Wir wissen es ja schon lange: „Kultur kostet Geld. Sie kostet Geld vor allem deshalb, weil der Zugang zu ihr nicht in erster Linie durch einen privat gefüllten Geldbeutel bestimmt sein darf. (…) Substantiell hat die Förderung von Kulturellem nicht weniger eine Pflichtaufgabe des öffentlichen Haushalts zu sein als zum Beispiel der Straßenbau …“
Der im Januar verstorbene Bundespräsident Richard von Weizsäcker sprach diese Worte am 11. September 1991 anlässlich der Denkschrift „Kultur in Berlin“, und es lohnt sich, ihn weiter zu zitieren: „Es ist grotesk, dass wir Ausgaben im kulturellen Bereich ‚Subvention‘ nennen, während kein Mensch auf die Idee käme, die Ausgaben für ein Bahnhofsgebäude oder einen Spielplatz als Subvention zu bezeichnen. Der Ausdruck lenkt uns in eine falsche Richtung. Denn Kultur ist kein Luxus, den wir uns entweder leisten oder nach Belieben auch streichen können, sondern der geistige Boden, der unsere innere Überlebensfähigkeit sichert.“
Fast 25 Jahre später gilt diese Stellungnahme immer noch, denn die Haltung unserer Politiker zum Thema kulturelle Bildung hat sich nicht zum Positiven gewandelt. Da städtische Musikschulen auf die sogenannten „Subventionen“ angewiesen sind – also Geld kosten – und zudem noch als freiwillige Institutionen der Kommunen gelten, stehen sie in Zeiten akuter, kommunaler Finanznot auf roten Listen. Im schlimmsten Fall wird eben „privatisiert“, und die Kommune gibt ihre Bildungsverantwortlichkeit ab. Budgetkürzungen, Personalabbau, zunehmend befristete Verträge und freie Mitarbeit sind an der Tagesordnung. Gerade deshalb ist eine Zukunftsplanung unmöglich. Egal, an welcher Stelle gekürzt wird, Musikschullehrende sind grundsätzlich immer betroffen.
Parallel dazu wird die Arbeitsleistung nicht „gekürzt“. Im Gegenteil: Erst wurde in den 90ern die wöchentliche Arbeitszeit für Musikschullehrer von 28 Jahreswochenstunden auf 30 heraufgesetzt, und das zu einem Zeitpunkt, als bei den meisten Arbeitnehmern die 40-Stunden-Woche auf 38,5 bzw. 39 Stunden sank. Dann wurde größtenteils der „Ferienüberhang“ umgesetzt, so dass ohne einheitliche Regelung die meisten Musikschullehrer zwei bis vier Unterrichtsstunden pro Woche zusätzlich erteilen müssen. Neuerdings kommen etliche Schulkooperationen hinzu, die den Arbeitstag zerreißen und in die Länge ziehen. Wurde der Instrumentalunterricht vorher zwischen Mittag und Abend gegeben, so beginnt er heute in der Regel schon am späten Vormittag und zieht sich bis in den späten Abend hinein.
Ein lückenloser Stundenplan ist durch G8 und den Ganztagsschulbetrieb kaum noch möglich und die pädagogischen Konzepte, welche für neue Unterrichtsformen in Kooperation mit allgemeinbildenden Schulen dringend benötigt werden – aber kaum vorhanden sind –, entwickelt der Musikschullehrer gleich noch gratis dazu! Vielleicht ersetzen Musikschullehrerinnen, wie längst geplant, in Zukunft auch noch Musiklehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen? Wäre ja auch viel günstiger, denn ein Instrumentalpädagoge verdient trotz abgeschlossenem Hochschulstudium deutlich weniger als ein Lehrer an einer allgemeinbildenden Schule.
Unter Druck
Ein Musikschullehrer steht quasi permanent unter Druck, die Gefahr von Kürzungen, Befristungen und Privatisierung schwebt schließlich ständig über ihm. Wen wundert es da, wenn stillschweigend jede zusätzliche Belastung hingenommen wird? Die Angst, den Job zu verlieren, ist groß.
Während einer Infoveranstaltung von ver.di, organisiert vom Landesfachgruppenvorstand der Fachgruppe Musik in NRW, wurde die aktuelle Situation der Musikschullehrer sehr deutlich.
Die Veranstaltung war gut besucht, und viele Kolleginnen schilderten ihre alltäglichen Schwierigkeiten im Musikschulalltag. Schlechte Arbeitsbedingungen waren das vorherrschende Thema, wie man den zahlreichen Fragen entnehmen konnte, z.B.:
- Wie komme ich aus der Tretmühle ständiger Befristungen raus?
- Wie kann ich meinen Arbeitgeber überzeugen, mich endlich fest anzustellen?
- Muss ich auch in einem Unterrichtsraum unterrichten, der eine Raumtemperatur von 18 Grad hat und ohne Fenster im Keller des Gebäudes liegt?
- Kann mein Arbeitgeber mich übergehen und einen zusätzlichen Geigenlehrer einstellen, obwohl ich als Geigenlehrerin den Wunsch geäußert hatte, meine Stunden aufstocken zu wollen?
- Ist eine Änderungskündigung möglich, wenn ich plötzlich nicht mehr genügend Schüler habe?
- Wer trägt eigentlich (beim JeKi Instrumentalunterricht) die Verantwortung für die im Klassenzimmer bleibenden Kinder, während ich ein lernbehindertes Kind zur Toilette begleiten muss?
- Ich soll im JeKi Unterricht jetzt auch geistig oder körperlich behinderte Kinder unterrichten, warum bekomme ich dafür keine Fortbildung?
- Ich habe keinen Schlüssel für die Grundschule, in der ich unterrichten soll, die Eingangstür ist aber immer verschlossen, so dass ich häufig im Regen stehe. Habe ich das Recht, einen Schlüssel zu verlangen?
- Ich soll jetzt an einer allgemeinbildenden Schule Klassenunterricht geben, ein pädagogisches Konzept oder eine Ausbildung dafür habe ich aber nicht. Muss ich das tun?
- Ich bin freier Mitarbeiter, muss der Arbeitgeber mich extra bezahlen, wenn ich an Konferenzen teilnehme?
- Ich soll eine Musikschulveranstaltung leiten und moderieren, bin ich dazu verpflichtet?
- Ich habe schon meinen Urlaub in den Osterferien gebucht, jetzt soll ich eine Jugendherbergsfahrt mit den Schülern betreuen, muss ich den Urlaub absagen?
- Mein Musikschulleiter möchte, dass ich zusätzlich fünf Stunden in der Woche im Büro arbeite, er sagt, das gehöre zu meinen Zusammenhangstätigkeiten, kann er mich dazu verpflichten?
- Ich bin freier Mitarbeiter, ist der Personalrat auch für mich zuständig? Etc. etc.
Allein die Vielfalt und Fülle der Fragen beschreibt die Unsicherheit in der Kollegenschaft. Wer kennt schon so genau seine Rechte? Tatsächlich lassen sich viele Antworten aus den Gesetzestexten ableiten, und ja, wir haben Rechte! Der Landesfachgruppenvorstand Musik von ver.di NRW zieht Konsequenzen aus dem Infotag und wird im Frühjahr 2016 zum Thema „Arbeitnehmerrechte von Musikschullehrern und Gründung von Betriebsgruppen“ für seine Mitglieder ein Tagesseminar anbieten. Denn nur, wer seine Rechte kennt, kann sich wehren.
Betriebsgruppen gründen
Allerdings ist es mindestens genauso wichtig, gemeinsam zu handeln. Musikschullehrer arbeiten meistens eigenverantwortlich und isoliert von den Kollegen. Mit den Schülern alleine im Unterrichtsraum, von Ort zu Ort ziehend, mit unterschiedlichen Stundenplänen, die keine gemeinsamen Pausen zulassen, haben Kollegen kaum Kontakt untereinander.
Viele beklagen, dass ihnen der Austausch fehlt und fühlen sich mit ihren Problemen alleine.
Eine gute Vernetzung wäre aber immens wichtig, denn viele Stimmen bewirken mehr als eine einzelne.
Für ver.di-Mitglieder bietet sich als gemeinsame Grundlage die Gründung einer Betriebsgruppe an.
So kann man sich nach dem vereinbarten Rhythmus mehrmals im Jahr treffen, sich austauschen, zuhören, Lösungen finden und kollektive Interessen stärken. Die Erfahrung mit bestehenden Betriebsgruppen zeigt, was möglich ist! Auch der Kontakt zum Elternbeirat oder Förderverein kann sehr hilfreich sein. Eltern wollen für ihre Kinder ein kompetentes Kollegium und können wichtige Unterstützer sein. Sie sind schließlich auch Wähler, und für Politiker zählt noch immer jede Stimme. Die „Vogel-Strauß-Taktik“, also den Kopf in den Sand zu stecken, hat bisher noch keinem geholfen.
Darum ist es an der Zeit, neugierig zu werden, neugierig auf Rechte und Handlungsoptionen, und es ist höchste Zeit, sich zusammenzuschließen und füreinander einzusetzen.
Musikalische Bildung ist wichtiges Kulturgut, und ihre Vermittler verdienen mehr Wertschätzung, die sich nicht nur in politischen Sonntagsreden niederschlagen darf. Anerkennung heißt nicht nur gut gemeintes Lob, sondern auch angemessene Bezahlung nach Tarif und Arbeitsbedingungen, die eine pädagogisch sinnvolle und wertvolle Arbeit ermöglichen.
Bundespräsident Joachim Gauck in seiner Rede zum Wandelkonzert anlässlich des 50. Jubiläums von „Jugend musiziert“, Schloss Bellevue, am 26. Mai 2013: „Vor Ihnen steht zwar kein Musiker, aber ein Mensch, der kostbare Augenblicke seines Lebens der Musik verdankt. (. . .) Musikalische Bildung in Deutschland hat eine höhere Wertschätzung in der Gesellschaft verdient, als sie derzeit erkennbar ist. (…) Wie wichtig es ist, dass wir einem Kind Musik erschließen, das haben alle diejenigen Eltern und Lehrer begriffen und auch erlebt, die Kinder zur Musik hinführen und mit Kindern musizieren. (. . .) Im gemeinsamen Musizieren eröffnen sich Menschen ja nicht nur die Welten der Musik, der Kultur. Indem sie aufeinander hören, miteinander arbeiten, sich selbst etwas abverlangen, lernen sie eine Lebensform der Verbundenheit miteinander und der Bezogenheit aufeinander. Weder im privaten Leben noch im öffentlichen Miteinander können wir auf diese Lebenshaltung und auf diese Lebensform verzichten.“
Vernetzen und informieren
Um also die Qualität unserer pädagogischen Arbeit zu erhalten und auszubauen, ist es unverzichtbar, sich gut zu vernetzen und sich gegenseitig zu stärken. Wer seine Rechte kennt und keine Angst hat, weil er nämlich nicht mehr isoliert ist und sich der Unterstützung von Kollegen und Eltern sicher sein kann, hat Rückendeckung und mehr Handlungsmöglichkeiten.
Und nicht zuletzt ist die eigene Wertschätzung doch zugleich Voraussetzung für eine Wertschätzung von außen.