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Kreativ, engagiert, in der Existenz bedroht

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Chöre in Corona-Zeiten: eine Umfrage des Bayerischen Sängerbunds
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Der Beitrag „Ausgebremst – Chöre in Corona-Zeiten“ in der NMZ 12/2020 löste eine ganze Reihe von Reaktionen aus. Unter anderem erreichte uns eine Zuschrift von Prof. Max Frey in seiner Eigenschaft als Musikausschussvorsitzender des Bayerischen Sängerbunds (BSB), der die Ergebnisse einer Online-Umfrage unter den BSB-Mitgliedschö­ren zur Verfügung stellte. Da viele bayerische Schulmusikerinnen und -musiker auch im Chorverband engagiert sind, seien einige Ergebnisse hier mitgeteilt. Thematisiert wurde der Probenbetrieb unter Corona-Bedingungen. Bis Ende November gingen 146 Antworten ein, das entspricht knapp 25 Prozent aller im BSB organisierten Chöre.

Als sehr positive Nachricht ist zu werten, dass gut 85 Prozent der Chöre, die sich an der Umfrage beteiligten, im Sommer und Herbst Probenarbeit organisieren konnten, siehe Abbildung 1.

Die Antworten auf die Frage nach räumlichen und organisatorischen Modalitäten der Proben fielen recht vielfältig aus (siehe Abbildung 2).

Als „neue, besondere“ Probenräume wurden u.a. genannt: Kirche, Pfarrheim, Aula, Stall, Scheune, Gasthaus, Turnhalle, Autohaus, kleines Theater, Schulhof, Gebäude der Feuerwehr, Musik-Club, Saal einer Gaststätte, Dorfgemeinschaftshaus, Veranstaltungssaal des Mehrgenerationenhauses. Immerhin gut 25 Prozent der Chöre gaben an, auch online geprobt zu haben. Auch sonst zeigten sich die Chöre in vielerlei Hinsicht aktiv und kreativ: Berichtet wurde von Proben in Kleingruppen, auch mit Brotzeit in den Gärten von Chormitgliedern, der Produktion von Videos, gestreamten Gospelgottesdiensten, Chorproben via Zoom, Einzelstimmbildung oder Stimmproben online. Die Chorleiter verschickten Aufgaben und diverses Übematerial (zum Beispiel mp3-Dateien) oder stellten die Materialien online. Mit den meisten neuen Probenformaten verbunden sind allerdings erhöhte Anforderungen an die Selbständigkeit der Chormitglieder – was aber auch als positive Herausforderung angenommen werden kann: „Überraschend positive Reaktion auf die weite Aufstellung in der Turnhalle. Die Akustik hat ungeahnte Gefilde aufgetan und das ‚Anhängen‘ an den Nachbarn hat viel Eigeninitiative gefordert, die mit einer neuen sängerischen Selbstständigkeit belohnt wurde“.

Bei der Mehrzahl der befragten Chöre nahmen zwischen 45 und 70 Prozent der Chormitglieder am Probenbetrieb teil. Regelmäßige Proben mit annähernd vollständiger Besetzung gehörten damit zu den Ausnahmen. Dies dürfte zum Teil dem Umstand geschuldet sein, dass Angehörige von Risikogruppen sicherheitshalber auf das Singen verzichteten. Zum anderen führen die großen Abstände, die beim Chorsingen aus Sicherheitsgründen einzuhalten sind, in etlichen Fällen offensichtlich dazu, dass gemeinsame Chorproben nicht mehr möglich sind, weil kein hinreichend großer Raum zur Verfügung steht.

Knapp ein Viertel der befragten Chöre gaben an, zusätzliche Kosten für einen alternativen Proberaum aufwenden zu müssen. Einige Befragte weisen darauf hin, dass ihre Chöre bei den entstehenden Mehrkosten durch die Anmietung alternativer, größerer Probenräume auf Unterstützung angewiesen seien.

In der Umfrage wurde auch deutlich, welch hohen Stellenwert das soziale Leben in den Chören hat: Der Pflege sozialer Kontakte wird große Bedeutung zugemessen, und es werden vielfältige Aktionen durchgeführt, um auch unter sehr erschwerten Bedingungen die Gemeinschaft zusammenhalten können: Videokonferenzen, Mails, Rundbriefe, Telefonate und kleine Treffen zur Chorprobenzeit oder gemeinsame Biergartenbesuche sollen helfen, auch probenlose Zeiten zu überbrücken.

Problematisch ist die Situation offensichtlich besonders für Chöre mit hohem Altersdurchschnitt. Insgesamt 41 Prozent der Ensembles gaben an, während der Lockdown-Zeit zu pausieren, darunter vor allem solche, die überwiegend aus älteren Mitgliedern bestehen. Das bringt soziale Probleme mit sich: „Sänger mit der Altersstruktur unseres Chores vereinsamen.“ Auf Dauer scheint auch die Existenz von Ensembles gefährdet: „Wenn es noch lange so weiter geht, wird der Männerchor nicht überleben.“

Wichtig ist den Chören offenbar ein Ziel, auf das sie hinarbeiten können: Im November gaben knapp drei Viertel der Chöre an, für die nächste Zeit Konzerte zu planen, und immerhin knapp 60 Prozent hatten bereits geeignete Räumlichkeiten ausfindig gemacht. Andernorts stellt sich aber auch Ernüchterung ein, weil die „neue“ Art des Probens auf Dauer nicht zu den gewohnten Ergebnissen führt: „Wir hatten ein gutes Sicherheitskonzept, die Plätze für die Sänger*innen hatten wir auf dem Boden mit Klebepunkten markiert. Ein- und Ausgang waren getrennt. Die Stücke für das geplante Konzert haben wir als Hilfestellung zum Üben für jede Stimme auf die interne Seite unserer Homepage gestellt. Leider wich die anfängliche Freude bei den Chormitgliedern zuletzt einer gewissen Ernüchterung. Manche kamen mit den großen Sicherheitsabständen nicht zurecht. Ein großes Problem war auch, dass wir nie alle zusammen singen konnten.“

Aus heutiger Perspektive (Mitte Januar) lässt sich feststellen, dass wohl noch ein langer Weg voller Einschränkungen vor den Musikensembles im Land liegt. Es ist ermutigend, zu sehen, mit wieviel Einfallsreichtum und Engagement Chorleiterinnen und -leiter und ihre Ensemblemitglieder neue Wege eines sängerischen Miteinanders finden und ausprobieren. Doch je länger Lockdown und Beschränkungen andauern, desto höher wird die Wahrscheinlichkeit, dass ein Teil der Chöre, Singgemeinschaften und andere Laienmusikvereinigungen indirekt am Coronavirus und seinen Folgen zugrunde geht.

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