Die Landesmusikakademie Sachsen ist im Vergleich zu den anderen Musikakademien in Deutschland recht klein. Es gibt im Jahr nur eine Hand voll Kurse, dennoch klingt durchgängig Musik durch die Räume von Schloss Colditz, wo vor allem größere Chöre und Orchester proben.
Sommerakademie auf Schloss Colditz
Als Projekt des Sächsischen Musikrates steht die Förderung von Amateuren im Vordergrund und so sind es vor allem Kinder- und Jugendensembles aus ganz Deutschland, die nicht nur die Akademie, sondern auch die 171 Betten der Jugendherberge im Schloss füllen. Das Schloss Colditz liegt eine Stunde südlich von Leipzig entfernt, wurde auf einem 40 Meter hohen Porphyrfelsen errichtet und war Irrenanstalt, Konzentrationslager und Kriegsgefangenenlager für alliierte Offiziere – der wohl bekannteste Abschnitt der Schlossgeschichte. Noch heute kommen tausende Touristen aus Großbritannien nach Colditz, um sich die Geschichten rund um die kreativen Fluchtversuche aus Colditz anzuschauen sowie Filme und Serien an den originalen Schauplätzen nachzufühlen. Dass alles seinen historischen Charme erhält, ist dabei besonders wichtig. Rollstuhlfahrer, die über das Kopfsteinpflaster des Innenhofes rollen müssen, sind dabei nicht berücksichtigt. Auch der Fahrstuhl der Akademie fährt nur zwei von vier Etagen an. Türen öffnen sich nicht automatisch und die Brandschutztüren verlangen manchmal vollen Körpereinsatz. Kann man da überhaupt inklusive Projekte durchführen?
Seit vielen Jahren findet während der Sommerferien die sogenannte Mozart-Musizierwoche in Kooperation mit der Sächsischen Mozart-Gesellschaft und der Jugendkunstschule Chomutov in Tschechien mit Schüler/-innen der Landesschule für Blinde und Sehbehinderte statt. Für acht Tage kommen gut 50 junge Musiker*innen aus Sachsen, Tschechien und Italien mit ihren Instrumenten in die Akademie und erarbeiten sich ein abwechslungsreiches musikalisches Programm durch die Jahrhunderte. Ein Team von 12 Dozent*innen und Betreuerinnen sorgt für Musik, Bewegung, Basteleien, Ruhe und Konzentration. Gibt es am ersten Tag noch einige Berührungsängste, beginnt am zweiten Tag ein musikalisches und soziales, erfülltes Miteinander. Unter den wachen Augen der Betreuerinnen arbeiten die Älteren mit den Jüngeren, die Sehenden mit den nicht so gut Sehenden und auch die verschiedenen Register miteinander. Zur Neugierde für die Musik kommt die Neugierde für andere Sprachen, Rollstuhl, Gehstock und feines Gehör.
Voller Aufregung fiebern alle dem „Bergfest“ entgegen, bei dem der Innenhof des Schlosses durch ein Labyrinth aus Teelichtern und einer Feuershow erleuchtet wird. Das Labyrinth wird von Teilnehmenden entworfen und spiegelt den thematischen Schwerpunkte des Projektes wieder (dieses Jahr lautet das Thema „HokusFokus“). Das Lichterlabyrinth zieht auch die Colditzer hoch ins Schloss und mit Picknickdecke bewaffnet, hört man erst den Teilnehmenden beim Musizieren zu und wartet dann gespannt darauf, dass bei Anbruch der Nacht die Kerzen angezündet werden. Spätestens wenn die jungen Musiker/-innen von der Bühne weggeführt werden, weil die Stufen so hoch sind, dass der Gehstock manchmal verunsichern kann, bemerken die Zuschauer/-innen, dass in dem Projekt nicht nur sehr viel Geduld und Hingabe im Team steckt, sondern eben auch etwas HokusFokus – etwas Magie. Dass Musik so viele unterschiedliche Kinder und Jugendliche verbinden kann, ist keine Selbstverständlichkeit und jedes Jahr aufs Neue funktioniert es doch. Viele der Teilnehmenden nehmen seit Jahren an der Ferienwoche teil. Konnten manche Kinder beim ersten Mal nur leere Saiten spielen und mit erfülltem Lachen durch das Schloss rennen, werden ein Jahr später schon stolze Melodiebögen gespielt, bevor man zur Belohnung ins Freibad springt. Auch im Freibad staunen die Zuhörer nicht schlecht, wie so ein bunter Haufen gemeinsam als ein Orchester spielen kann.
In den letzten Monaten hat es Colditz bundesweit in die Nachrichten geschafft. Leider nicht durch musikalische Begegnungen zwischen Schloss und Freibad, sondern durch kriminelle Machenschaften und teure Autos. Umso wichtiger ist es zu zeigen, dass dieser kleine Ort, der mehr Schlösser (2) als Bahnhöfe (0) hat, doch viel mehr zu bieten hat, als man denkt. Musikalische Bildung ist auch politische Bildung. Im Orchester werden Berührungsängste abgebaut und es wird deutlich, dass man mit Disziplin, Leidenschaft und gutem Miteinander über sich hinauswachsen kann. Und wenn sich weiterhin Teilnehmende immer wieder anmelden, Freunde mitbringen und noch während des Projektes fragen, wann es denn im kommenden Jahr stattfinden wird, kann man HokusFokus die Magie auch noch ein Jahr weitertragen.
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