleitgen, ausgezeichnet. Die Laudatio hielt Gerhart R. Baum, Bundesinnenminister a.D. und seit Juli 2005 neuer Vorsitzender des Kulturrats NRW. Ermöglicht hatte den „Tag der Berufsmusik“ eine finanzielle Unterstützung des Ministerpräsidenten des Landes NRW.