Der Verband deutscher Musikschulen setzt seine inklusive Entwicklung mit der Veröffentlichung des Werkes „Spektrum Inklusion – Wir sind dabei!“ konsequent fort. Robert Wagner, Vorsitzender des VdM-Fachausschusses Inklusion und Mitglied der Spektrumsredaktion gibt Einblicke in den inklusiven Entstehungsprozess der 378 Seiten umfassenden Grundlagen und Arbeitshilfen.
Die Gesellschaft braucht die Kreativität aller Menschen“, forderte der VdM in seiner Schweriner Erklärung 2010 und stellte den Begriff „Inklusion“ erstmals in einer seiner Veröffentlichungen heraus. In Schwerin beschloss der VdM-Fachausschuss „Menschen mit Behinderung an Musikschulen“ das in seiner Terminologie überholte, inhaltlich aber immer noch hochaktuelle Standardwerk von Werner Probst „Instrumentalspiel mit Behinderten“ (1991) neu zu schreiben. 1989 stellte der Fachausschuss (noch unter dem Namen „Behinderte an Musikschulen“) anlässlich des Musikschulkongresses „Musikschulen bauen Brücken“ fest: „Musikschulen sind Angebotsschulen, die sich in ihren Bildungsangeboten immer wieder an der musikalischen und gesellschaftlichen Realität orientieren müssen.“
Der Index für Inklusion (2003), die Verabschiedung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung (in Deutschland 2009), die Potsdamer Erklärung des VdM „Musikschule im Wandel – Inklusion als Chance“ (2014) setzten Maßstäbe und forderten den Verband heraus, seine Haltung zur Leitidee einer inklusiven Gesellschaft zu formulieren („Wir sind dabei!“) und den Mitgliedsschulen Wege und Hilfen zu einer inklusiven Entwicklung anzubieten.
Inklusion muss einfach sein
Sieben Jahre sollte es dauern, bis unser Redaktionsteam – bestehend aus Christiane Joost-Plate, Eva Krebber-Steinberger, Anja Krupa, Matthias Pannes, Britta Schütz, Ruddi Sodemann und Robert Wagner – das fertige „Spektrum“ in den Händen halten würde.
Bereits in unseren ersten Treffen verstrickten wir uns in notwendigen aber aufreibenden Begriffsdefinitionen. Schon die Titelfindung wurde zum Problem und warf die Frage auf, ob es eine „inklusive Musikschule“ als Ziel überhaupt geben könne oder ob Inklusion nicht vielmehr ein fortwährender Prozess sei. Der Definition von Ines Boban und Andreas Hinz, die in ihrer Übersetzung und Bearbeitung des Index für Inklusion inklusive Schulen als „Schulen in Bewegung“ bezeichneten, konnten wir uns nach langer inklusiver Debatte anschließen.
Inklusion als Chance
Wir sehen Inklusion als Chance für den einzelnen Menschen, für unsere Gesellschaft und für die Musikschulen. Wir sehen auch unsere Pflicht, als öffentlich geförderte Bildungseinrichtung auf den gesellschaftlichen Wandel und den politischen Willen zu reagieren.
Was sehen die anderen? Viele Kollegen in den Schulen, Schulleiter und Lehrer, sehen vor allem NOCH eine weitere Zumutung. Viele von ihnen erfüllen ihre Aufgabe trotz widriger, zum Teil unfassbarer Umstände hervorragend. Den geltenden Maßstäben entsprechend, zeigt ihre Arbeit beste Ergebnisse. Schüler und Eltern sind zufrieden. Wie sollte deshalb unser Buch geschrieben werden? Unser Buch sollte ein Buch werden, das einlädt, Neugierde weckt, Orientierung bietet, zu eigenen Schritten ermuntert und Chancen begreifbar macht. Das Buch muss seine Leser abholen! Doch wo? „Wie“ sind sie, unsere Kollegen in den Musikschulen?
Die Lehrkräfte, bestens ausgebildet, hoch kompetent als Musiker. Die Schulleiter, gefordert als Manager, Multitalente und Mangelverwalter. Wir können davon ausgehen, dass viele unzufrieden sind, sich überfordert und unterbezahlt fühlen. Nicht wenige haben Zukunftsangst. Gleichzeitig dürfen wir aber auch unterstellen, dass sie Hilfe annehmen würden, wenn sie diese als individuelle Hilfe erkennen könnten.
Wodurch wurde ihre Sozialisation bestimmt? In erster Linie durch Üben, um Qualität zu erlangen. Exklusion, also die Auslese der Besten, war ein ganz normaler Vorgang und gehörte zur Funktionslogik des Systems Musikhochschule. Und jetzt kommt Inklusion.
Es muss uns gelingen, das Leitbild der Inklusion so zu beschreiben,
- dass Qualität in Musikschulen auch unter inklusiven Vorzeichen Ziel bleibt,
- dass ihre bisherige erfolgreiche Arbeit auch weiterhin stattfinden darf und muss,
- dass die geforderte Wertschätzung für jeden Menschen auch sie einschließt,
- dass sich inklusive Prozesse in Schritten vollziehen dürfen und sollten,
- dass es Orientierung durch vorliegende Erfahrungen, Konzepte und Materialien gibt,
- dass also Inklusion keine Bedrohung, sondern eine Erweiterung ihrer Kompetenz und eine Sicherung ihrer Existenz sein kann.
Es wird uns mit diesem Buch nicht gelingen, jeden Lehrer, jeden Bildungspolitiker, jeden Musikstudenten zu erreichen. Es sollte uns aber gelingen, möglichst viele Schulleiter zu interessieren, einige Lehrkräfte und den ein oder anderen aus den oben genannten Professionen, um für Inklusion auch in deren Bereichen Keime zu streuen.
Wir dürfen auf die grundsätzliche Aufgeschlossenheit der wichtigsten Entscheidungsträger, Multiplikatoren und Kolleginnen und Kollegen hoffen. In ihrem Metier muss unser Buch erste Schritte begründen, inklusive Prozesse einfach machen und – ich wiederhole mich – Orientierung bieten.
Es stellt die Musikschulen in ihrer Zuständigkeit, ihren Möglichkeiten und ihrem Qualitätsanspruch vor, bietet eine notwendige Erweiterung pädagogischer Kompetenzen an und spricht deutlich aus, dass Inklusion Geld kos-tet. Das Buch drückt eine durch Fachlichkeit begründete bildungspolitische Haltung aus. Es nimmt Stellung dazu, wo die Grenzen der Belastbarkeit liegen und wo die Kollegen sich noch weiter entwickeln müssen. Wir arbeiten nicht alleine. Die Vorarbeiten vieler Inklusionstheoretiker und von vielen Menschen in unserem Verband entlasten und helfen uns, das zu tun, was nur wir können: praxistaugliche „Wege zur Entwicklung inklusiver Musikschulen“ anzubieten.
- Spektrum Inklusion, VdM Verlag, Bonn 2017, ISBN: 978-3-925574-88-7