Klassenfahrten gehören zu den Höhepunkten im Schuljahr. In der Klassengemeinschaft werden mögliche Zielorte diskutiert und nach verschiedenen Parametern bewertet: Touristische Attraktionen, Natur- und Sporterlebnisse oder auch (natur-)wissenschaftliche Aspekte in Museen, Ausstellungen oder Erlebnisparks stellen nicht selten den Bezug zu inhaltlichen Schwerpunkten im Unterricht her. Dabei werden mit geschichtsträchtigen kleineren Großstädten oder idyllisch gelegenen Mittelgebirgsdomizilen gerne bewährte Ziele angesteuert.
Warum sollten aber Klassenfahrten mit musikalischem Thema nicht auch spannend und interessant sein? Gerade in Zeiten, in denen ein Mangel an ausgebildeten Musiklehrkräften an vielen Schulen zu Unterrichtsausfällen führt, bietet es sich an, die intensive gemeinsame Zeit der Klassenfahrt auch zum gemeinsamen Musizieren zu nutzen – eine Herausforderung, weiß man doch, dass die Spannbreite vom häuslich geförderten, talentierten Instrumentalisten bis zu demjenigen, der in seiner Freizeit noch nie in irgendeiner Form aktiv musiziert hat und dies sogar „uncool“ findet, in einer Klassengemeinschaft die Regel ist.
So gingen auch die drei Parallelklassen der 7. Jahrgangsstufe der Realschule Plus in Mainz-Budenheim an die Planungen für die diesjährige Klassenfahrt. Mehrere Ziele wurden vorgestellt, bis sich Bettina Dieter, Klassenlehrerin der 7b und nebenbei einzige Musiklehrerin ihrer Schule, an den Landeskongress Musikunterricht im Juni 2015 in der Landesmusikakademie Rheinland-Pfalz in Neuwied-Engers erinnerte. Die Akademie bietet nämlich außer ihrem umfangreichen Fortbildungsangebot für Musikpädagogen und Kursen für Musiker aller Instrumente und Sänger auch ein besonderes Programm für Schulen an: Die „musikalische Klassenfahrt“.
Angelika Hollmann, stellvertretende Leiterin der Landesmusikakademie, hat gemeinsam mit dem Koblenzer Percussionisten Alex Sauerländer ein Workshop-Programm aus lebendigen Chorübungen und dem mitreißenden „Trash Drumming“ (Trommeln auf ausgedienten Regentonnen) entwickelt, das in der Regel jeweils vormittags und abends das Freizeitprogramm der Schulklassen umrahmt. Hollmann kann auf einen reichen eigenen Erfahrungsschatz in der Schulmusik zurückblicken und leitet ehrenamtlich Kinder- und Jugendchöre, während Sauerländer als Erfinder des Trash-Drummings gilt und mit seinen musikpädagogischen Projekten einen ausgezeichneten Ruf genießt. Die Qualität der inhaltlichen Seite ist also gewährleistet, und auch als Quartier kann die Landesmusikakademie punkten: Die Unterkunft in modern und zeitgemäß ausgestatteten Zimmern in den Gebäuden direkt am Rhein, die Mahlzeiten im Restaurant des benachbarten Schloss Engers und die Attraktionen in der Umgebung können durchaus begeistern. Schließlich liegt Koblenz nur wenige Kilometer entfernt, und auch Neuwied und Bendorf können etwa mit dem Tierpark (dem einzigen wissenschaftlich geführten Zoo in Rheinland-Pfalz!) oder Schloss und Burg Sayn erlebnisreiche Ausflugsprogramme oder Ziele für Wanderungen bieten. Bei der Vorbereitung des musikalischen Programms gilt es, auf dem Hintergrund einer auf intensiven Gesprächen mit den Lehrkräften basierenden Lerngruppenanalyse, ein individuelles Programm für die jeweilige Gruppe zu gestalten. Schulart, Altersstufe, Gruppengröße von Klassengemeinschaft bis kompletter Schulstufe, besondere Bedürfnisse einzelner Schüler, vor allem bei Inklusionsklassen, gilt es zu berücksichtigen.
Bettina Dieter fand das Angebotspaket der Landesmusikakademie vielversprechend, musste aber noch ihre Kolleginnen der 7a und 7c überzeugen. Das war nicht ganz leicht, denn die beiden Klassenlehrerinnen haben selbst keine ausgeprägte Neigung zu Musik. „Ich halte mich mit dem Singen lieber zurück, das ist für alle Anwesenden das Beste“, so eine der Kolleginnen, die Deutsch und Sport unterrichtet.
Dennoch oder vielleicht gerade deswegen konnte sich Bettina Dieter durchsetzen. Die eklatante Unterversorgung im Schulfach Musik wird an der Lenneberg-Schule in Budenheim im Alltag immerhin so gemildert, dass alle 15 Klassen jeweils eine Stunde Musik erhalten, anstelle der in der Stundentafel vorgesehenen zwei oder eben gar keiner. Durch den musikalischen Schwerpunkt der Klassenfahrt könnten hier wenigstens einige musikalische Impulse gesetzt werden, so die Hoffnung der Musiklehrerin.
Die spannende Frage war aber: Ziehen die Schüler mit? 55 Realschüler mit völlig verschiedenen musikalischen Vorkenntnissen würden nicht leicht zu begeistern sein. Das Ergebnis überzeugte jedoch alle Skeptiker. Die Musikpädagogen versprühten schnell eine solche Energie, dass am Ende der vier Tage sogar eine Aufführung des Erarbeiteten angesetzt werden konnte. Dazu lud die benachbarte Christiane-Herzog-Schule ihre Schüler in die gemeinsam mit der Landesmusikakademie genutzte Aula ein. Über 200 Schüler führten swingende Songs auf und verfolgten gebannt die rhythmischen Melodien mit Boomwhackers und fetzigen Trash-Drumming-Sets. So kamen die Siebtklässler aus Budenheim nicht nur zu einer erlebnisreichen Klassenfahrt, sondern standen – zum Teil erstmals – als beklatschte Aufführende im Rampenlicht einer Bühne.
Der beste Beweis für das ausgesprochen positive Fazit dieser Klassenreise war die sofortige Reservierung eines weiteren Termins in der Akademie für einen Aufenthalt der Lenneberg-Schule für eine der nächsten Klassenfahrten. Auch die Landesmusikakademie profitiert von diesem Programm, denn anders als an den Wochenenden, an denen die Chöre, Musikvereine und Orchester das Haus am Rhein mit ihren Probenwochenenden bevölkern, gibt es innerhalb der Woche bisweilen noch freie Kapazitäten.
Die „musikalische Klassenfahrt“ – eine Idee zum Weitersagen!