Rückblicke und Ausblicke in herausfordernden Zeiten standen im Fokus der in der Musikakademie Kloster Michaelstein in Blankenburg in Sachsen-Anhalt stattfindenden Jahrestagung 2022 der Bundes- und Landesmusikakademien in Deutschland.
Während sich in der dreißigjährigen Geschichte des Verbandes die inhaltlich und organisatorisch Leitenden in der Vergangenheit in der Regel einmal jährlich zum Austausch zusammenfanden, haben die Herausforderungen der Corona-Pandemie auch die Musikakademien fester zusammengeschweißt. „Nie zuvor haben wir uns so regelmäßig und intensiv verständigt, wie in den beiden letzten Jahren, und nie zuvor war unser Zusammenschluss so hilfreich.“, resümiert Antje Valentin, Direktorin der Landesmusikakademie NRW und Teil des bisherigen zweiköpfigen Sprecherteams des aus 24 Akademien bestehenden Verbandes. „Hierzu gehörte die Beratung über digitale Bildungsangebote ebenso, wie die Information über Fördermöglichkeiten des Bundes oder andere Hilfen.“ Ihr Sprecherkollege Guido Froese, Akademieleiter im schleswig-holsteinischen Nordkolleg Rendsburg, stellt mit Bezug auf den Austausch fest: „Gemeinsam haben wir es durch diese Krise geschafft und gemeinsam müssen wir auch jetzt für die Zukunft der Musikakademien handeln, denn noch ist es nicht in Gänze gelungen, an die Teilnehmerzahlen der Jahre vor der Pandemie anzuknüpfen. Und wir stecken bereits in einer neuen Herausforderung.“ Im Blick hat er dabei die durch den Krieg in der Ukraine dynamisch steigenden Preise. „Höhere Kosten für Energie, für Lebensmittel, für Personal und Mobilität treiben natürlich auch die Teilnehmendenentgelte für unsere Weiterbildungen nach oben“. In Gänze weitergeben könne man die steigenden Kosten aber nicht, denn damit verliere man womöglich aus finanziellen Gründen eine Zielgruppe, die man aber gerade erreichen wolle und müsse.
Blick nach vorne richten
Die Koordination der während der Jahrestagung vor diesem Hintergrund entwickelten Strategien legen die Bundes- und Landesmusikakademien in die Hände eines neuen Sprecherteams, denn Antje Valentin und Guido Froese haben nach sechs Jahren bereits zwei Amtsperioden lang die Geschicke des Verbandes gestaltet. Neu gewählt wurden in Michaelstein Mareike Wütscher, bisherige Bildungsreferentin und zukünftige Leiterin der Landesmusikakademie Hessen in Schlitz, und Rolf Ehlers, Akademieleiter der Landesmusikakademie Rheinland-Pfalz in Neuwied-Engers. „Wir danken Antje Valentin und Guido Froese für ihre hervorragende Arbeit und das vertrauensvolle und sichere Geleit durch die Pandemie-Jahre“, bedankt sich Rolf Ehlers stellvertretend für die Mitgliedsakademien. Alle zusammen richten dann den Blick schnell wieder nach vorn, denn durch den bundesweit wirkenden Preisanstieg drohten nicht nur der Rückgang von Besucherzahlen oder der Wegfall ganzer Bildungsangebote, sondern auch Defizite im laufenden Betrieb.
„In der Mischfinanzierung aus Teilnehmerbeiträgen, Drittmitteln und öffentlichen Zuschüssen, müssen in allen Bereichen Anpassungen stattfinden“, so Rolf Ehlers. In einzelnen Bundesländern seien bereits neben unterjährigen Erhöhungen der Teilnehmerbeiträge für das laufende Jahr 2022 Energiekostenzuschüsse durch die öffentlichen Träger und Zuschussgeber beschlossen worden oder sind in Diskussion.
Die für das Jahr 2023 zu erwartenden Preissteigerungen könne man kaum verlässlich prognostizieren, aber alleine die in der politischen Diskussion kommunizierte Gefahr einer Versechsfachung der Energiepreise zeige den akuten Handlungsbedarf. Gemeinsam sind sich die Akademien daher einig, dass es einer deutlichen Dynamisierung der öffentlichen Zuschüsse bedarf, die je nach Anteil im Finanzierungs-Mix sicher mindestens 20 Prozent betragen müsse – in Einzelfällen sogar deutlich mehr. Aber auch die weiteren direkten Konsequenzen und inhaltlichen Herausforderungen des Kriegs in der Ukraine waren Thema eines intensiven Austausches auf der Jahrestagung. „Die Landes- und Bundesmusikakademien in Deutschland sind bestürzt über den kriegerischen Angriff der russischen Armee auf die Ukraine. Wir solidarisieren uns mit den Menschen in der Ukraine sowie allen von diesem Krieg betroffenen Menschen und verbinden damit den gemeinsamen Wunsch nach Frieden, Zusammenhalt und Demokratie“, so Rolf Ehlers, der anschließend auf die strukturellen und ganz konkreten Hilfen für Menschen, Ensembles und Institutionen aus der Ukraine verweist: „Die vielfältigen Projekte und Maßnahmen in unseren Häusern in ganz Deutschland belegen die Handlungsfähigkeit und gesellschaftliche Relevanz der Akademien eindrucksvoll.“ So bietet die Website der Bundesakademie Trossingen die Möglichkeit, den Musikverein, Chor oder das Orchester in eine Netzwerkkarte einzutragen. Dirigent*innen, Organisator*innen und andere werden dazu aufgerufen, dort ein Zeichen zu setzen und ihre Offenheit für die musikalische Mitwirkung von Geflüchteten zu bekunden. Die Landesmusikakademie NRW bereitet zur Qualifizierung der zahlreichen kulturellen NRW-Projekte mit Bezug auf Geflüchtete aus der Ukraine Fortbildungsangebote vor. Die Landesmusikakademie und Musikland Niedersachsen gGmbH haben eine Kontaktstelle für Musizierende aus der Ukraine eingerichtet.
Dafür wurden mit Drittmitteln zwei Stellen geschaffen, die mit den beiden geflüchteten Musikerinnen Maria Nikonova und Elena Bour-Moskalenko aus der Ukraine besetzt werden konnten. Die beiden helfen bei der Vernetzung oder auch bei ganz konkreten musikalischen Bedürfnissen wie Übungsräumen, Instrumenten oder auch Anschlüssen an Orchester und Ensembles. An alle geflüchteten Menschen aus der Ukraine in ihrem Umkreis richtet sich die am Nordkolleg Rendsburg entstehende und mit einer geflüchteten Musikerin aus der Ukraine zu besetzende Kultur-Kontaktstelle. Sie soll Kulturinstitutionen und Geflüchtete verbinden, Begegnungs- und Gesprächsanlässe schaffen. Die aus der Musikakademie Schloss Weikersheim agierende Jeunesses Musicales Deutschland hat ihre Mitglieder in ganz Deutschland aufgerufen, Solidarität und Hilfsbereitschaft in jeder Form zu üben und dafür zu werben – sei es mit Spenden und Benefizveranstaltungen, sei es durch die konkrete Unterstützung und gegebenenfalls Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine bei sich vor Ort, sei es durch Integration von jungen Musikern*innen in Jugendorchester und Ensembles oder mit Ausleihe von Instrumenten.
Viele Akademien bieten dies sowie kostenfreien Zugang zu ihren Kursangeboten und Räumlichkeiten an, wie etwa die Musikakademie Kloster Michaelstein zu ihrem Museum und zu einem Drum Circle Angebot. Die Landesmusikakademie Sondershausen öffnet ihre Probenräume für geflüchtete Musiker*innen und stellt bei Bedarf auch Instrumente zur Verfügung. Ein für Ende August geplantes Community Musik-Ferienprojekt richtet sich auch explizit an ukrainische Jugendliche. Die Landesmusikakademie Berlin verleiht Instrumente an Kinder, die an musikalischen Projekten teilnehmen und gewährt geflüchteten Familien mit Kindern kostenlosen Zutritt zu den Familienprogrammen. Mit einem kostenlosen Onlinekurs für Erzieher*innen und Grundschullehrkräfte zu Musik mit Sprachelementen aus dem Ukrainischen und anderen Sprachen leistet die Berliner Akademie auch bereits einen Integrationsbeitrag.
Auch einzelnen Menschen wird konkret geholfen. Die Landesmusikakademie NRW hat die Patenschaft für eine achtköpfige ukrainische Musikerfamilie übernommen, die direkt neben der Akademie untergebracht werden konnte. Die beiden Eltern sind Streicher, sie geben bereits Konzerte in NRW, unterrichten und vernetzen sich zunehmend musikalisch. Die Musikakademie Schloss Weikersheim hat eine Leihbestandsgeige aufarbeiten lassen und einem jungen ukrainischen Geiger geschenkt.
Musik für und aus der Ukraine
Die Bundes- und Landesmusikakademien ermöglichen Ensembles aus der Ukraine zudem Probenphasen oder Konzerte. Die Landesmusikakademie Niedersachsen organisierte eine Tournee des renommierten „Prime Orchestras“ aus Charkiv durch Niedersachsen, welches viermal brechend volle Säle förmlich zum Kochen brachte. Ukrainer*innen hatten freien Eintritt zu den Konzerten und machten jeweils gut die Hälfte des Publikums aus. Beim Konzert in der dortigen Akademie ging man von maximal 150 Gästen aus - am Ende wurden es über 200. Im Bibliothekssaal der Landesakademie Ochsenhausen fand im April das Konzert „Ukrainian Voices – Der Ukraine eine Stimme geben“ statt. Antonii Barysehvskyi spielte ein fulminantes Konzert, das gleichzeitig melancholisch hinsichtlich der Situation in der Ukraine, als auch freudig aufgrund der Situation wieder auftreten zu dürfen, war.
Die Einnahmen kamen ukrainischen Musikern zu Gute. Das Kyiv Symphony Orchestra gastierte vom 3.–19.6. in der Landesakademie und bestritt ein Konzert, welches durch die Programmauswahl die europäische Musiktradition der Ukraine zum Ausdruck brachte. Auch im August wird beim internationalen Chortreffen C.H.O.I.R. mit dem Kammerchor des Konservatoriums von Odessa ein Ensemble aus der Ukraine an der Landesakademie Ochsenhausen zu Gast sein. Das Bundesjugendorchester bereitet sich Anfang Juli gemeinsam mit dem Jugendsymphonieorchester der Ukraine im Nordkolleg Rendsburg auf Konzerte in Berlin und an andere Orten vor.
Hilfe durchs Netzwerk
In die Ukraine führte es den neuen Verbandssprecher und Akademieleiter der Landesmusikakademie Rheinland-Pfalz, Rolf Ehlers, selbst, der Kontakte zum Konservatorium in Lviv pflegt und der gemeinsam mit Björn Rodday, dem Leiter des Landesjugendchores RLP, diese Einrichtung persönlich mit zwei professionellen Scannern zur Digitalisierung der Archivbestände versorgte sowie medizinisches Material für das Militärkrankenhaus lieferte. Anfang Juli planen die beiden eine zweite Versorgungstour, auf deren Rückfahrt sie eine Musikstudentin mit nach Engers nehmen, die ein dreiwöchiges Praktikum an der Landesmusikakademie absolvieren wird. Bei dieser Gelegenheit bringen sie der nach Heek geflüchteten Familie ihre Musikinstrumente mit, die sie vor einigen Wochen auf der Flucht zurücklassen mussten.
„Musik verbindet auch in Krisenzeiten!“ fasst Rolf Ehlers die Hilfsangebote zusammen und bietet an: „Mit unserem Netzwerk der Musikakademien helfen wir auch weiterhin schnell und flexibel in ganz Deutschland und in großer Bandbreite.“ Dass es dafür aber auch eine finanzielle Planungssicherheit brauche, gehöre einfach dazu.
Schon im Januar 2023 treffen sich die Akademien wieder. Dann im rheinland-pfälzischen Engers.