Mozarts Zeitgenossen erdulden heute das Schicksal, immer im Zusammenhang mit dem Wiener Meister genannt zu werden und ständig dem Vergleich standhalten zu müssen – den sie in der Regel verlieren. Vergessen wird dabei, dass Grétry, Piccinni, Sacchini, Reichardt, Cherubini oder Dittersdorf die Kassenschlager des 18. Jahrhunderts komponierten und mit ihren musikalischen Experimenten und Ideen die Wegbereiter von Mozart und Beethoven waren.
Die Musikakademie Rheinsberg führt im Schlosstheater die selten gespielten Opern aus dem Repertoire beziehungsweise dem musikhistorischen Umfeld der Rheinsberger Hofkapellmeister auf, entdeckt die in Vergessenheit geratenen Meister des Musiktheaters im 18. Jahrhundert neu, rekonstruiert und richtet die Werke aufführungspraktisch ein: Ostern steht Carl Ditters von Dittersdorfs „Doktor und Apotheker“ als Höhepunkt der Festtage der Alten Musik 2009 auf dem Spielplan des Schlosstheaters Rheinsberg. Die Uraufführung der Oper 1786 in Wien war eine Sensation, zeitweilig lief sie Mozarts „Figaro“ den Rang ab und begeisterte sowohl das Publikum als auch den Kaiser.
Dittersdorf, der 1739 als Johann Carl Ditters zur Welt kam, feierte Erfolge als Violinvirtuose und Komponist von Kirchenmusik, Sinfonien, Kammermusik und mehr als 50 Bühnenwerken. 1773 wurde ihm der Adelstitel „von Dittersdorf“ verliehen, eine Freundschaft verband ihn mit Joseph Haydn und Christoph Willibald Gluck. Von Kaiser Joseph II. wurde er hoch geschätzt, und auch am Preußischen Hof war Dittersdorf bekannt: 1770 spielte er in Roßlau vor Friedrich II. und Kronprinz Friedrich Wilhelm, 1786 bewarb er sich um die Stelle des Preußischen Hofkapellmeisters und 1789 führte er einige seiner Werke, vor allem die Oper „Doktor und Apotheker“ in Berlin auf. Grund genug für die Musikakademie Rheinsberg, die historischen Kontakte im Rheinsberger Schlosstheater wiederzubeleben und Dittersdorfs bekannteste Oper zur Aufführung zu bringen. Das Libretto zum Singspiel „Doktor und Apotheker“ verfasste Gottlieb Stephanie der Jüngere, der auch für die Textvorlage zu Mozarts „Entführung aus dem Serail“ verantwortlich zeichnet. Typen der Opera buffa treten in der verwickelten Geschichte auf und erzählen mal derb-komisch, mal hintersinnig-ironisch die Handlung: Apotheker Stößel und Doktor Krautmann sind erbitterte Konkurrenten, wetteifern um Heilungserfolge und Anerkennung. Das Ehepaar Stößel möchte Tochter Leonore mit dem reichen, aber invaliden Hauptmann Sturmwald verheiraten, Leonore hat allerdings ihr Herz ausgerechnet Gotthold geschenkt, dem Sohn des Doktors. Ein nächtlicher Einbruch, Verkleidung und Versteck, listige Einfälle und ein Fluchtversuch gehören zum turbulenten Geschehen, in dem die beiden jungen Liebenden mit Unterstützung der Freunde Rosalie und Sichel die Absichten der Eltern zu durchkreuzen versuchen.
Dittersdorfs Musik verbindet volkstümliche Melodien mit tückischen Koloraturen, lyrische Arien mit buffonesken Spielszenen, die außergewöhnlich langen Aktfinali werden raffiniert aufgebaut und setzen kontrastierende Teile in rascher Abfolge nebeneinander. Die vordergründig einfach gezeichneten Charaktere stellen in den Figuren von Doktor und Apotheker als drastische Karikaturen das pseudo-wissenschaftliche Geschwätz und Unwissen von „Gelehrten“ bloß. Vor allem die Frauen formulieren hingegen sehr selbstbewusst ihre Wünsche und Erwartungen an die Männerwelt: Mut und Einsatz sind gefragt, wenn Frauenherzen erobert werden wollen, schwärmerische Beteuerungen allein reichen hier nicht aus.
In der Musikakademie Rheinsberg probt ein sehr junges Ensemble unter der musikalischen Leitung von Reinhard Goebel. Der weltbekannte Spezialist für Alte Musik und Gründer der „Musica Antiqua Köln“ ist nicht nur Dirigent der Produktion, sondern ein Mentor für die jungen Sängerinnen und Sänger und Instrumentalisten im Orchester 1770, die sich am Beginn ihrer Karriere befinden und bei der Arbeit mit dem Experten wertvolle Anregungen erhalten. Die Musikakademie, geleitet von Dr. Ulrike Liedtke, verfügt als Betreiberin des Schlosstheaters seit dessen Wiederaufbau im Jahr 2000 über optimale Bedingungen, Kurs- und musiktheatralische Aufführungsarbeit miteinander zu verbinden. Bewusst als Werkstatt konzipiert, findet die Probenphase mit der wissenschaftlichen Begleitung der jungen Talente durch die Musikakademie statt und bietet ein hervorragendes Arbeitsumfeld durch die Möglichkeit, die zahlreichen Proberäume für Stimmproben zu nutzen, während der szenischen Probenphase im Künstlerhaus zu wohnen und durch die hauseigene Küche vollverpflegt zu werden. Aus ersten Begegnungen mit frischen Stimmen wird oft eine tiefe künstlerische Beziehung, die Musikakademie begleitet und fördert Talente auch über eine Produktion hinaus und holt sie zu Konzerten zurück auf die Bühne des Schlosstheaters. In der Inszenierung von Claudia Forner und in Bühnenbild und Kostümen von Sandra Fox sind sie in der Produktion „Doktor und Apotheker“ der Musikakademie Rheinsberg am 9., 11., 12., 18., 19., 25. und 26. April zu erleben. Karten sind erhältlich bei der Tourist-Information Rheinsberg, Telefon: 033931/392 96.