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Gute Ideen austauschen

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Erträge der Online-Fortbildung „Musizieren mit Abstand“
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Wie kann ich mit meiner Schulband oder meinem Vororchester unter Corona-Bedingungen proben und Ergebnisse präsentieren? Unter welchen Voraussetzungen ist Chorsingen „sicher“ möglich – online, in Präsenz, hybrid? Gibt es funktionierende Modelle für Musikpraxis „mit Abstand“ im Klassenverband? – Mitte April tauschten sich rund 50 Musiklehrkräfte, Referentinnen und Referenten aus ganz Bayern und aus Niedersachsen im Rahmen eines Online-Fortbildungstags zu diesem Thema aus. Gesucht waren Konzepte, Tipps und Hinweise aus der Praxis für die Praxis, die in Vorträgen, Workshops, Diskussionen und einem „Open Stage der guten Ideen“ ausgetauscht wurden. Bei der Konzeption der Tagung arbeiteten VBS und die bayerischen Musik-LAGs Hand in Hand.

Schon länger zeichnet sich ab, dass uns die Einschränkungen, die mit der Eindämmung der COVID19-Pandemie verbunden sind, wohl noch eine ganze Weile begleiten werden. Eine Rückkehr zum schulmusikalischen „Normalmodus“ steht bis in den Herbst und Winter hinein kaum zu erwarten, einfach aussitzen lässt sich die Krise in der schulmusikalischen Praxis nicht mehr. Auf der Tagung wurde einmal mehr deutlich: Kinder und Jugendliche brauchen musikalische Erlebnisse! Passives Warten auf bessere Zeiten ist keine gute Strategie, um sie ihnen zu ermöglichen. Und: Auch in der derzeit schwierigen Situation gibt es eine ganze Reihe von Möglichkeiten, mit Kindern und Jugendlichen zu musizieren und Früchte schulmusikalischer Arbeit öffentlich zu präsentieren.

Liedvermittlung und Singen

Einen inhaltlichen Schwerpunkt des Fortbildungstags bildete das Thema Singen. Der seit März gültige Rahmenhygieneplan für Bayerns Schulen ermöglicht im Klassenverband „bei unterrichtlichen und pädagogischen Notwendigkeiten“ das Singen kurzer Lieder, sofern ein Mindestabstand von 2,5 Metern eingehalten werden kann. Seminarrektorin Camilla Jacobi (LAG Volksmusik) zeigte anhand des Lieds „Vem kan segla förutan vind“, dass Kinder unter Corona-Bedingungen nicht nur Wissen über Musik erwerben können. Das musikalische Vorstellungsvermögen lässt sich mit dem gezeigten Verfahren sehr gut weiterentwickeln, und auch der Aufbau eines Liedrepertoires ist möglich. Deutlich wurde dabei aber auch: Das gemeinsame Singerlebnis, wie wir es vor der Pandemie kannten, lässt sich damit nicht ersetzen. Und: Das alles geht nicht nebenbei. Neben der Fähigkeit, methodisch fantasievoll neue Wege zu gehen (die man als Musiklehrkraft ohnehin ständig braucht) ist auch technisches Know-how erforderlich. Die Mühe lohnt sich aber! 

Diskussionsbeiträge im Anschluss an die vokalpraktischen Vorträge machten sichtbar, dass es ,die‘ Situation ,des‘ Singens an den Schulen nicht gibt. Zu verschieden sind Bedürfnisse und Bedingungen. Mancherorts lässt sich schlicht kein Raum und kein Platz im Freien finden, an dem man mit Gruppen singen könnte: Der Musiksaal ist zu klein, im Freien hört man sich gegenseitig nicht. Sucht man einen akustisch günstigen Platz in einem Innenhof oder nahe einer Hausfassade, beschweren sich Kollegen über den Lärm, oder der Hausmeister hat Bedenken, weil nach einer Frischluft-Einheit vermehrt Kies und Erde ins Haus getragen werden könnten. Außerdem machten die Gespräche deutlich, in welchem Ausmaß der Musikraum normalerweise auch als Schutzraum dient, in dem Unfertiges und nicht Perfektes der Normalfall sein darf – für die Lerngruppe wie für den Einzelnen. In der Aula oder im Freien gibt es diesen Schutzraum oft nicht, und auch das Online-Singen mit all seinen legalen und illegalen Mitschnitt- und Aufzeichnungsmöglichkeiten scheint eher Singhemmungen zu fördern. Im Online-Klassenunterricht kann es sehr viel anspruchsvoller sein, die Schülerinnen und Schüler aus der Reserve zu locken und zum Singen zu bringen. Kameras bleiben ausgeschaltet, die Kinder und Jugendlichen unhörbar, die notwendige Atmosphäre von Mut und Respekt erscheint noch schwieriger herstellbar als im Präsenzunterricht, die Lehrkraft weiß nicht, „wohin“ sie unterrichtet und wie die Schüler mit ihren Impulsen umgehen. 

Deutlich anders beim Singen im Chor und mit Chorklassen, das im Mittelpunkt der Beiträge von Mario Frei, Kathrin Schönberger und Martin Seiler stand: Jahrgangsgemischte Ensembles können derzeit nur online proben. Die Referenten hatten eine ganze Reihe methodischer Tipps und Tricks bereit, um solche Proben zu gestalten. Einhelliger Tenor der Beiträge: Kinderchöre und Chorklassen wollen singen! Die Kinder sind durchweg mit hoher Motivation dabei, nur selten fehlt eines bei der wöchentlichen Probe. Fragt man die jungen Sängerinnen und Sänger, so sind sie sich über Schulen und Regionen hinweg einig: Online-Chorproben über Zoom oder MS Teams bringen nicht dasselbe Erlebnis und dieselben Ergebnisse wie gemeinsames Singen im selben Raum. „Echte Proben sind besser, aber es passt schon!“ – so ein junger Sänger des Kinderchors des Fränkischen Sängerbunds. Aber: Die Kinder freuen sich über die Abwechslung, die die Online-Chorproben in ihren Corona-Alltag bringen. So mancher kann der „anderen“ Art zu proben auch Positives abgewinnen: „Man hört die eigene Stimme besser und muss alleine durch!“ Die Kinder können also stimmliche und musikalische Selbständigkeit trainieren. Ein Chorleiter beziehungsweise eine Chorleiterin ist darauf bei Online-Proben auch in hohem Maße angewiesen und sollte eine positive „Fehlerkultur“ im Chor mit Feedback-Ritualen pflegen, denn: Bei der Online-Probe kann man die meiste Zeit über nicht hören, wie die jungen Sängerinnen und Sänger klingen, wie sie das umsetzen, was man ihnen mit viel Engagement als musikalischen Input gibt. Die hohen Latenzzeiten der gängigen Videokonferenztools lassen das nicht zu – und Systeme zum Live-Musizieren übers Netz eignen sich nach übereinstimmender Auffassung der Referenten aus verschiedenen Gründen nicht für das Singen mit Kindern. Bleibt die Möglichkeit einer visuellen Diagnostik: Typische Singfehler kann man nicht nur hören, sondern auch sehen – beispielsweise eine über- oder unterspannte Körperhaltung oder Fehler bei der Artikulation.

Die drei Chorleiter berichteten auch offen über Einschränkungen und Schwierigkeiten. Nicht jedes Musikstück eignet sich zum Online-Singen. Sehr schnelle Chorsätze, präzises Timing oder filigranere Strukturen lassen sich nicht befriedigend einüben. Hinzu kommen eine deutlich erhöhte stimmliche Belastung aller Beteiligten und veränderte Aufmerksamkeitsspannen bei den Kindern. Online-Chorproben erfordern eine andere zeitliche Taktung als Präsenzproben, das gängige 90-Minuten-Format mit der gesamten Gruppe muss zugunsten kürzerer Einheiten mit kleineren Formationen aufgegeben werden. Dennoch lassen sich beeindruckende musikalische Ergebnisse erzielen und öffentlich machen: Die kunstvoll inszenierte Produktion und Veröffentlichung eines Multi-Screen-Videos wird zum Konzertersatz, die Online-Premiere zum Event, dem alle miteinander entgegenfiebern können. Gemeinsame Botschaft an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Workshops: Traut euch! Singt mit euren Klassen und Chören online! Es muss nicht auf Anhieb perfekt klappen. Wichtig ist, dass man es immer wieder versucht – dabei aber auch auf sich selbst, die eigenen Bedürfnisse und den persönlichen Energiehaushalt achtet.

Instrumentales Musizieren

Ähnlich der Grundton bei den Workshops zum instrumentalen Musizieren mit Bands und Klassenensembles: Die Kinder und Jugendlichen wollen musizieren, ihre Fähigkeiten am Instrument verbessern und mit anderen gemeinsam schöne musikalische Ergebnisse erreichen. Und Musiklehrer lassen sich dafür einiges einfallen: Günther Hartmann (LAG Pop an Schulen) stellte „Bandklasse Online“ vor: eine Lernplattform, die Schülerinnen und Schülern in Bandklassen, aber auch in gemischten Besetzungen beim zielgerichteten und eigenständigen Üben mit und ohne Instrument hilft. Tilman Koenig (VDS Niedersachsen) zeigte, wie sich der beliebte Kinderbuchklassiker „Ferdinand der Stier“ online als Hörgeschichte produzieren lässt: Die Bilder des Buchs liefern visuelle Impulse für Klangimprovisation, die mit Hilfe der Online-Plattform „Jamulus“ aufgezeichnet werden. Gabriel Keeser (LAG Jazz an Schulen) informierte darüber, wie sich Bigband-Stücke online und in Teilpräsenz proben und aufzeichnen lassen. Bei allen Beschränkungen, denen diese Arbeit unterliegt, heben auch hier die Referenten einen positiven Neben­effekt der Online-Arbeit hervor: Im Vergleich zur „normalen“ Probenarbeit hört man die Kinder deutlich häufiger einzeln spielen – eine gute Gelegenheit, Aufschluss über individuelle Stärken und Schwächen zu gewinnen. 

Virtuelles Weihnachtskonzert und Video-Box: Alternativen zum Schulkonzert

Einen zweiten Schwerpunkt des Fortbildungstags bildete die Frage nach Alternativen zu gängigen Schulkonzert-Formaten. Besonders in der Vorweihnachtszeit ließ sich auf einschlägigen YouTube-Kanälen und Schul-Homepages ein fantasievoller Reigen verschiedenster Formate bewundern: Vom aufwändig produzierten musikalischen Adventskalender eines musischen Gymnasiums über das liebevoll inszenierte Weihnachtskonzert-Video aus der örtlichen Kirche zu gekonnt zusammengestellten Kammermusik- und Solobeiträgen auf der schuleigenen Kulturplattform.

Wie macht man so etwas? Was braucht man dazu? – Markus Asböck gab einen Grundlagenkurs in Tontechnik; Benedikt Landenhammer führte in die Herstellung von Split- beziehungsweise Multi-Screen-Videos mit DaVinci Resolve ein. Martin Schindler informierte umfassend und instruktiv über Möglichkeiten, Musik „ins Netz“ zu bringen, vom Podcast bis zum Video-Livestream, benannte Vor- und Nachteile der verschiedenen Möglichkeiten und Formate. Besonders reizvoll für klassische beziehungsweise akustische Musik oder auch Wortvorträge: die schuleigene „Video-Box“. Ein akustisch geeigneter Raum wird mit einer improvisierten kleinen Bühne und etwas Stimmungslicht ausgestattet, das auf Knopfdruck aktiviert werden kann. Ebenfalls per Knopfdruck lässt sich ein Audiorecorder mit integrierter Kamera aktivieren. Die jungen Musikerinnen und Musiker können den Raum nach Bedarf buchen, das Equipment selbständig bedienen und visuell wie akustisch ansprechende musikalische Solo- und Kammermusik-Darbietungen aufzeichnen.

Rita Brunner (LAG Volksmusik) und Stephanie Reiterer (LAG Architektur und Schule) stellten das Konzept eines virtuellen Wandelkonzerts vor, das im Rahmen eines P-Seminars entwickelt wurde. Ursprünglich war geplant, Orte und Unorte des Schulhauses durch musikalische „Bespielung“ zu neuem Leben zu erwecken. In der Pandemie-Situation wurde daraus ein Videoprojekt, in dem Ideen und kreative Gedankengänge aus Musik und Architektur zusammengeführt sind.

Keines dieser interessanten und attraktiven Konzepte funktioniert allerdings als „One-Man“- oder „One-Woman“-Show. Gelingen können sie alle nur, wenn in der Schule ein ganzes Team zusammen arbeitet: In der Regel braucht es mehrere Lehrkräfte und außer den Musizierenden auch noch weitere Schülerinnen und Schüler, die sich um Technik und Organisation kümmern. So wird die Pandemie, die sonst die Menschen voneinander trennt und fernhält, mancherorts sogar zum Anlass einer vertieften oder erneuerten Zusammenarbeit.

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