Der Verband deutscher Musikschulen (VdM) fordert schon seit vielen Jahren, den Anteil angestellter Musikschullehrkräfte zu erhöhen, um die Qualität der öffentlichen Musikschulen zu gewährleisten. Entschieden richtete er 2017 in seinem Stuttgarter Appell die Forderung, „den Anteil angestellter Lehrkräfte kontinuierlich zu erhöhen, um die im Positionspapier der Kommunalen Spitzenverbände geforderte Qualität der öffentlichen Musikschulen zu gewährleisten“, erneut an die Träger der Musikschulen.
Eine nachhaltige Lösung für Berlin?
Mit seinem Urteil vom 28. Juni 2022 („Herrenberg-Urteil“) hat das Bundessozialgericht die Merkmale der Eingliederung einer Honorarlehrkraft in den Musikschulbetrieb und für unternehmerische Freiheit konkretisiert, woraufhin auch die Spitzenorganisationen der Sozialversicherer ihre Kriterien für die betriebliche Eingliederung von Honorarkräften mit Wirkung spätestens ab 1. Juli 2023 deutlich geschärft haben. Honorarverträge für Musikschullehrkräfte sind seitdem in der Regel nicht mehr möglich. Eine Musikschule würde nach außen hin ansonsten lediglich als Musikvermittlungsagentur erscheinen, womit das Kernverständnis von Musikschule als öffentliche Bildungseinrichtung verloren ginge.
Das Bundessozialgericht hat das Herrenberg-Urteil am 5. November 2024 (Verhandlung B 12 BA 3/23 R) noch einmal in Bezug auf eine Volkshochschullehrkraft bestätigt, bei der das Gericht das Fehlen eigenen unternehmerischen Handelns mit entsprechenden Chancen und Risiken festgestellt hat. Das Gericht hielt fest, dass Vertrauensschutz aufgrund einer vermeintlichen Rechtsprechungsänderung der Klägerin nicht zustehe. Die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 28. Juni 2022 halte sich im Rahmen einer vorhersehbaren Entwicklung. Ein schützenswertes Vertrauen der Klägerin habe nicht entstehen können, so das BSG.
In der Fragestunde der Sitzung des Berliner Abgeordnetenhauses am 7. November 2024 wurden der Regierende Bürgermeister Kai Wegner und die Senatorin für Bildung, Jugend und Familie Katharina Günther-Wünsch danach befragt, wie die Sicherheit in den Musikschulen bei der Frage der Festanstellung der Honorarkräfte herzustellen sei. Zum Hintergrund: Etwa 75 Prozent des Unterrichts an den Berliner Musikschulen wird von Honorarkräften erbracht. Dort arbeiten damit gut 1.800 Honorarkräfte.
Betriebsprüfungen durch die DRV
Kai Wegner betonte in seiner Antwort, „wie wichtig die Arbeit der Musik- und der Volkshochschulen für viele Berlinerinnen und Berliner ist“ und das Ziel, „das wichtige Angebot der Musikschulen und der Volkshochschulen in Berlin im vollen Umfang“ zu erhalten. Das Herrenberg-Urteil habe zu Verunsicherung geführt, daher sei er sehr dankbar, dass es ein Moratorium mit der Deutschen Rentenversicherung gebe. „Das verschafft uns Zeit, aber ehrlicherweise schafft es keine nachhaltige Lösung“, so Wegner. Katharina Günther-Wünsch erklärte dazu: „Ich freue mich auch, dass die Rentenversicherung momentan die Prüfungen ausgesetzt hat.“
Richtig ist jedoch, dass die Deutsche Rentenversicherung (DRV) mitgeteilt hat, die ausgesetzten Betriebsprüfungen ohne Ausnahme zum 16. Oktober 2024 wieder aufzunehmen. In der Ergebnissicherung zum zweiten Fachgespräch über den Erwerbsstatus von Lehrkräften vom 8. Oktober 2024 der Arbeitsgruppe beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales mit betroffenen Verbänden (darunter der VdM) und der Deutschen Rentenversicherung, teilte die DRV mit, dass „so verfahren werde, dass Fälle bis zum 31. Dezember 2022 nach den vor der Stichtagsregelung (1. Juli 2023) angewandten Kriterien zu den Lehrern, Lehrbeauftragten und Dozenten abgeschlossen werden. Ab dem 1. Januar 2023 (bedingt durch den kalenderjährlichen Prüfrhythmus) sollen Fälle nach den „Herrenberg-Kriterien“ (selbständige Lehrer, Lehrbeauftragte und Dozenten) unter Berücksichtigung des Stichtags 1. Juli 2023 abgetrennt und zurückgestellt, die Prüfungen bei den Arbeitgebern im Übrigen aber abgeschlossen werden. Die abgetrennten und zurückgestellten Fälle sollen dann zu einem späteren Zeitpunkt unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Prozesses wieder aufgegriffen werden.“
Damit wurde eine Möglichkeit des zeitlichen Übergangs hinsichtlich der Erfüllung möglicher „neuer Kriterien“ geschaffen, die Prüfungen nach den aktuellen Kriterien aber wieder aufgenommen. Eine Sonderregelung für Berlin mit einer anderen Frist gibt es nach Auskunft der DRV nicht. Vielmehr gilt für ganz Deutschland und somit auch in Berlin die beschriebene Vorgehensweise der Deutschen Rentenversicherung.
Der Senat bemühte sich, die Aussagen vom 7. November 2024 schnell einzufangen. Staatssekretärin Sarah Wedl-Wilson sagte in der Sitzung des Kulturausschusses des Berliner Abgeordnetenhauses am 11. November 2024, dass es nicht richtig sei, „dass das Land Berlin das Moratorium auf unbestimmte Zeit verlängert hat“. Es werde momentan auch die Umwandlung der Honorarverträge in feste Anstellungsverträge geprüft und welche Kosten dadurch für die Bezirke entstehen.
Anteil der Honorarkräfte
Zu der Frage nach der Umsetzung des Herrenberg-Urteils sagte die Bildungssenatorin: „Ich bin sehr froh und sehr dankbar, dass Berlin da eine Vorreiterrolle getroffen hat und dieses 3-Stufen-Modell entworfen hat.“
Hierbei handelt es sich nach Auskunft der Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt um ein Stufenmodell (oder auch „Säulen-Modell“), nach dem verschiedene Statusgruppen an den Musikschulen möglich sein sollen: als festangestellte Lehrkräfte, als sozialversicherte Honorarkräfte und als Honorarkräfte, die auch nach den Kriterien des Bundessozialgericht-Urteils selbstständig sind.
Damit bleibt es jedoch weiterhin bei nur etwa 25 Prozent des Unterrichts, der an den Berliner Musikschulen von angestellten Lehrkräften erbracht wird.
Anders sieht es auf Bundesebene aus: Seit dem Stuttgarter Appell des VdM im Jahr 2017 hat die Zahl der angestellten Lehrkräfte kontinuierlich zugenommen. 2023 wurden bereits mehr als zwei Drittel des Unterrichts von angestellten Lehrkräften unterrichtet.
So hatten 2023 gut 330 Musikschulen im Verband eine Anstellungsquote von 50 Prozent und weniger. Alle anderen der 933 Musikschulen lagen aber darüber, 257 von diesen auch mit einer Anstellungsquote von 100 Prozent und weitere 128 Musikschulen mit über 80 Prozent. Im Zuge des „Herrenberg-Urteils“ haben darüber hinaus bereits über 70 Musikschulen die Umstellung auf 100 Prozent Anstellungsverhältnisse vollzogen. Viele weitere Musikschulen sind dazu zurzeit in Gesprächen und Planungen mit ihren Kommunen, um Rechtssicherheit zu erlangen und ihr qualitativ hochwertiges Bildungsangebot – „offen für alle“ – weiter erhalten zu können.
Die Sicht der Honorarkräfte
Zur Situation der Honorarkräfte erklärte die Bildungssenatorin in der Fragestunde, „viele wünschen sich gar nicht diese Festanstellung, sondern würden gerne in dem Modus, wie sie die ganzen Jahre tätig waren, weil sie noch andere Tätigkeiten nebenher ausüben, weiterverfahren. Wir haben mit den drei Säulen, die wir jetzt haben, dort Spielraum geschaffen.“
Die Realität sieht jedoch anders aus, wie eine Umfrage von ver.di Musik Berlin aus dem Jahr 2019 zeigt: Danach wünschten sich 82 Prozent der befragten Honorarkräfte an den Musikschulen eine Anstellung. Nur ein geringer Anteil hatte diesen Wunsch nicht geäußert. Letzteres ist seit dem Herrenberg-Urteil des BSG aber nicht mehr rechtssicher möglich. Künstlerische Tätigkeit neben der Anstellung als Lehrkraft an einer öffentlichen Musikschule ist zudem seit langem gängige Praxis und schließt sich ausdrücklich nicht gegenseitig aus.
Andreas Köhn, ver.di-Gewerkschaftssekretär und in der AG Kunst und Kultur von ver.di, sagte am 11. März 2024 bei einem Pressegespräch zum Handlungsbedarf bei den öffentlichen Berliner Musikschulen: „Die deutliche Mehrheit der Musikschullehrkräfte an den öffentlichen Musikschulen möchte fest angestellt werden. Das liegt unter anderem daran, dass sie aktuell zwei Mal jährlich darum bangen müssen, ob ihre Verträge verlängert werden. Bei über 80 Prozent liegt die Rentenerwartung bei 800 Euro. Altersarmut ist damit für freiberufliche Lehrkräfte die Regel.“ Für die meisten der arbeitnehmerähnlichen Musikpädagogen mit Hochschulabschluss sei dieser Beruf ihre Vollzeitbeschäftigung und kein Nebenerwerb.
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