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Schule beginnt schon vor dem Unterricht

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Position des VdM zur Fachtagung der Grünen im Deutschen Bundestag · Vorgetragen von Ulrich Rademacher
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„Auf Augenhöhe“, oder „in einem Boot“ mit den Privaten, wenn es um Bildungslandschaften, Wertschätzung und öffentliche Förderung der Musikschulen geht? Ulrich Rademacher vertrat als stellvertretender Bundesvorsitzender die Position des VdM auf einer von der Bundestagsfraktion der Grünen initiierten Fachtagung im Deutschen Bundestag. Moderiert von der kulturpolitischen Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Agnes Krumwiede, diskutierten hier Abgeordnete und Vertreter des Deutschen Musikrats, des Deutschen Tonkünstlerverbands, der Fachgruppe Musik in ver.di, des Bundesverbands deutscher Privatmusikschulen und des Verbands deutscher Musikschulen mit einem zahlreich erschienenen und engagierten Publikum. Die Stellungnahme von Ulrich Rademacher drucken wir an dieser Stelle ab (s. auch Berichte über die Tagung auf Seite 14 und Seite 41):

Erst einmal: Bravo für die Grünen-Initiative zur Verbesserung der Situation der Lehrbeauftragten an Musikhochschulen! Die Tatsache, dass hier offensichtlich Bewegung ins Spiel gekommen ist, lässt auch für die Wirkung einer ähnlichen Initiative für die Musikschulen hoffen. 

Für mich ist musikalische Bildung, welche 930 öffentliche Musikschulen mit 36.000 Lehrkräften für 1,2 Millionen Schülerinnen und Schüler an 4.000 kommunalen Standorten – für Kinder aller Schichten erreichbar – seit 60 Jahren verlässlich sicherstellen, Daseinsvorsorge und Voraussetzung zur Teilhabe am Leben unserer Gesellschaft. Sie gehört zur Grundausstattung für sprachfähige, kreative und mündige Bürger, starke und sensible Führungskräfte.

Dies bedeutet: Es gibt eine öffentliche Verantwortung sowohl für die Qualität von musikalischer Bildung als auch für einen breiten und leichten Zugang. Und es gibt eine öffentliche Verantwortung für menschenwürdige Arbeitsbedingungen: aus sozialer Verantwortung und um der Nachhaltigkeit des Angebots willen! Schon jetzt erleben wir, wie hoffnungsvoller musikalischer Nachwuchs immer weniger am Berufsbild des Musikpädagogen interessiert ist, wie sich junge Leute im Studium – vielleicht ungewollte, aber häufige und traurige Konsequenz von Y-Studiengängen an den Hochschulen – lieber künstlerisch orientieren, um dann irgendwann im Blindflug ihren Karrieretraum vor die Wand zu fahren. Musikpädagogik braucht Erfolg, Sicherheit und gesellschaftliche Anerkennung! 

In diesem Zusammenhang einige Zahlen: Der TVöD verpflichtet Lehrkräfte an öffentlichen Musikschulen zu 30 mal 45 Minuten Unterricht, das sind 22,5 Stunden pro Woche. Dazu kommen 16 Stunden „Zusammenhangstätigkeiten“ – ich gehe später darauf ein – und die „Ferienüberhang“ genannte Umlage von während der übertariflich langen Schulferien nicht geleisteten Unterrichtsstunden auf die wöchentliche Arbeitszeit. Dies schlägt an den meisten Schulen mit zirka 3 zusätzlichen Unterrichtseinheiten à 45 Minuten zu Buche. Daraus ergibt sich eine Gesamtunterrichtszeit von 24 Stunden und 45 Minuten, also an 5 Tagen etwa je 5 Zeit-Stunden Unterricht. Die „Zusammenhangstätigkeiten“ von 16 Stunden pro Woche ermöglichen dazu täglich „gut“ 3 Stunden für Tätigkeiten wie Vorbereiten, Nachbereiten, Eltern beraten, Konferieren, Organisieren, Proben, kollegiale Beratung, Fortbildung, Begleiten und Vorbereiten von Konzerten und Wettbewerben. Da ist keine Luft für „Optimierung“ oder „Verschlankung“, wenn eine Schule wirklich Schule sein will und keine „Lehrerdatei mit kommunalem Vermittlungsservice“. Eine „richtige“ Schule fängt da an, wo der Unterricht aufhört; Schule fängt schon an, ehe der Unterricht beginnt – oder noch anders gesagt: Eine gute Musikschule zeichnet sich durch das aus, was sie außer gutem Instrumental- und Vokalunterricht noch zu bieten hat: Nicht nur die „Zufalls“-Kompetenz einzelner guter Lehrkräfte, sondern die verlässliche Kompetenz eines Teams, das Schüler und Eltern informiert, Schnuppern ermöglicht, neugierig macht, Eltern berät, begeistert, beobachtet, erfolgversprechende Gruppen zusammenstellt, Leistungen überprüft, Erfolg ermöglicht, Zusammenspiel fördert, Wechsel des Lehrers oder des Instruments begleitet, besonders Schwache und besonders Starke entsprechend fördert, ermuntert, bestätigt, tröstet, Vielfalt von Stilen und Kulturen fördert, Inklusion ermöglicht, Partner in der kommunalen Bildungslandschaft findet, überzeugt und in verlässlichen Kooperationsstrukturen pflegt. Dies alles macht gute Musikschularbeit aus und ist mit unvernetzten musikpädagogischen Tagelöhnern nicht zu leisten, egal, wie gut sie sind. Auch die qualifizierteste private Nachhilfe ersetzt nicht eine vollständige Schule, die vernetzte Kompetenz einer guten Klinik wird kaum durch einzelne niedergelassene Fachärzte gewährleistet werden. Dies sage ich ausdrücklich mit Hochachtung vor der Leistung privat tätiger Musikpädagogen, die ohne die Rahmenbedingungen öffentlicher Schulen das tun, was sie können. 

Eine Schule die das oben beschriebene Leistungsspektrum garantiert – und weniger wäre ein Vergehen an unseren Kindern – ist ohne öffentliche Förderung entweder so teuer, dass sie nur für Besserverdienende erreichbar wäre oder sie beutet ihre Lehrkräfte so aus, dass langfristig kein musikpädagogischer Nachwuchs zur Verfügung stünde. Zurzeit leben wir hier „auf Pump“. Junge Pädagogen, denen noch eine gesicherte Zukunft versprochen worden war, müssen irgendwie überleben und lassen sich – noch! – ausbeuten, Mitglieder aufgelöster Sinfonieorchester sind bereit, sich billig anzubieten und schließlich zieht ein Großteil osteuropäischer Kolleginnen und Kollegen ein Prekariat als freier Musikpädagoge der Straße vor. Freie Musikpädagogen, die privat ein Honorar bekommen, wie es auch an Musikschulen als Gebühr fällig würde, müssen als akademisch voll ausgebildete Pädagogen 40 und mehr Unterrichtsstunden geben, um einigermaßen über die Runden zu kommen. Viele verschließen dabei die Augen vor der trüben Zukunft, versichern sich nicht und steuern gerade auf ein Rentendesaster zu. 

Guter privater Musikunterricht ist eben teuer, zu teuer für die meisten, wenn er alle wichtigen Mosaiksteine musikalischer Bildung umfassen will, ob bei einer privaten Musikschule oder einem „niedergelassenen“ Lehrer. Die kommunalen Spitzenverbände haben in ihrem Positionspapier die Standards öffentlicher Musikschulen beschrieben und sich damit zu ihrer Verantwortung für niederschwellige Zugänge, für Qualität und Nachhaltigkeit von musikalischen Bildungsangeboten bekannt. Diese Qualitäten sichern die öffentlichen Musikschulen unter anderem durch ihr bewährtes und umfassendes Musikschul-Controlling-Instrument QsM. Darunter sollten wir in unseren Ansprüchen nicht gehen.  

Wir vom VdM haben die Herausforderung angenommen. In Respekt vor der musikalischen Leistung der freien Kollegen, denen wir auch in Zukunft zahlungskräftige Eltern wünschen. Besser wäre, den meisten von ihnen die Mitarbeit – auch als Teilzeitbeschäftigte – an einer öffentlich geförderten Musikschule anbieten zu können. 

Von einer Zertifizierung für selbstständige Musikpädagogen oder private Musikschulen verspreche ich mir langfristig keine Verbesserung der Situation. Jedes neue Zertifikat relativiert bereits bestehende Qualitätslabels und erzeugt die beabsichtigte Wirkung nur so lange, wie es aufwendig, aufmerksam, verantwortungsvoll und letztlich teuer gepflegt wird. Für mich gibt es keinen Grund, die StMP-, IP-, AME-, Staatsexamens-, Bachelor- und Masterabschlüsse der deutschen Hochschulen durch 

irgendein neues Zertifikat zu verwässern. Der DTKV und Fachverbände wie BdG, EPTA, ESTA et cetera fordern die Hochschulabschlüsse zurecht als Voraussetzung für eine Aufnahme. Die VdM-Schulen orientieren sich am Positionspapier der kommunalen Spitzenverbände, am KGSt Gutachten und an einem Qualitätssystem, das als Branchenversion des europaweit anerkannten Systems EFQM speziell für Musikschulen entwickelt wurde. Bei der Frage, ob private Musikschulen für ihre Mitwirkung an der großen Aufgabe musikalischer Bildung grundsätzlich öffentliche Unterstützung erhalten sollten, müssten aber aus meiner Sicht nicht nur Fragen der pädagogischen Kompetenz von Lehrkräften geklärt, sondern als Grundbedingung erst einmal die Gemeinnützigkeit nachgewiesen werden. Nur so ist die Trennlinie zu klar kommerziellen Angeboten zu ziehen. 

Auch, wenn man prinzipiell eine Unterstützung privater Schulen erwägt, bleibt ein zentraler Vorbehalt: Die Erfahrung lehrt, dass mehrere von einer Kommune geförderte Musikschulen im selben Einzugsgebiet keine günstige Konstellation darstellen. Es gibt zurzeit kein kommunales Geld zu verschenken und Doppelstrukturen sind definitiv teuer. Auch der VdM schließt daher im Zusammenhang mit Aufnahmeanträgen solche unproduktiven Konkurrenzsituationen aus. Es sei denn, die zu „versorgenden“ Gebiete oder die verschiedenen Aufgaben sind klar definiert. Daher strebt der VdM in der Praxis eher die Zusammenarbeit mit den im DTKV organisierten Privatmusikerzieherinnen und -erziehern an. Eine öffentliche Förderung privater Musikschulen aber würde aus Sicht des VdM einen Wettbewerb nach dem Motto „Wer kann’s billiger“ auslösen, denn Qualität und Nachhaltigkeit sind eben schwieriger zu vergleichen als der Preis. So würde der musikalischen Bildung in Deutschland ein Bärendienst erwiesen.

Dies ist nicht als eine Kampfansage gegen „die Privaten“ zu verstehen, mit denen wir uns jederzeit gemeinsam für die öffentliche Wertschätzung von musikalischer Bildung einsetzen, die, wo immer mit guten Lehrkräften ausgestattet, auch guten Unterricht anbieten können und denen wir in der kommunalen Bildungslandschaft für bestimmte Aufgaben bei der Suche nach Räumen oder finanzieller Unterstützung unsere Hilfe anbieten.

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