Seit geraumer Zeit wird über die Zukunft der Musikschulen diskutiert. Befürworter stützen sich vorrangig auf Transfereffekte der geistigen Entwicklung von Kindern, auf die wachsende soziale Kompetenz durch gemeinschaftliches Musizieren. Gegner, voran etliche Kommunen, tasten aus Finanznot und Desinteresse die Existenz und Qualität der kommunalen Musikschulen an und wollen andere, meist privatisierte Modelle. Zugespitzt hat sich die Diskussion durch diverse Schul- und Bildungsmodelle. Fakt ist: Die Musikschulen müssen sich reformieren, um zukunftsfähig zu bleiben. Die ver.di-Landesfachgruppe Musik in Nordrhein-Westfalen legt deshalb ein 14-Punkte-Plädoyer vor, das wir hier zusammenfassen.
Unterrichtsformen
Eltern sollten in die Lage versetzt werden, sich ausschließlich aus pädagogischen und psychologischen Gründen für Einzel- oder Gruppenunterricht zu entscheiden. Anfängergruppen sind auf der Basis sorgfältiger Vorauswahl nach pädagogischen und psychologischen Kriterien zusammenzustellen. Die Lehrkräfte müssen ein diesbezügliches Entscheidungsrecht haben. Auch sollte es möglich sein, Anfänger in der ersten Unterrichtsphase zunächst allein zu unterrichten und in einer zweiten Phase bekannte Schüler zu kleinen, homogenen Gruppen zusammenzufassen. Es sollten Rahmenbedingungen vorhanden sein, die den flexiblen Wechsel und die Parallelität von Einzel- und Gruppenunterricht sowie von Ensemblespiel ermöglichen. Diese Vielseitigkeit kann nur organisiert werden an Musikschulen mit dauerhaft fest angestellten Lehrkräften, deren Beschäftigungsumfang so groß ist, dass flexible Stundenpläne gestaltet werden können. Wir empfehlen daher, einen Teil der Unterrichtszeit umzuwandeln in Dispositionsstunden.
Vernetzung mit allgemein bildenden Schulen
Die Kooperation mit allgemein bildenden Schulen stellt eine bildungspolitisch sinnvolle Ergänzung zur originären Musikschularbeit dar. Grundsätzlich sollte der Schulmusikunterricht mit seinem umfassenderen Bildungsanspruch in gleichem Maße seinen eigenen Stellenwert behalten wie die Instrumentalpädagogik der Musikschulen: Wir können und wollen auf beides nicht verzichten. Streicher- und Bläserklassen, wie sie seit geraumer Zeit vor allem an Gymnasien eingerichtet werden, bieten weder gleichwertigen Ersatz für ausfallenden Schulmusikunterricht, noch für instrumentalen Einzel- und Kleingruppenunterricht: Sie können nur als wertvolle Initialzündung dienen, der ein kontinuierlicher Instrumentalunterricht folgen kann.
Ähnliches gilt für das Grundschulprojekt „JeKi“ („Jedem Kind ein Instrument“). Allerdings zeichnet sich die Tendenz ab, das qualifizierte Angebot an kontinuierlichem, qualitativ hochwertigem Instrumentalunterricht zu Gunsten von „JeKi“-Stunden zu reduzieren und damit einem Kernbereich der bisherigen Musikschularbeit „das Wasser abzugraben“.
Diesen Kooperationsformen sind Probleme gemeinsam, die dringend gelöst werden müssen:
• Die Musikschullehrkräfte sollten eine vergleichbare Vergütung wie ihre Kollegen an den allgemein bildenden Schulen erhalten.
• Der obligatorische Klassenunterricht in allgemein bildenden Schulen stellt grundlegend andere Anforderungen an die Lehrkräfte als der freiwillige Kleingruppen- und Einzelunterricht an den Musikschulen. Insbesondere Disziplinschwierigkeiten versucht man in der Praxis mit Hilfe des sogenannten „Team Teaching“ zu begegnen; dabei ist es durchaus nicht unüblich, dass der gut bezahlte Schulmusiker die Aufsicht führt, während die schlechter bezahlte Musikschullehrkraft die musikpädagogische Arbeit leistet.
• Die Musikschulen müssen den kontinuierlichen Anschlussunterricht personell sicherstellen können, um die wertvolle Anfangsmotivation nicht im Sande verlaufen zu lassen.
Offene Ganztagsschule
Die Diskussion über das Thema „Ganztagsschule“ berührt die kommunalen Musikschulen in besonderem Maße: Viele Räume in allgemein bildenden Schulen stehen für den Instrumentalunterricht nicht mehr zur Verfügung; die Zeit, die Musikschulschülern für den Unterricht, für die Teilnahme an Ensembles, Chören und Orchestern sowie zum häuslichen Üben bleibt, wird durch die längere Verweildauer in der Schule zum Teil drastisch reduziert.
• Erklärtes Ziel der offenen Ganztagsschule ist es, Schüler gezielt und individuell zu fördern, das heißt unter anderem passiven Freizeitkonsum durch sinnvolle Aktivitäten unter fachkundiger Anleitung zu ersetzen. Doch an manchen Schulen findet lediglich eine Beaufsichtigung statt. Es wäre absurd, wenn Schüler der kommunalen Musikschule ihren Instrumentalunterricht aus Zeitgründen aufgeben müssten. Musikschulschüler sind für den Besuch der Musikschulen freizustellen.
• Darüber hinaus sind in den allgemein bildenden Schulen Übungsräume bereitzustellen, um die Reduktion der häuslichen Übezeiten partiell auszugleichen.
• Musikschul- und Honorarlehrkräfte, die in allgemein bildenden Schulen tätig sind, müssen anfallende Mehrarbeit, auch Fahr- und Regiezeiten, angemessen vergütet bekommen.
Verkürzung der Gymnasialschulzeit auf acht Jahre – G8
Die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die kommunalen Musikschulen sind mindestens so gravierend wie die Auswirkungen durch die Einführung der offenen Ganztagsschule: Die Stundenpläne der Gymnasien werden „aufgestockt“, um den Lehrstoff von neun in acht Jahren zu vermitteln; die für Hausaufgaben benötigten Zeiten werden länger. Der frühe Nachmittag steht somit oft für den Musikschulunterricht nicht mehr zur Verfügung; die Zeit für das häusliche Üben wird drastisch reduziert. Da es einer bildungspolitischen Katastrophe gleichkäme, wenn motivierte und begabte Schüler „en masse“ aus Zeitnot das praktische Musizieren aufgäben, sind geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um größeren Schaden abzuwenden.
Beschäftigungsverhältnisse und Betriebsstrukturen
Sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze – von manchen als Luxus und Nostalgie diffamiert – sind ein Gebot sozialpolitischer und wirtschaftlicher Vernunft.
Musikschullehrkräfte verfügen über eine fundierte Hochschulausbildung und sollten nicht wie Tagelöhner behandelt werden. Honorarverträge sind nur in Ausnahmefällen für kurzzeitige Projekte abzuschließen, wenn diese eine spezielle Qualifikation verlangen und vom Stammpersonal nicht durchgeführt werden können. Selbstverständlich sollten auch Honorarkräfte Anspruch haben auf: Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, bezahlten Urlaub, regelmäßige Angleichung der Honorare an die allgemeine Einkommensentwicklung.
Demokratische Betriebsstrukturen
Wir empfehlen den Ausbau betrieblicher Mitbestimmung, die Einrichtung von Mitarbeitergremien für fachliche Fragen, vom Kollegium zu wählende Leitungsgremien sowie eine verbindliche Beratung mit Elternbeiräten vor wichtigen schulinternen Entscheidungen. All dies sollte in den Satzungen beziehungweise Geschäftsordnungen verbindlich festgelegt werden.
Wir fordern: Den Erhalt kommunaler Musikschulen als öffentliche Bildungseinrichtung gesetzlich zu verankern (Musikschulgesetz). Auslagerung und Privatisierung führen grundsätzlich zur Einschränkung möglicher demokratischer Einflussnahme. Musisch-kulturelle Bildung sollte Pflichtaufgabe des Staates sein.
An den öffentlichen allgemein bildenden Schulen sollten nur kommunale und gemeinnützige Musikschulen agieren dürfen.