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Die Bestimmung des Menschen

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Ein großartiges Dortmunder Ausstellungskonzept: „Macht Musik
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Ungewöhnlich, wenn nicht gar einmalig: Ein regierungsamtliches Institut widmet sich psycho-sozialen Fragen des Arbeitsschutzes und holt dazu sogar Kunst und Künstler ins Boot, die erfahrungsgemäß noch mehr Fragen stellen – und wenn überhaupt nur komplexe Antworten finden, die Arbeitsschutzparagraphen sprengen. Gerade ist dort die Ausstellung „Macht Musik“ zu sehen. Dabei geht es weniger um Paragraphen, sondern um einem komplexen Lernort mit vielen Veranstaltungen, auch für Lehrkräfte. Aber eben das ist ein Prinzip der DASA am Rande von Dortmund.

Was heißt im Ruhrgebiet schon „am Rande“? Mehr als 200 000 Menschen finden jährlich den Weg in die „Deutsche Arbeitsschutzausstellung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin“, trotz des unwirtlichen Namensungetüms, das allein wie eine Verordnung müffelt. DASA, die Abkürzung für die zur einzigen Bundesbehörde außerhalb Berlins und Bonns gehörende Ausstellungshalle, klingt da schon innovativer. Überdies liegt die DASA verkehrsgünstig und ist sogar mit einer Schwebebahn zu erreichen. 1993 wurde das Gebäude als EXPO-Projekt eingeweiht, das mit seinen 13 000 Quadratmetern so gar nichts mit den herkömmlichen Museen zu tun hat.

Die Mitarbeiter – rund 80 sind es – bezeichnen die DASA selber als einen Lernort, weil viele Objekte und Technik-Abteilungen in Funktion zu setzen und in ihrem Umfeld tatsächlich zu begreifen sind. Eine Druckerei etwa, in der die Schwernisse des Berufs im Wandel vom Litho-Druck bis zum Medienarbeitsplatz erfahrbar sind. Erwähnt sei von den vielen Abteilungen noch die der historischen Eisenherstellung und -verarbeitung, die in einer Region nicht fehlen darf, in der die Menschen früher davon lebten und darunter auf andere Weise litten als heute, wo die meisten mit Kohle und Stahl Beschäftigten ihren Beruf verloren haben oder irgendwie umgeschult worden sind: So sind dort Großväter zu beobachten, die ihren Enkelkindern ein Stück ihres Lebens anschaulich machen. – Und all das ist zur Kunst in Beziehung gesetzt sowie zu Gedanken, Essays, Aufsätzen und Darstellungen, die sich mit der „Neuen Qualität der Arbeit – Wie wir morgen arbeiten werden“ beschäftigen (So der Titel eines profunden Buches der DASA).

Zwei Ausstellungen haben der langjährige Leiter der DASA, Gerhard Kilger, und sein Team in diesem Sommer konzipiert, und sie sind damit an die Grenzen ihres vier Millionen-Sachmittel-Etats gelangt: „Macht Musik“ die eine – sowie Plastiken und Objekte von Jürgen Brodwolf die andere. Der renommierte, in Südbaden lebende Künstler Jürgen Brodwolf (Jahrgang 1932) nahm sich auf eine ganz stille und doch aufwühlende Weise der Opfer-Rolle des Menschen in der Industriegeschichte dieser Region an – in Collagen, die fotografisch mit dem Moloch Maschine umgehen, die mineralische Stoffe ebenso wie Produktionsabfälle versammeln, so wirken seine faltenreichen Papierfiguren um so fragiler und larvenähnlicher. Was bewegt sich noch? Allein das Stoffliche?

Den Gegenpart zu Jürgen Brodwolfs Arbeiten bietet die Ausstellung „Macht Musik“. „Warum macht der Mensch Musik?“ wird als Eingangsfrage für die 13 Themenräume zum Schamanentum, zur Oper, zur choreographierten Musik, zur Kammermusik bis hin zur zeitgenössischen gestellt. Besucherinnen und Besucher toben sich in einem Tonstudio mit Band-tauglichem Instrumentarium aus, sie nehmen vorsichtig Geige, Bratsche und Cello in die Hand (nicht eins der Instrumente ist bislang zerstört worden!). Überall klingt es, lädt ein, zum Klingen zu bringen. Und sie stehen vor einer sensationellen 30 000 Jahre alten Knochenflöte, die im vergangenen Jahr in Baden-Württemberg von Archäologen gefunden wurde: Tja, warum macht der Mensch Musik?

Gewiss nicht als Ausdruck von Arbeitsschutzbestimmungen, sondern um seine Bestimmung zu finden und seine Bestimmungen zu überschreiten und seiner Seele Ausdruck und Halt zu geben. Gerhard Kilger stellt darüber hinaus in seinem Katalog-Vorwort fest: „Personalmanager haben längst erkannt, dass im globalen Wettbewerb die menschlichen Potenziale wie Schaffenskraft und Kreativität den Ausschlag geben werden. Auch hierfür bietet die Musik eine noch kaum entdeckte Grundlage.“ Grundlagenforschung treibt diese Ausstellung indessen nicht, darum bemühen sich Katalogbeiträge. Autoren sind unter anderem der Donaueschingen-Verantwortliche Armin Köhler, der sich dem Geräusch als ästhetischer Kategorie in der neuen Musik widmet. Brigitte Fassbaender, Pierre Boulez, Albert Mangelsdorff, Ernst Pöppel und Joachim Kaiser sind in Gesprächen zu vernehmen.

Die Ausstellung hingegen versucht eher Phänomene sichtbar zu machen und führt dazu in ein „Music Village“ mit 13 Häusern nach dem Vorbild eines indischen Ortes, in dem man sich angeblich durch Geräusche und an Klängen orientieren kann. Auf den Gängen, den Wegen, mischen sich die akustischen Signale, und da die Besucher selber etliche Häuser „bespielen“ können, entsteht ein polyphoner bewegter Sound-Mix. Das Verblüffende daran ist, dass die didaktischen Angebote – von der Frühgeschichte über die Sphärenmusik bis hin zu den zeitgenössischen Musiken – eine Stärke besitzen, die die Besucher als „Musik“-Experimentatoren jede Scheu vergessen lässt. Fast beiläufig ist etwas über den Instrumentenbau, über Musikwiedergabe, -produktion, -kult und Musik und Heilung oder Religion – und eben Macht im historischen Kontext zu erfahren.

Das für ungezählte Bereiche zu zeigen, ist das Verdienst der DASA. Wenngleich in Fragen der Macht auch die Grenzen der reinen Ausstellung deutlich werden: Erst die weitgespann-ten Aufsätze von Christian Kaden zu „Macht und Musik“ und von Aldo Venturelli zur „Vergeistigung der Macht und der Traum einer mediterranen Musik“ (über Nietzsche) geben dem Ausstellungsthema eine Bodenhaftung und sie fundieren das offensichtlich Schwärmerische, das sich optisch leicht im Kulthaften zu verlieren scheint. Aber um diese Gefahr weiß man bei der DASA und bietet deswegen Führungen und Vorträge an. Wer etwa weiß heute unter uns über das Tun und Wirken von Schamanen und ihrer Musik? In der DASA wird es demnächst sogar „zum Anfassen“ geboten.

Bis 15. Oktober in Dortmund. Es ist ein Katalogbuch erschienen.
www.dasa-dortmund.de

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