Nein, an eine Renaissance des politischen Liedes glaubt Karl-Heinz Ocasek nicht. Der Einmannbetreiber des Labels Barbarossa, einst Mitglied des Berliner Oktoberklubs und Produzent beim VEB-Plattenmonopol, verdient dennoch recht gut am politischen Liedgut der Vergangenheit. Seine sogar beim Aufbau-Verlag erschienene CD-Sammlung mit Pionier-, Kinder- und FDJ-Liedern wird er reißend los, ebenso das vom Eulenspiegel-Verlag herausgegebene Liederbuch „Fröhlich sein und singen“. Ocasek sieht es als „Standardliederbuch“ zum Nachsingen am Lagerfeuer oder bei Partys, wo die alten Lieder, die einst die Diktaturkinder mit Widerwillen bei Fahnenappells oder Republikgeburtstagen sangen, „lebendig“ gehalten werden.
Nein, an eine Renaissance des politischen Liedes glaubt Karl-Heinz Ocasek nicht. Der Einmannbetreiber des Labels Barbarossa, einst Mitglied des Berliner Oktoberklubs und Produzent beim VEB-Plattenmonopol, verdient dennoch recht gut am politischen Liedgut der Vergangenheit. Seine sogar beim Aufbau-Verlag erschienene CD-Sammlung mit Pionier-, Kinder- und FDJ-Liedern wird er reißend los, ebenso das vom Eulenspiegel-Verlag herausgegebene Liederbuch „Fröhlich sein und singen“. Ocasek sieht es als „Standardliederbuch“ zum Nachsingen am Lagerfeuer oder bei Partys, wo die alten Lieder, die einst die Diktaturkinder mit Widerwillen bei Fahnenappells oder Republikgeburtstagen sangen, „lebendig“ gehalten werden.De noch zu Zeiten des Faschismus Geborenen greifen freilich lieber zur Ernst-Busch-Chronik mit Songs aus den 20er-Jahren. Amiga-Mitarbeiter, die mit ihrem Label bei dem Major BMG unterkamen, geben zu, dass sich mit politischen Liedern immer noch ein besseres Geschäft machen lässt als beispielsweise mit Ostrock. Warum wohl klebt eine beachtliche Zahl von Neubundis unbemerkt von der Öffentlichkeit in ihren Stuben und privaten Fes-ten die Scherben der Vergangenheit zusammen? Um die Wessis zu ärgern, denen moralisierende Kampfeslieder weitgehend fremd sind und die mit Hannes Wader jammerten „Ja auch dich haben sie schon immer betrogen“? Wo aber findet die Auseinandersetzung mit dem kämpferischen Singsang in der Tiefe wirklich statt?Das „Festival des politischen Liedes“, das im vergangenen Jahr seinen 30. Geburtstag feierte, wäre ein guter Ort gewesen. Mittlerweile heißt das Treffen roter Sänger „Festival Musik und Politik“. In den letzten Jahren unternahm das Festival halbherzige Versuche, der eigenen Vergangenheit Herr zu werden. So etwas wie Trauer, die den Schmerz über die zerbrochenen Ideale von einer humanen sozialis- tischen Gesellschaft deutlich machte, kam kaum auf. Die Mehrheit der heute 40- bis 55-jährigen Sänger mag nicht wahrhaben, dass ihre Ideologie nicht durch Überzeugungskraft die Oberhand gewonnen hatte, sondern mit dem Sieg der Roten Armee über Ostdeutschland gekommen war. Sie lachen spöttisch über Honecker, Ulbricht und all die anderen Väter – so, als hätten die nichts mit ihnen zu tun. Als hätte der Oktoberklub nicht alljährlich mit dem Chor der Berliner Parteiveteranen auf einer Bühne die Einheit der Generationen demonstriert.
Es hat etwas Traurig-Depressives um diesen singenden Vortrupp der Einheitspartei. Die meisten Mitglieder fügten sich und besangen die Ideale ihrer Eltern. Auch wenn die Lieder sachte rhythmisch aufgemotzt waren, knüpften sie mit ihren weltverbesserischen Texten an die Arbeitersängerbewegung der 20er-, 30er-Jahre an. In wohl behüteter Geborgenheit aufgewachsen, folgten die jungen roten Sänger – trotz Aufmüpfigkeit, trotz gelegentlicher Verbote – letztlich dem Diktat der alten Herren. Parteidisziplin zählte und Selbstzensur. Die Angst, sich nach dem Ende der DDR der eigenen Vergangenheit ehrlich zu stellen und sich von ihr zu lösen, ist über zehn Jahre nach der Wende immer noch spürbar. Es hat wohl seine Logik, das da nichts Neues gedeihen kann.
Und im Westen? Auch da nichts Neues. Hier rockte Udo Lindenberg kürzlich für „Rock gegen Rechts“. Noch 1987 freute sich der Panikro- cker in einem offenen Brief an Erich Honecker, der er die berühmte Lederjacke beilegte: „Ist es nicht geil, dass es bei euch so viele Kids gibt, die keinen Berater-Vertrag mit Valium und Durchängolin haben... Diese Kids sind keine Krawallisten und Randaleure, die stehen genauso wie du auf Rock’n’Roll und Locker-drauf-sein.“
Nun schreibt Lindenberg, der seinen Schlapphut immer mehr vor die dunklen Gläser seiner Sonnenbrille zieht, einen Brief an die Nazis. Vor allem an die in Ostdeutschland – so, als habe sich nur die einstige rote Repub-lik in braune Farbe getaucht. Und das aus heiterem Himmel heraus. Vermutlich sind auch Kinder der Kids von damals dabei, die er mit gewaltig-blumigen Worten trotzig angreift: „Auf deutschen Boden will ich keine Wiedergeburt der braunen Zombies sehen, nicht mehr einen Ferngesteuerten aus der stinkenden, braunen Kloake des Gestern, nicht mehr einen Verräter an den Menschenrechten, nicht mehr einen hirntoten rechtsextremen Terroristen.“ Deshalb also singt er harte Lieder wie „Haut die Glatzen auf die Schnauze“ und „Sie brauchen keinen Führer“ für die „Bunte Repub-lik Deutschland“. So, als rechtfertige rechte Gewalt die von links. So, als hätten die Linken die Wahrheit für sich gepachtet. Zusammen mit reichen Stars im reifen Alter wie Nena, Jule Neigel oder Nina Hagen steht der Hotel-Bewohner Udo auf der Bühne gemeinsam mit Alibi-Youngstern wie der Gruppe Reamonn und den Söhnen Mannheims und ausgewählten Ostkollegen wie den Grand-Prix-Schockern Knorkator oder dem Nachwuchs Last Generation. Schirmherr der Aktion, die einen „Schulterschluss zwischen Politikern auf nationaler und regionaler Ebene und Leitfiguren“ wie Udo Lindenberg anstrebt, ist diesmal Bundestagspräsident Wolfgang Thierse. Jener Mann, der sich jüngst im gediegenen Berliner Grunewald wunderte, dass Schüler keine rechte Lust auf eine Diskussion über rechte Gewalt in Ostdeutschland zeigen. Was ist nur los in dieser vereinten Republik Deutschland?
Helfen Parties im Stile der 80er-Jahre etwa gegen die Gefahr von rechts in einem Deutschland 2001? Oder tarnen sie sich gar unter dem Deckmantel des Guten – um ihre Umsätze anzukurbeln? Rein zufällig hat Lindenberg gerade ein neues Album auf den Markt gebracht. Und so mancher Manager freut sich über jeden Gig, der ein breites Medienecho garantiert – obwohl sein Schützling für den guten Zweck auf die Gage verzichtet.
Wie interessant wäre es doch, aus Lindenbergs Mund zu hören, was er davon hält, dass die Zillertaler Türkenjäger – eine rechte Band übrigens aus Westdeutschland – seinen „Sonderzug nach Pankow“ über Mekka fahren lässt. Nein, er hat sich nicht gewehrt gegen rassistische Zeilen wie „niemand will euch sehen mit eurer fremden Kultur, mit der stört ihr uns nur“. Zumindest ist es nicht bekannt. Hätte er sich getraut, diesen rechten Musikern persönlich zu sagen: „Diese Unbelehrbaren brauchen nichts weiter als die volle Härte unseres Rechtsstaates?“ Schafft linke Gewalt als Antwort auf rechte „ein weltoffenes, supertolerantes Land“, das sich wohl nicht nur unser aller Udo so sehr wünscht?
Und wie steht’s um den Streit innerhalb der linken Rockszene? Es scheint kein Zufall zu sein, das sich gerade die Drei Highligen – ein zeitliches Bündnis aus den „Rock für den Frieden“-satten Sängern Dirk Michaelis, André Herzberg und Dirk Zöllner – immer mehr aus der Live-Aktion gedrängt fühlte und letztendlich selber absagte, weil die drei eine andere Vision haben. Die von einem neuen Wir-Gefühl, das dem Einzelnen genügend Raum lässt. – Ein Wir-Gefühl, das nicht vereinnahmt gegen etwas, sondern das ein von jedem mittragbarer Kompromiss für etwas ist.
Der Niedergang des politischen Liedes ist wohl ein Zeichen für gespaltene Gefühle im vereinigten deutschen Land. Und es scheint, als würde die Spaltung fortdauern und mit ihr ein unterschwelliger Generationenkonflikt.
Die Kinder linker Eltern, so offenbarte das Festival „Musik und Politik“, wollen vor allem eins nicht: ihren Alten zuhören. Respektlos ging das junge Publikum aus dem Saal, als zum Beispiel Kai Degenhardt mit Liedern voller „Antipop“ seine durchaus beachtenswerten Zeilen mit einer monoton-starren Musik unterlegte. Bei jungen linken Bands wie Knarf Rellöm aus Hamburg jedoch, wo sich überlaute tanzflurgetestete Diskoknaller mit Revoluzzerparolen und schrägen musikalischen Collagen paaren, ist nur noch Bewegung angesagt. „Das war kein Sozialismus. Das war Spießerkram“, schrie der Sänger. So, als wolle er der linken Elterngeneration in den Kopf beißen. Egal, ob die nun depressiv mit ihrer Ost-Vergangenheit hadert oder die einstigen Ideale gegen Konsum und Karriere getauscht hat.
Rechte Kids dagegen hören umso intensiver ihren Großvätern zu. Jenen etwa, die heute Hallen voll Musikantenstadl-Musik füllen. Kaum wahrgenommen von der Öffentlichkeit, ist der Rechtsrock die erfolgreichste politische Musik der letzten Jahre. Rund anderthalb Millionen Tonträger schwirren unter den Jugendlichen – trotz Razzien, trotz Verbote. Texte über das dritte und angestrebte vierte Reich, das Militär, Germanenglauben, über Volk, Heimat und Vaterland werden mit einer meist dilettantischen Musik transportiert. Egal, ob in weiblich-romantischer oder männlich-aggressiver Pose. Wieder mal ist Kunst Waffe in Deutschland – Tendenz steigend. Ob uns das passt oder nicht. Es rächt sich eben, die Schattenseiten der Vergangenheit zu verdrängen. Die gebiert ohnehin nur Doppelzüngigkeit und die so gern übersehene ganz alltägliche Gewalt.