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Musikpraxis in den Kongress-Worskhops. Foto: Kerstin Heiderich/VdM
Musikpraxis in den Kongress-Worskhops. Foto: Kerstin Heiderich/VdM
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Musik teilen – Menschen gewinnen

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Der Musikschulkongress 2019 in Berlin
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Im Herzen der Stadt Berlin, im Kongresszentrum am Alexanderplatz, trafen sich in diesem Jahr über 1.000 Musikschulleiterinnen und -leiter, -lehrkräfte, Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter, Studierende, Vertreter befreundeter Verbände und andere Interessierte zum Bundeskongress des Verbandes deutscher Musikschulen (VdM). Wer zwischendurch die Runde über den berühmten Platz oder angrenzende Straßen machte, bekam einen Eindruck von der Vielfalt der Stadt: alle möglichen Sprachen hörte man da, viele Nationalitäten konnte man erkennen, Jung und Alt, Einwohner und Touristen: eine erfreulich bunte Mischung!

Berlin: Vielfalt und Toleranz

Genauso wollte sich die Stadt auch gegenüber den Musikschulgästen darstellen – und dies sowohl in Rede-, als auch in zahlreichen Musikbeiträgen der Berliner Musikschulen. Vielfalt, Offenheit, Toleranz machen die Attraktivität der Stadt Berlin aus, so Europastaatssekretär Gerry Woop in seiner Begrüßung der VdM-Bundesversammlung. Für die Aufrechterhaltung dieser Vielfalt spiele die Musik, spiele die Musikschule eine wichtige Rolle. Und, so Woop, um den Bildungsauftrag zu erfüllen, brauche man die entsprechenden Rahmenbedingungen. Für diese will vor allem Klaus Lederer sorgen, Kultursenator des Landes Berlin, der seine Wertschätzung gegenüber den Musikschulen gleich zweimal zum Ausdruck brachte: beim Empfang im Roten Rathaus und im Rahmen der Eröffnungsveranstaltung. „Ich will nicht, dass die öffentliche Musikschule zum Geschäftsmodell wird“, erklärte er und grenzte damit die öffentliche von der privaten Musikschule ab, ohne letzterer grundsätzlich eine musikpädagogische Qualität abzusprechen. Lederer setzt sich bekanntermaßen für die Situation der öffentlichen Musikschulen ein, die in Berlin eine besonders schlechte ist. 20 Prozent Festanstellungen und deutliche Anhebung der Honorare sagte er bis zum Ende der Legislaturperiode des Berliner Senats – glaubwürdig – zu. Dass der Musikschulkongress in diesem Jahr in Berlin stattfinde, wertete Lederer als wichtige Rückendeckung für sein Engagement. Thomas Thomer vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, überbrachte nicht nur die Grüße der Bundesministerin Franziska Giffey, sondern erklärte auch, musikalische Bildung leiste einen wichtigen Beitrag zur Demokratiebildung.

Ulrich Rademacher ging in seiner Begrüßung auf das Motto des Kongresses ein: „Musik teilen – Menschen gewinnen!“. „Wenn wir Musik teilen, gewinnen wir Menschen, gewinnen wir Menschen durch das Teilen unserer Emotion. Die Menschen, die teilen, werden beschenkt durch die Resonanz derer, mit denen sie ihre Musik geteilt haben. Die Menschen, die mit geteilter Musik gewonnen wurden, sind als Beschenkte selbst Gewinnende.“ Teilen sei aber auch verwandt mit „Teilhabe“, so Rademacher, also mit dem Bildungsauftrag der Musikschulen. Und: „Wir müssen auch in der Lage sein, unsere Aufgabe des Teilens mit Anderen zu teilen.“ In diesem Zusammenhang kündigte der VdM-Vorsitzende ein „Gesamtkonzept Musikalischer Bildung in Deutschland“ an, das die Föderation musikpädagogischer Verbände derzeit formuliert und demnächst auch verabschieden wird: ein Konzept, an dem die „Player“ der musikalischen Bildung gemeinsam gearbeitet haben und das sie gemeinsam umsetzen wollen.

Bundesversammlung

Zurück zur Bundesversammlung: Hier standen zentrale Themen und Arbeitsbereiche des Verbandes auf der Tagesordnung. Unter anderem berichtete Volker Gerland, Mitglied des Bundesvorstands, über die Arbeitsgruppe „Digitale Chancen“. Die AG hat drei Teilprojekte ausgemacht: Administration, externe Kommunikation und soziale Medien sowie digitale Entwicklungen im Bereich Unterricht und Fort- und Weiterbildung. Christian Kraus von der VG Musikedition informierte über den Fortschritt in Sachen Kopierlizenzen, VdM-Vorsitzender Ulrich Rademacher und Geschäftsführer Matthias Pannes über den Stand der Verhandlungen mit der Künstlersozialkasse hinsichtlich der Anerkennung von EMP-Lehrkräften als „Lehrende der Kunst“. Hier gibt es noch kein endgültiges Ergebnis. Wir werden zu einem späteren Zeitpunkt ausführlich darüber berichten.

Musik-Beiträge

Die Musik spielte eine erfreulich große Rolle an allen drei Kongresstagen. Die Berliner Musikschulen hatten sich schwer ins Zeug gelegt. Schon zum Auftakt der Bundesversammlung hatten die „Muskitos“ gemeinsam mit einem Streichquartett von der Musikschule Fanny Hensel die VdM-Mitglieder mit Liedern aus „Die Kinder des Monsieur Mathieu“ willkommen geheißen. Im Vorfeld der Eröffnung begrüßten unterschiedliche Musikgruppen die eintreffenden Teilnehmer vor dem Kongresszentrum. Weiter ging es im Rahmen der Eröffnungsveranstaltung. Aus dem Projekt „SING!“ des Rundfunkchors Berlin kamen 120 Kinder aus vier Grundschulen auf die Bühne und belegten mit ihrem Programm ein weiteres Mal die These von der „Berliner Vielfalt“. Ein Klavierquintett der Musikschule City West bewies mit einem Satz aus Brahms Klavierquintett op. 34 die große Qualität der Musikschularbeit. Und das adhoc-Ensemble Cellophon reiste gemeinsam mit drei großartigen Klarinettisten bzw. Saxophonisten „mit dem Sonderzug nach Pankow“.

Abschluss und gleichzeitig Höhepunkt dieser Veranstaltung war dann die musikalische Zeitreise unter dem Titel „Berlin bleibt doch Berlin“. Alle zwölf Berliner Musikschulen hatten einen Beitrag geleistet. Allein die konzeptionelle und organisatorische Leis-tung, die hinter diesem aufwändigen Projekt stand, kann nicht genug gewürdigt werden. Das Ergebnis, Berliner Geschichte(n) ab den 1920er-Jahren bis heute, unterlegt mit historischen Abbildungen und Kurzfilmen, darf als sensationell bezeichnet werden und trieb vielen Besuchern Tränen in die Augen. Ein mitreißender oder berührender, immer qualitätvoller Beitrag nach dem anderen: Auch hier spielte die Vielfalt eine große Rolle. Vom „Cabaret“-Einstieg über eine Solo-Violine, die Musik aus „Schindlers Liste“ spielte, über Tanz und Musik aus aller Welt bis hin zu Rockmusikeinlagen: 30 Minuten lang schaute und lauschte das Publikum gebannt und ließ sich von der Magie dieser Aufführung einfangen. Auch an den anderen Kongresstagen gab es viel Musik. Den Abschluss bildete das Opernkinderorchester, das gemeinsam mit Rolando Villazón in der Staatsoper Unter den Linden mit Mozart, Humperdinck und Prokofjews „Peter und der Wolf“ begeisterte.

Workshops, Vorträge, Podien

Wie immer gestaltete sich der Kongress drei Tage lang als Fortbildungsveranstaltung mit einem breiten Themenspektrum. Die Teilnehmer konnten zahlreiche und vielfältige musikpraktische Impulse mitnehmen, sich über musikpädagogische oder Vermittlungsprojekte informieren, selbst Neues ausprobieren. Ein Themenkomplex, der wohl erst seit jüngerer Zeit auch für Musikschulen, ihre Leiter und Lehrkräfte ein zentraler wird, beschäftigte sich mit der Frage, wie Musikpädagogen eigentlich mit sich selbst umgehen, mit Fragen, die die Gesundheit, die Selbstfürsorge und Achtsamkeit betreffen.

Eckart Altenmüller, Direktor des Instituts für Musikphysiologie und Musiker-Medizin, sprach in seinem Vortrag „Gesund bleiben als Musikpädagoge“ zunächst über zunehmende Arbeitsbelastung, Stress, Burnout. Als studierter Mediziner und Musiker hat er ein gutes Gefühl für die Situation der Pädagogen, die teils unter schwierigen Arbeitsbedingungen ihren Schülern gerecht werden wollen und dabei manchmal zu wenig auf den eigenen Körper, die eigene Seele achten. Er beleuchtete die Unterschiede zwischen positivem Eu- und negativem Distress. Langanhaltender Stress kann zum Burnout führen: oft ein schleichender Prozess. Merkmale dafür sind Freudlosigkeit, Selbstentwertung oder auch der Griff zu Ersatzbefriedigung, zum Beispiel Zigaretten oder Alkohol. Altenmüller zeigte dann Möglichkeiten der Selbstfürsorge auf. Dazu gehören Körperübungen, zum Beispiel die „progressive Muskelentspannung“, ebenso wie leicht nachvollziehbare Ratschläge wie „das Handy abends ausschalten“ oder der sinnvolle Umgang mit der „To-do-Liste“.

Um Beziehungen und „Resonanzen“ ging es im Workshop des Kinderchorleiters Yoshihisa Kinoshita, der eindrucksvoll über seinen Umgang mit Kindern berichtete: Zentrales Element sei immer die Beziehung, so der seit vielen Jahren erfolgreiche Musikpädagoge. Er nahm den Begriff der zwischenmenschlichen „Resonanz“ praktisch vorweg, der dann im Zentrum des Vortrags von Hartmut Rosa, Professor für Allgemeine und Theoretische Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, stand. Der bekannte Soziologe sprach gehaltvoll wie unterhaltend über die menschliche Beziehung, durch die wir erst zu Subjekten werden. „Eigentlich wäre die Welt schon kollabiert, wenn wir nicht von Musik umgeben wären“, so Rosa. Und: „Musik moduliert und moderiert die Art, wie ich auf die Welt bezogen bin.“ Resonanz sei ein „alternativer Modus der Weltbeziehung“, erklärte der Soziologe, um dann vier Achsen der Resonanz aufzuzeichnen: die soziale Resonanz, also die zu anderen Menschen, die materielle zu Dingen und Stoffen, die existenziale Resonanz zum „Grund der Existenz“ sowie die Selbstresonanz. Musik aktiviere alle vier Achsen, erklärte Rosa, und die Musikschule könne Resonanzfähigkeit wiederherstellen. Schließlich verblüffte er seine Zuhörer mit dem Satz: „Bevor der Mensch begonnen hat zu arbeiten, hat er begonnen zu tanzen.“

Das Vortragsthema von Ulrich Mahlert, der bis 2016 den Studiengang Künstlerisch-Pädagogische Ausbildung an der Fakultät Musik der Universität der Künste Berlin leitete, schloss sich inhaltlich gut an: Mahlert sprach über „Lebenskunst als Aufgabe von Musikschullehrenden“. Er erläuterte den Begriff der Lebenskunst, der bereits bei Platon als philosophischer Begriff auftaucht, der nun vor etwa 40 Jahren wieder aufgegriffen wird, und definierte ihn unter anderem als Verbindung individuellen Glücks mit sozialer Verantwortung. Auch Mahlert ging auf die notwendige Selbstfürsorge bei Musikpädagogen ein: Wer Lebenskunst (durch Musik) vermitteln will, sollte auch selbst ein „Lebenskünstler“ sein.

Fazit

An dieser Stelle kann nur ein kleiner Einblick in den Berliner VdM-Kongress vermittelt werden. Neben dem Besuch der Workshops sowie der kongressbegleitenden Ausstellung von Verlagen und Instrumentenherstellern spielte der persönliche Austausch zwischen Kolleginnen und Kollegen eine wichtige Rolle. Beim Kaffee, beim Mittagessen, in der Konzertpause, auf dem Flur, beim abendlichen Ausklang: Überall gab es angeregte Gespräche zwischen Musikschulmachern, die sich über das Wiedersehen mit Kollegen ebenso freuten wie über neue Kontakte. Viele freuen sich schon jetzt auf den nächsten Kongress, der 2021 in Kassel stattfindet. 

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