Vom 21. bis 24. Oktober 2024 fand in der Landesmusikakademie NRW die Alte-Musik-Werkstatt statt, zu der sich annähernd 50 Teilnehmende – vorwiegend Jugendliche zwischen 10 und 17 Jahren – angemeldet hatten. Die Werkstatt (vormals Alte-Musik-Camp) wurde nun schon zum 7. Mal hintereinander (seit 2018) in den NRW-Herbstferien durchgeführt. Das Format weist also bereits eine gewisse Veranstaltungstradition auf.
Junge Menschen spielen Alte Musik
Für die Teilnehmenden bot die Werkstatt wieder die Möglichkeit, an mehreren Tagen mit intensiven Probenphasen in die faszinierende Welt der Alten Musik einzutauchen. Ob als komplettes Ensemble oder Instrumentalist:in – gemeinsam wurden die Teilnehmenden dank der Unterstützung pädagogisch erfahrener Musiker:innen der Alte-Musik-Szene an das einschlägige Repertoire herangeführt. Als Voraussetzung zur Mitwirkung sollten die Teilnehmenden seit mindestens drei Jahren Unterricht auf einem Instrument haben. Vorkenntnisse in Alter Musik, etwa dem Spiel auf historischen Instrumenten wie Cembalo, Gambe, Zink oder Dulzian, wurden nicht erwartet.
Viele der Akteur:innen begleiten die Entwicklung der Werkstatt nun schon seit einigen Jahren. Im Verlaufe der Veranstaltungen hat sich dadurch eine veritable Community junger Musiker:innen herausgebildet, die sich auch außerhalb der Werkstatt regelmäßig trifft, um Alte Musik zu spielen. Eine Besonderheit in diesem und dem letzten Jahr war das musikalische Zusammenwirken verschiedener Generationen, denn es hatten sich auch mehrere ältere „Schüler:innen“ angemeldet. Dadurch entstanden eindringliche Momente des intergenerativen Musizierens, auf das Jung und Alt zukünftig nicht mehr verzichten möchten. Am Ende der Werkstatt-Woche fand traditionell ein großes Abschlusskonzert im Konzertsaal der Landesmusikakademie NRW statt, in dem einem interessierten Publikum die Ergebnisse der gemeinsamen Probenarbeiten präsentiert wurden. Im Zentrum des diesjährigen Konzerts standen Heinrich Schütz’ Psalmen Davids aus dem Veröffentlichungsjahr 1619. Das Repertoire, welches die Teilnehmenden mit den Dozent:innen in den bisherigen Werkstätten erarbeitet haben, bildete überwiegend mitteleuropäische Ensemblemusik bevorzugt des 16. und 17. Jahrhunderts, wobei auch die historische Tanzmusik mit berücksichtigt wurde.
Warum Alte Musik spielen?
Wenn man vor dem Hintergrund dieses für das Musikland NRW singulären Formats über die Gründe und Motive ins Nachdenken gerät, warum gerade junge Menschen derart viel Zeit und Ausdauer in das Musizieren Alter Musik investieren, so ergeben sich – auch in direkter Rücksprache mit der betreffenden Zielgruppe – aufschlussreiche Aspekte. Auf den ersten Blick scheint es nicht selbstverständlich, dass sich Kinder und Jugendliche in heutigen Zeiten so engagiert und konzentriert auf die Musik der Renaissance- und Barockzeit einlassen. Diese Frage bewog einige der Verantwortlichen der letzten Werkstatt, Teilnehmende auf ihre Motivation hin zu befragen, warum sie eigentlich Alte Musik machen. Die hier vorzustellenden Anreize der jungen Musiker*innen sind freilich nicht repräsentativ und bedürfen einer umfänglicheren Datenerhebung, die derzeit in Kooperation zwischen dem Zentrum für Alte Musik (Köln) und der Landesmusikakademie NRW erarbeitet wird. Aber die Statements der diesjährigen Werkstatt-Teilnehmenden geben bereits wichtige Hinweise auf Gründe der musikalischen Partizipation.
Neben allgemein sozial-geselligen Motiven (Gemeinschaft mit Freunden/Gleichgesinnten, Gruppendynamik, tolle Dozent:innen etc.), wurden seitens der jungen Musiker:innen auch einige musikästhetische Aspekte angeführt, welche den spezifischen Reiz bzw. die Bedeutung Alter Musik für sie konkretisieren. In diesen Punkten treten die Alleinstellungsmerkmale des Genres hervor, auf die es bei der Suche nach Kriterien für die Präferenz der Jugendlichen, Musik eines Monteverdi, Gabrieli oder Schütz zu spielen, ankommt. Stellvertretend für eine Vielzahl von Rückmeldungen, die während der Werkstatt eingefangen wurden, sei hier die Aussage einer Teilnehmerin angeführt, die 15 Jahre alt ist und Dulzian spielt: Sie möge insbesondere den speziellen Klang ihres Instruments, der so gänzlich anders als das sei, was man sonst im modernen Orchester höre. Dadurch ergebe sich für sie eine ganz andere Art des Zusammenspiels – man achte viel mehr auf die Musik selbst, auf ihre polyphone Struktur.
Die individuelle Klanglichkeit der historischen Instrumente bildete einen immer wiederkehrenden Aspekt, den die Teilnehmenden der Werkstatt als Beweggründe für die Interpretation von Alter Musik anführten. Einige der Jugendlichen äußerten dezidiert ihren Stolz auf die klangliche Andersartigkeit, auf das Herausragen aus dem modernen bzw. „normalen“ Instrumentarium. Manche sprachen auch von einer für sie bis dato unbekannten „Freiheit“ der musikalischen Interaktion im Gegensatz zur Interpretation etwa klassisch-romantischer Werke – ein Befund, den es freilich zu konkretisieren gälte. „Wir sind stolz, etwas Besonderes zu spielen“, hieß es da ganz direkt aus dem Munde einer Teilnehmerin, die für sich die Gambe entdeckt hat.
Ästhetische Identifikation
Diese Antworten lassen erahnen, dass sich die Teilnehmenden der Werkstatt durchaus als eine eigene Community musikalischer Praxis verstehen, die sich eben nicht nur aus sozialen, sondern auch spezifisch ästhetischen Gründen definiert, wobei dem Kriterium des historischen Klangs, der – wie eine Teilnehmerin sagte – auch zur geschichtlichen Auseinandersetzung mit der Entstehungszeit der Werke bewege, eine wichtige Bedeutung und Funktion zukommt. Für die Dozent:innen der diesjährigen Werkstatt konnten hieraus direkte Rückschlüsse auf geeignetes Repertoire für zukünftige Musikprojekte abgeleitet werden.
Vor dem Hintergrund der bemerkenswerten Entwicklung stetig zunehmender Teilnahmezahlen der vergangenen Werkstattjahre in der Landesmusikakademie NRW, welche deutlich auf ein steigendes Interesse junger Menschen an Alter Musik hindeuten, ist es umso bedauerlicher, dass die öffentliche Förderung eines derartigen Projekts zwischenzeitlich eingestellt wurde. Dass Alte Musik auch gegenwärtig einen nicht unerheblichen Anteil zur ästhetischen Identifikation junger Musiker*innen beitragen kann, darf nicht unterschätzt werden und aus dem Blick der Kulturförderung geraten. Dies verdeutlichen Projekte wie die Alte-Musik-Werkstatt so bewegend wie eindringlich.
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