„Es war toll, dass alle Klassen vorgestellt wurden.“ – „Das Lied war super wild und das Lied hat gut zur Moorhexe gepasst.“ – „Mich hat das Schlagzeug interessiert.“ – „Das Theater war toll beleuchtet.“ – „Es war SUPER, wie die BAND gespielt hat!“ – „Mir hat am besten gefallen, als am Schluss alle gemeinsam das Freundschaftslied gesungen haben.“ – „Die Kinder haben alle Lieder im Bus nochmal gesungen und erzählten jeden Tag wieder irgendein Detail, das sie sich von dem Ausflug gemerkt hatten.“ – so kommentierten Kinder und Lehrkräfte ihr Erlebnis beim diesjährigen Chorklassentag des Chorverbands Bayerisch-Schwaben.
Insgesamt 1.600 Kinder aus Grund- und Förderschulen des Regierungsbezirks Schwaben versammelten sich am 5. und 6. Juli im Festspielhaus in Füssen, um die „WM der Tiere“ zu erleben und musikalisch mitzugestalten. Ein kleiner Wolf, der eine Band gründen will, ein Adler, der begeistert Klavier spielt, eine dirigierende Eule und ein fleißig Trompete übender Maulwurf – diese und andere unkonventionelle Helden, in lebendige Bilder umgesetzt vom jungen Illustrator Constantino Franke, machten sich im Füssener Theater auf zur „Cantus WM“ der Tiere. Erzählt und erlebt wurde die Geschichte mit verteilten Rollen: Autorin Christiane Franke trug den Text vor, die musikalischen Parts übernahmen die Kinder im einstimmigen Chor. Angeleitet wurden sie dabei von Moderator und Vorsänger Karl Zepnik, die Begleitung übernahm die Uni Big Band Augsburg.
Kinderchor und Big Band? – Auch dabei handelte es sich um eine ungewöhnliche Konstellation. Im Auftrag des Chorverbands Bayerisch-Schwaben richtete Bernhard Hofmann, Inhaber des Lehrstuhls für Musikpädagogik an der Uni Augsburg und Leiter der Uni Big Band, sieben Lieder für Kinderchor und Big-Band-Begleitung ein. Dabei gelang der Balanceakt vorzüglich, die Arrangements so zu gestalten, dass sie einerseits den Möglichkeiten und Bedürfnissen von Kinderstimmen gerecht wurden und andererseits stilistisch und in der Interpretation in „originalem“ Big-Band-Sound blieben. So boten die Sätze auch gleich eine weitere Lernmöglichkeit für die angereisten Kinder: Jedes Lied ist in einem anderen Stil gehalten, so dass die jungen Sängerinnen und Sänger quasi nebenbei einen Streifzug durch mehrere Jahrzehnte Big-Band-Geschichte miterlebten. Die Palette reichte von der träumerischen Ballade „Ich schenk’ dir einen Regenbogen“ bis zum fetzigen Latin-Arrangement von „Die alte Moorhexe“, das bei den jungen Chorsängerinnen und -sängern besonders gut ankam. Für die anwesenden Erwachsenen war es eindrucksvoll mitzuerleben, wie sich die exzellent vorbereiteten, klangrein und intonationssicher singenden Kinder mit der Uni Big Band zu einem lebendigen und lustvoll musizierenden Ensemble vereinten.
Bildungsoffensive „Netzwerk Musik in Schwaben“
Das musikalische und logistische Großereignis war gleichermaßen Jubiläumsveranstaltung und vorläufiger Höhepunkt einer intensiven, auf Langfristigkeit und Nachhaltigkeit angelegten Bildungsoffensive. Bereits in den 2000er-Jahren hatten der Chorverband Bayerisch-Schwaben, die Bayerische Musikakademie Marktoberdorf und die Regierung von Schwaben eine erste verbandsübergreifende Kooperation erprobt mit dem Ziel, das Singen in Grund- und Hauptschulklassen zu fördern. Im Jahr 2008 wurde dann mit Unterstützung des Bayerischen Musik-rats das „Netzwerk Musik in Schwaben“ ins Leben gerufen, das mit einem deutlich umfassenderen Anspruch und zahlreichen Kooperationspartnern Impulse für eine zukunftsorientierte musikalische Ausbildung setzt. Die Projektidee und die Ausbildungskonzepte entwickelte Karl Zepnik (Bayerische Musikakademie Markoberdorf), die Organisation liegt in den Händen von Christiane Franke (Bayerischer Musikrat) und Jürgen Schwarz (Chorverband Bayerisch-Schwaben). Ausgehend von der Überzeugung, dass musikalische Bildung beim Umgang mit der Stimme als ureigenem Instrument beginnt, konnte in den vergangenen 10 Jahren eine ganze Reihe musikalischer Bildungsprojekte erprobt und etabliert werden, die von der „Chorwerkstatt Schwaben“ über Ensembleleitungskurse für Jugendliche bis hin zu längerfristigen Aus- und Fortbildungsangeboten für Lehrkräfte und angehende Sozialpädagoginnen und -pädagogen reichen. So lernen im Kurs „SmS – Spielen mit der Stimme“ Studierende der schwäbischen Fachakademien für Sozialpädagogik die Grundlagen spielerischen Musizierens mit Kleinkindern. Die Angebote „Lehrer singen, Kinder klingen“ und „Lehrer singt, Jugend swingt“ richten sich an Lehrkräfte an Grund-, Mittel- und Förderschulen. Der einjährige Lehrgang zielt zunächst auf einen natürlichen, souveränen Umgang mit der eigenen Sing- und Sprechstimme. Darauf aufbauend werden Wege des kindgerechten Singens mit Klassen, Sing- und Spielkreisen und Kinderchören vermittelt. Zu den Kursinhalten zählen Grundlagen der Kinderstimmbildung und Hörerziehung, Kriterien kind- und sachgerechter Liedauswahl und ein Methodenrepertoire, das neben physiologisch angemessenem Singen vor allem die Freude der Kinder am Singen wecken, fördern und lebendig halten soll. Seit 2008 absolvierten über 250 Lehrkräfte erfolgreich dieses Kursangebot. Zum Abschluss der Fortbildung besteht die Möglichkeit, sich zur Leitung von Chorklassen und Chören an Grund- beziehungsweise Förder- und Mittelschulen sowie zu Aufbau und Leitung von Singklassen an Musikschulen zu qualifizieren.
„Chor ist Klasse!“
Das Chorklassenkonzept des Netzwerks Musik in Schwaben beginnt in der ersten Klasse Grundschule und erstreckt sich über mindestens zwei Jahre; eine Fortführung in den Jahrgangsstufen 3 und 4 wird empfohlen. Der Chorklassenunterricht findet im Rahmen des regulären Pflichtunterrichts im Fach Musik statt. Alle Lerninhalte des LehrplanPLUS Musik werden primär über die Erfahrungen erarbeitet, die das „Instrument Stimme“ ermöglicht. An einigen Schulen wird zudem die in der Schulordnung vorgesehene Möglichkeit genützt, zusätzlich zu den in der Stundentafel ausgewiesenen beiden Musikstunden weitere Wochenstunden mit erweitertem Musikunterricht anzubieten. Kinder dieser Chorklassen erhalten damit bis zu vier Stunden Musikunterricht pro Woche. 2008 wurde das Konzept erstmals mit zwei Pilotklassen erprobt, ein Jahr später konnte es auf weitere acht Grundschulen ausgeweitet werden. Im Schuljahr 2012/2013 gab es bereits 20 Chorklassen, und mittlerweile wird das Konzept in 80 Grund- und Förderschulklassen umgesetzt.
Bereits in den Anfangsjahren trafen sich die Chorklassen einmal jährlich in der Musikakademie Marktoberdorf, um sich gegenseitig Lieder vorzutragen und gemeinsam zu singen – ein attraktiver musikalischer Tagesausflug, den der Chorverband Bayerisch-Schwaben bis heute großzügig mit Chorklassen-T-Shirts, einer Brotzeit sowie Organisation und Finanzierung der Anreise in Bussen unterstützt. Angesichts stetig weiter steigender Teilnehmerzahlen finden die Chorklassentreffen seit 2015 im Füssener Festspielhaus statt. Auch das inhaltlich-musikalische Konzept wurde an die veränderten Gegebenheiten angepasst. Im Fokus stehen nun musikalische Mitmachgeschichten: Im Auftrag des Chorverbands werden rund um einen jährlich wechselnden inhaltlichen Schwerpunkt Arrangements erstellt, die die Lehrkräfte jeweils einige Monate vor dem Chorklassentreffen erhalten und mit ihren Klassen im Vorfeld einstudieren. Das Chorklassentreffen wird so gleichermaßen zur Aufführung wie zum außergewöhnlichen musikalischen Gemeinschaftserlebnis.
Nachhaltig, übertragbar und qualitativ überzeugend
2018 fand der Chorklassentag erstmals an zwei Terminen statt, um der großen Zahl der Teilnahmewilligen gerecht werden zu können. Eröffnet wurde die Veranstaltung von Paul Wengert, dem Präsidenten des Chorverbands Bayerisch-Schwaben, und Kultusstaatssekretärin Carolina Trautner. Wengert und „Vorsänger“ Karl Zepnik stimmten die Kinder in bester Weise aufs gemeinsame Musizieren ein; neben dem Aspekt des gemeinsamen Erlebens überzeugte auch die musikalische Qualität. All dies macht deutlich, dass es sich beim Füssener Chorklassentreffen nicht um ein kurzlebiges „Event“ mit möglichst großer Öffentlichkeitswirkung handelt. Zu erleben war vielmehr eine sehr voraussetzungsreiche Veranstaltung: ein Baustein in einem umfassenden Konzept langfristiger und erfolgreicher musikalischer Bildungsarbeit, das auf verschiedenen Ebenen ansetzt, auf Nachhaltigkeit und Übertragbarkeit angelegt ist. Angesichts von gut 2.400 Grundschulen, rund 1.000 Mittelschulen und 350 Förderzentren in Bayern wären für die kommenden Jahre viele neue Chorklassen mit begeisterten jungen Sängerinnen und Sängern zu wünschen, die unter sachkundiger Anleitung einen ersten Zugang zum Kosmos Musik erhalten – und dies nicht nur in Bayerisch-Schwaben, sondern auch in anderen Regierungsbezirken. Es gibt noch viel zu tun. Und ein gutes Vorbild!
Informationen zum Netzwerk Musik in Schwaben und seinen musikalischen Bildungsprojekten: https://www.bayerischer-musikrat.de/projekte/netzwerk-musik-in-schwaben…