Seit gut fünf Monaten ist Holger Denckmann Bundesgeschäftsführer des Verbands deutscher Musikschulen. Die Herausforderungen einer zunehmend polarisierten Gesellschaft und einer eher düsteren Finanzlage der Kommunen hat der gebürtige Lübecker und studierte Schlagzeuger zupackend angenommen. Susanne Fließ sprach mit ihm über seine Mission, Übersetzertätigkeiten und Schulterschlüsse.

Holger Denckmann. Foto: Gerhard Sander
„Menschenverständnis reift über Kultur“
nmz: Herr Denckmann, in der nmz 10/24 konnte man ja schon viel über Ihren musikalischen und beruflichen Werdegang erfahren. Inzwischen sind ein paar Monate im neuen Amt ins Land gegangen. Würden Sie sagen, dass Sie Ihre neue Aufgabe mit einer Mission verbinden?
Holger Denckmann: Ich habe immer das Gefühl gehabt, dass Kultur sich schwertut, verstanden zu werden. Deshalb habe ich oft die Rolle des Übersetzers eingenommen, sei es vor Kulturausschüssen oder vor anderen eher kulturfernen Gremien. Warum gibt es eine Musikschule? Was machen wir da? Wofür ist das gut? Denn manchmal sind die Künstler*innen für sich selbst gesehen sehr emotional und daher schnell unzufrieden, weil sie in ihrer Emotionalität nicht verstanden werden. Also habe ich an der Schnittstelle zwischen Kultur und Verwaltung gearbeitet.
nmz: Welche neuen Spielräume öffnen sich Ihnen denn jetzt als Bundesgeschäftsführer?
Denckmann: Als oberster Verbandsmensch bin ich dafür da, dass unsere Mitgliedsschulen Anleitung erhalten. Bei Problemen oder einfach Fragen zur Orientierung, sollen sie Hilfestellung beim Verband finden. Als Verband machen wir auch im besten Sinne Lobbyarbeit für die Musikschule vor Ort, die diese Möglichkeit gar nicht hat oder das personell und zeitlich nicht leisten kann.
Wenn wir bundespolitisch oder bei den kommunalen Spitzenverbänden auftreten, bin ich mir bewusst, dass das im Auftrag der Musikschulen geschieht und ich die Interessen der Musikschulträger dort platzieren kann. Gemeinsam mit den Landesverbänden zeichnen wir das Bild – „So geht Musikschule.“
nmz: Sie haben durch hunderte Stunden auch eigener Unterrichtstätigkeit erlebt, wie sich Kinder- und Elterngenerationen verändern. Wie steht es um Ihr Menschenbild?
Denckmann: Als Donald Trump gewählt worden ist, da gab es eine Schlagzeile im Spiegel, die hat mich wirklich nachdenklich gemacht: „Die Kultur hat sich überschätzt“. Denn alle namhaften Künstler*innen hatten sich gegen Donald Trump ausgesprochen und er ist trotzdem mit überwältigender Mehrheit gewählt worden.
Kultur über- und unterschätzt
Kultur soll sich ihrer Wertigkeit bewusst sein. Nur dass sie, wie sie manchmal glaubt, automatisch so viel verändert, allein weil es sie gibt, da bin ich anderer Meinung. Auch bei einem Trendbegriff derzeit, der Demokratieförderung, wird Musik als geeignetes Mittel angeführt, weil das Zusammenspiel so wirkungsvoll sei. Musik erzeugt demokratisches Gefühl aber nicht aus sich selbst heraus, sondern dann, wenn die angebotene Ensemblearbeit überzeugend ist und Gemeinschaft schafft. Und das hängt eben an den Personen vor Ort, die die Arbeit machen und daran, wie sehr sich die Musikschulen um gemeinsames Musizieren bemühen. Dabei zu unterstützen, dafür sind wir als Verband da. Junge Menschen beim inneren Wachsen zu begleiten, ist im Kontext der Musikschularbeit etwas Besonderes, weil hier auch der Umgang mit Scheitern geübt wird, denn Perfektion gibt es bei der Musik nie.
Woran ich fest glaube ist, dass über Kultur Menschenverständnis reift. Ich habe zum Beispiel im Rahmen meines Bağlama und Kanun-Unterrichts verstanden, wie anders die Pädagogik beispielsweise bei türkischen und syrischen Lehrer*innen funktionieren kann, ein eindrückliches Beispiel für Völkerverständigung.
Als mein Bağlama- Lehrer mir dieses Instrument erklärt hat, hat er nicht mit technischen und theoretischen Erklärungen begonnen. Er sagte: „Man kann eine Tonleiter spielen und die geht so“. Als er mich dann fragte, warum ich nicht mitspiele und ich darauf sagte, dass ich auf weitere Erklärungen wartete, antwortete er: „Du siehst doch, was ich mache – fang an!“ Sprache und Kultur, diese beiden Sphären schaffen enorm viel Verbindung.
nmz: Dazu gehört auch eine Lehrerfortbildung, die einfühlsam und gleichzeitig professionell sein soll.
Denckmann: Ja, hier stehen wir mit den Ausbildungsinstituten im engen Kontakt. Das geht nicht immer nur geräuschlos zu. Wir müssen meiner Ansicht nach hier von der Polarisierung wegkommen, dass Kritik – egal von welcher Seite – automatisch Bashing bedeutet und Lob gleich Exzellenz. Es gibt für meinen Geschmack zu wenig dazwischen.
Wenn es um die Ausbildung unserer Lehrkräfte geht, spielen die Hochschulen eine große Rolle und leider gibt es immer noch wahrzunehmende Gräben zwischen Pädagogik und Kunst, wie sich derzeit prominent an der Nachbesetzung des Präsidenten an der Hochschule für Musik und Theater und Medien in Hannover ablesen lässt. Die Hochschulen sind souverän und es steht mir nicht zu, Dinge zu fordern, wünschen kann ich mir jedoch, dass auch die pädagogische Exzellenz sichtbar wird.
Pädagogik unter dem Scheffel
Auf vielen Hochschul-Websites finden sich wenig Meldungen zu pädagogischen Erfolgen oder über Absolvent*innen, die Stellen an einer Musikschule bekommen haben. Zu unterrichten ist eine wunderbare Tätigkeit, die es wert ist, für sich selbst zu stehen. Wer Instrumental- oder Gesangspädagogik studiert hat, hat wertvolle Grundlagen erlernt. Alle Absolvent*innen einer Hochschule müssen sich darauf einstellen, sich ihr Leben lang weiterzuentwickeln.
Das wird in Zukunft auch eine Aufgabe der Hochschulen sein, sich auch als Weiterbildungsinstitute zu verstehen und das besonders im pädagogischen Bereich.
nmz: Im Mai steht der VdM-Kongress in Dresden an, auch das ein Ort der Weiterbildung in Zeiten heftigen politischen und gesellschaftlichen Diskurses.
Denckmann: Die Planungszeit war geprägt von einer schwierigen Finanz- und Haushaltslage, zwischendrin stand der ganze Kongress auch mal auf der Kippe. Aber es ist uns gelungen, ein vielfältiges Programm anzubieten. Da muss ich mich besonders beim Heinrich Schütz Konservatorium Dresden und seiner Leiterin Kati Hellmuth bedanken, der Stadt Dresden, der Hochschule für Musik Dresden und unserem Landesverband der Musikschulen in Sachsen. Auch im Freistaat Sachsen wurde gewählt und eine Minderheitsregierung ist jetzt im Amt.
Ein Haushalt für das Jahr 2025 steht noch nicht und trotzdem können wir den Kongress eben dank des Engagements Einzelner durchführen.
nmz: Spielt KI auch eine Rolle?
Denckmann: KI wird bei der Unterrichtsplanung eine immer größere Rolle spielen, ebenso beim neuen Lehrplanwerk. Das heißt, dass man neben virtueller Unterrichtsplanung die KI auch bei bestimmten Problemstellungen befragen kann, die dann gezielt Stücke und Etüden vorschlägt. Von verbesserter Musikschulverwaltung gar nicht zu reden: weg von Formularen hin zu Mensch-Maschine-Interaktion.
Umsetzung beschleunigen
Bei unserem kürzlich durchgeführten Herbstsymposium hatte die Arbeitsgruppe zu ethischen Fragen rund um den Einsatz von KI in der Musikschule und die notwendige Haltung des Verbandes, den größten Zulauf. Ich wünsche mir, dass wir künftig ein bisschen schneller im Umsetzen werden. Denn während uns das Thema bereits rechts überholt, diskutieren wir noch darüber, ob der Einsatz von KI generell eine gute Idee ist.
nmz: Der Deutsche Musikrat hat als Jahresthema 2025 „Musik und Demokratie“ ausgerufen. In welcher Form beteiligen Sie sich als Mitgliedsverband daran?
Denckmann: Anders als der Musikrat, der ein Dach für alle Musikverbände in Deutschland bildet und Oberthemen identifiziert, sind wir direkt in der Praxis gefordert. Mit Blick auf Dresden kann die Botschaft, die von dort aus auch im Sinne der Demokratieförderung ausgeht, meiner Meinung nach nur sein, wofür wir als Verband mit unseren Musikschulen stehen und nicht wogegen: Betonen wir, was wir Gutes bewirken und in Zukunft bewirken können! Wenn Musikschularbeit im Sinne unseres Verbandsverständnisses umgesetzt wird, trägt das, davon bin ich überzeugt, zur Demokratieförderung bei.
Musikschulen können tolle Menschen hervorbringen, gute Ensemblearbeit leisten, wir müssen aber auch Diskussionen innerhalb unserer Musikschulschaft aushalten. Bei 1,4 Millionen Schülern und 2,8 Millionen Eltern sind unterschiedliche Meinungen ganz normal. Die können wir aushalten, ohne deshalb Grenzverletzungen zu tolerieren. Wenn die kommunalen Kassen leerer werden und die Menschen den Glauben in den Staat verlieren, wird das in den nächsten Jahren eine herausfordernde Aufgabe.
nmz: Beim Stichwort klamme Kassen müssen wir kurz über das Herrenberg-Urteil und die Folgen sprechen.
Denckmann: Zunächst einmal ist die Übergangsregelung bis zum 1. Januar 2027 erfreulich, denn sie ist genau das, was wir von Anfang an in der Arbeitsgruppe Musikschulen beim BMAS gefordert haben. Die Einstellungsquote lag schon vor dem Urteil des Bundessozialgerichts bei über 325 Musikschulen bei 90 Prozent oder mehr. Andere hatten immer schon eine hundertprozentige Anstellungsquote. Im Zuge von Herrenberg haben etwa 100 Musikschulen komplett auf Anstellungsverhältnisse umgestellt. Die Zahl der Musikschulen mit einer Anstellungsquote von 90 Prozent und mehr ist somit auf über 425 angestiegen, was knapp der Hälfte unserer Mitgliedsschulen entspricht. Die zwei Jahre gilt es jetzt für Umstellungsprozesse zu nutzen. Stellen müssen geschaffen werden, dafür müssen Stellenpläne angepasst und Haushaltsmittel bereitgestellt werden. All das sind Prozesse, die langfristig vorbereitet werden müssen.
nmz: Wenn der Stellenplan einer kommunalen Musikschule am Stadtsäckel hängt und die Mittel immer mehr schrumpfen, wie groß ist die Gefahr dann, dass man vorsorglich das Fächerangebot einer Musikschule reduziert, aus Sorge, die Festangestellten nicht mehr bezahlen zu können?
Denckmann: Man kann natürlich Vorkehrungen dagegen treffen. Es gibt Beispiele von Kommunen, in denen alle Lehrkräfte angestellt wurden. Hier wurden unter anderem parallel zur Anstellung der Lehrkräfte ein Programm verabschiedet, in dem die Entgelte für die Musikschule, die in den meisten Fällen die Eltern zahlen, anpasst und dynamisiert wurden.
Wert statt Kosten
Ich wehre mich aber gegen die Haltung, dass eine Musikschule vor allem Kosten verursacht. Eine Musikschule schafft attraktive Bildungsangebote! Es ist immer eine Frage des Commitments und der Kommunikation. Ein städtischer Haushalt lässt sich mit den Kosten, die eine Musikschule verursacht, weder ruinieren noch sanieren. Ich kann Ihnen „arme“ Städte nennen, die traditionell alle ihre Musikschullehrkräfte fest angestellt haben, einfach weil es vor Ort das Commitment dazu gibt.
Wenn eine Kommune die Notwendigkeit sieht, eine Musikschule zu betreiben, weil die Institution Bildungsaufgaben übernimmt, die niemand sonst abdecken kann, dann muss Geld fließen. Die kommunale Finanzlage in Deutschland ist dramatisch. Deswegen haben wir die Übergangsregelung gefordert, um Anpassungen vornehmen zu können. Mitunter kann dies dazu führen, dass das Angebot geringfügig kleiner wird, und Entgelte moderat steigen.
Der VdM ist zudem nicht kategorisch gegen den Einsatz von Honorarkräften, beispielsweise bei sehr kleinen Deputaten, in der Projektarbeit, im Vertretungsfall oder bei Studierenden und Rentner*innen.
nmz: Wie wichtig ist der Schulterschluss auch mit anderen Musikfachverbänden?
Denckmann: Mit dem Bundesverband Musikunterricht, also den Schulmusiker*innen, haben wir den Schulterschluss aus meiner Sicht gut hinbekommen.
Gerade mit Blick auf das Ganztagsförderungsgesetz, da lassen wir uns auch nicht mehr gegeneinander ausspielen. Wir stehen alle gemeinsam für die musikalische Ausbildung, Musikunterricht innerhalb und außerhalb der allgemeinbildenden Schule gehören zusammen und keins kann das jeweils andere ersetzen.
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