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Traumjob: Arbeit in der Kulturellen Bildung ?

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Ein Plädoyer für die hohe Bedeutung von Kultur und Kultureller Bildung
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Ich mochte meinen Beruf als Querflötenlehrerin an einer öffentlichen Musikschule. Sehr sogar, es war mein Traumberuf. Jahrelang hatte ich mich in ungezählten Stunden meinem Instrument gewidmet. Das war nicht immer einfach, aber überwiegend doch so beglückend, dass ich dieses selbst erlebte Glück meiner Musikschul-Kindheit an andere Menschen weitergeben wollte.

Und so verließ ich vor vielen Jahren „meine“ Musikhochschule mit einem sehr erfreulichen Abschlusszeugnis und entsprechender Freude darüber, nun endlich auch staatlich geprüft in den Berufs
alltag gehen zu können. Natürlich war mir schon vor dem Studium zu Ohren gekommen, dass es nicht einfach würde. Weniger wegen nicht übender oder „schwieriger“ SchülerInnen, sondern eher, weil es – sofern man nicht das Glück hätte, eine Festanstellung an einer Musikschule zu ergattern – sowohl finanziell als auch von der sozialen Absicherung her problematisch werden könnte. Das war bereits in den 1990erJahren bekannt, ganz besonders in der Hauptstadt, in der damals 95 Prozent aller Musikschullehrkräfte Honorarkräfte waren und in der ich lebte. Wenn man jung und gesund ist, schrecken einen solche Kassandra-Rufe aber nicht ab, denn man fühlt sich topfit und voller Tatendrang, und sooo schlecht waren ja auch die Bedingungen selbst in Berlin nicht. Schließlich gab es eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall von immerhin 80 Prozent des Honorars, und auch die Schulferien wurden durchbezahlt. Das war weitaus mehr, als die Honorarkräfte in anderen Bundesländern bekamen.

Die Verweigerungsphase

Im Laufe der Jahre holte mich die Realität ein. Ich wurde älter und war tatsächlich manchmal krank. Die 20 Prozent, die der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall fehlten, schmerzten auf dem Konto erstaunlich. Also ging ich auch krank zum Unterrichten, was für alle Beteiligten nicht angenehm war. Schülervorspiele, Teamsitzungen und andere sinnvolle und für einen Musikschulbetrieb unerlässliche „Zusammenhangs-tätigkeiten“ wurden entweder gar nicht oder mit so lächerlichen Sätzen honoriert, dass ich irgendwann beschloss, diese Tätigkeiten komplett einzustellen. Keine Schülervorspiele mehr, keine Teilnahme an Fachbereichssitzungen, keine Vorbereitung von SchülerInnen auf „Jugend musiziert“, keine Elterngespräche, keine zusätzlichen Ensembles, keine Fortbildungen, keine Teilnahme an Kongressen. Schlecht für meine Schüler*Innen, aber irgendwann hat man eben keine Lust mehr, ständig unbezahlt zu arbeiten. Dann kamen Anfang 2000 in Berlin Haushaltssperren, Aufnahmestopps und Kontingentierung, die meine KollegInnen und mich dazu zwangen, nur noch so viele beziehungsweise wenige Stunden zu unterrichten, wie man eben von der Musikschulleitung zugestanden bekam. Das Einkommen war damit nach oben limitiert, nach unten jedoch nicht. Befand ich mich zuvor in einer Art Verweigerungsphase der Berliner Senatsverwaltung gegenüber, war das dann endgültig mein Einstieg in den Ausstieg, und ich begann schweren Herzens, nach beruflichen Alternativen zu suchen.

Im Zorn

Das alles machte mich sehr, sehr zornig auf die Politik mit ihren Sonntagsreden, und ich begann mich, trotz des angedachten Berufsausstiegs in der Fachgruppe Musik, in ver.di und in anderen ehrenamtlichen Gremien zu engagieren, um einen Beitrag zur Verbesserung dieser Zustände zu leisten. Seit meinem Eintritt in ver.di in den späten 1980er Jahren hat sich Einiges bewegt, doch noch lange nicht genug. Im Laufe der Zeit erfuhr ich durch meine verschiedenen Ehrenämter, wie viele Menschen überhaupt in der Kulturellen Bildung unter prekären Bedingungen arbeiten: MuseumspädagogInnen, Menschen, die in Gedenkstätten arbeiten, TheaterpädagogInnen, ArtistInnen oder KunstpädagogInnen, um nur einige Beispiele zu nennen.

Als Corona kam, war ich bereits aus dem Beruf als Musikschullehrerin ausgestiegen. Zum ersten Mal war ich fest angestellt und wurde nach einem Tarifvertrag bezahlt. Dieses Glück hat nicht jeder. Die Pandemie, die Schließungen und Einschränkungen, traf viele meiner ehemaligen KollegInnen und andere in der Kulturellen Bildung Beschäftigte; sie mussten in die Kurzarbeit, verloren Aufträge, Projekte kamen nicht zu Stande.
Die Corona-Pandemie hat ohne Frage Aufmerksamkeit für die prekären Lebens- und Arbeitsbedingungen der Kulturschaffenden geschaffen. Doch die Arbeitsbedingungen in der Kulturellen Bildung sind noch immer ein Randthema auf der politischen Bühne, und das, obwohl sehr viele Kulturschaffende auch in der Kulturellen Bildung tätig sind. Deshalb setzen wir als Gewerkschaft hier einen Arbeitsschwerpunkt, nicht nur in der Fachgruppe Musik, sondern in jeder der vier Kunstfachgruppen. Denn kulturelle BildnerInnen sind in allen Bereichen vertreten und von prekären Arbeitsbedingungen betroffen. So haben KollegInnen aus dem Bereich Kultur in ver.di gemeinsam einen Forderungskatalog entworfen, der die Schwachstellen des Systems „Kulturelle Bildung“ klar benennt und zugleich Lösungsvorschläge bietet. Angemessene Bezahlung und Planungssicherheit sind die Grundpfeiler des Katalogs.

Die Faktoren, die zu einer prekären Beschäftigung in der Kulturellen Bildung beitragen, sind vielfältig und miteinander verwoben. So wirken sich Scheinselbstständigkeit und zugleich viel zu niedrige und nicht an einem Tarifvertrag orientierte Honorare auf das Einkommen negativ aus. Wir fordern daher, Schein-selbstständigkeit zu vermeiden. Zumindest dort, wo eine Einbindung in den Regelbetrieb besteht oder wiederholte Beschäftigung für denselben Auftraggeber vorliegt, müssen Festanstellung und tarifliche Entlohnung Standard sein. Dort, wo eine freie Tätigkeit von Seiten der Beschäftigten ausdrücklich gegenüber einer Festanstellung bevorzugt wird, müssen angemessene branchenspezifische Basishonorare gezahlt werden, die sich am TVöD orientieren und dabei den Besonderheiten der Selbstständigkeit gerecht werden. Also zum Beispiel den Erhalt der eigenen künstlerischen Fertigkeiten oder eine Recherchetätigkeit oder eine Materialbeschaffung im Rahmen der Vorbereitung eines Workshops einkalkulieren. Ein Vorschlag für ein Berechnungsmodell für Basishonorare, angelehnt an den TVöD, liegt auch ver.di vor. Die Vorschläge für die Basishonorare wurden von einer spartenübergreifenden Arbeitsgemeinschaft der in ver.di organisierten Kulturschaffenden erarbeitet. Ver.di fordert, dass solche Mindesthonorare eine unabdingbare Voraussetzung für eine staatliche Förderung werden. Auch dort, wo nicht öffentlich gefördert wird, sollen Basishonorare die untere Grenze bilden, vergleichbar mit dem Mindestlohn.

Was tun?

Für die Arbeit in der Kulturellen Bildung ist es unerlässlich, sich regelmäßig weiterzubilden, da sich durch gesellschaftliche Veränderungen stets neue Aufgabenfelder eröffnen. Diese spiegeln sich in den jeweiligen öffentlichen Ausschreibungen für Projekte in der Kulturellen Bildung wider. Hier stehen derweil die Themen „Migration“, „Inklusion“, „Diversität“ und „Digitalisierung“ im Fokus.  Auch Honorarkräfte und Selbstständige haben ein Recht auf Fort- und Weiterbildung, um sich an den Ausschreibungen überhaupt beteiligen zu können. Fort- und Weiterbildungen müssen daher, wenn sie vom Auftraggeber erwartet werden, auch bei Honorarkräften und Selbstständigen vergütet werden.

Auch diesen Aufwand bilden wir als ver.di in dem von uns erarbeiteten Konzept zu Basishonoraren ab. Darüber hinaus fordern wir, eine Antragstellung für öffentlich geförderte Projekte in der Kulturellen Bildung auch einzelnen Kulturschaffenden zu ermöglichen. Bislang werden sie nahezu ausnahmslos über institutionelle Träger abgewickelt. Die Kriterien für die Bewilligung beziehungsweise Ablehnung eines Antrags sollen dabei transparenter gestaltet werden als es aktuell der Fall ist. Obwohl sehr viel Arbeitszeit und -kraft in die Antragstellung fließen, erhalten die AntragstellerInnen oft keinerlei Begründung, warum ihr Antrag abgelehnt beziehungsweise angenommen wurde und wer eigentlich darüber entscheidet. Das betrachten wir als Verschwendung von Arbeitskraft.

Die seit Jahren grassierende „Projektitis“ bietet den in der Kulturellen Bildung arbeitenden Menschen außerdem keinerlei soziale und finanzielle Sicherheit. Sie hangeln sich oftmals von Projekt zu Projekt und wissen nicht, wie und ob es jeweils weitergeht. Damit kulturelle Bildungsprozesse nachhaltig wirken, braucht es aber Kontinuität und versierte Fachkräfte. Doch die unsichere Perspektive der KulturpädagogInnen ist ein Grund für den zunehmenden Fachkräftemangel in der Kulturellen Bildung, verstärkt durch die Einschränkungen während der Corona-Pandemie. Auch zuvor wandten sich viele KulturpädagogInnen bei Gelegenheit anderen, lukrativeren und sichereren Branchen zu. Daher gehören zu unseren Forderungen auch die nach der Schaffung langfristigerer Perspektiven und  nach dem Zurückfahren von Projekten zugunsten von verlässlichen Strukturen – nicht nur im Sinne der Beschäftigten, sondern auch im Sinne der zu Bildenden.

Da es hierzu eines Gesamtkonzeptes Kultureller Bildung bedarf, scheint uns eine Aufhebung des Kooperationsverbotes zwischen Bund, Ländern und Kommunen unumgänglich. Nur so können die zu etablierenden Strukturen dauerhaft und finanziell auskömmlich abgesichert werden. Ganz besonders vor dem Hintergrund, dass ab 2026 ein Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung an Grundschulen besteht, wird dies ohnehin ein notwendiger Schritt sein. Die Schulen werden noch mehr auf PädagogInnen aus verschiedenen Kultursparten angewiesen sein, um ein attraktives Ganztagsangebot machen zu können. Kulturelle Bildung muss somit als elementarer Bestandteil schulischer Bildung anerkannt werden, denn ohne Kulturelle Bildung im Kindesalter werden auch kulturelle Angebote später im Leben nicht genutzt. Diese Erkenntnis wünscht man auch manchen Kultur- und Bildungsministerien, die sich gegenseitig die Verantwortung für die Kulturelle Bildung zuschieben, statt konstruktiv zusammenzuarbeiten. Das ist weder denen, die von der Kulturellen Bildung partizipieren sollen, noch denjenigen, die in der Kulturellen Bildung arbeiten, dienlich.

Solidarisiert euch!

Mit Hoffnung hörte ich die Ausrufe während der Pandemie, die Situation von Kulturschaffenden müsse verbessert werden. Es gründeten sich private Initiativen von Kulturschaffenden, und KünstlerInnen äußerten sich in den sozialen Medien. Die Vielfalt der Stimmen erfreut mich, doch wir verlieren an Stärke, wenn wir nicht zugleich auch gemeinsam sprechen und uns zusammen organisieren. Deshalb werbe ich für ein Zusammenkommen in der ver.di. Denn wir werden all unsere Kraft brauchen: Die ersten Sparrunden sind angekündigt, bei Kultur wird schnell gekürzt.

Doch wenn wir uns als Gesellschaft über die hohe Bedeutung von Kultur und Kultureller Bildung einig sind, dann sollten wir uns auch einig sein, dass die Menschen, die in der kulturellen Bildung arbeiten, angemessen honoriert und sozial abgesichert werden müssen. Dies sollte unsere Grundforderung für die kulturelle Bildung sein. Und um dies umzusetzen, braucht es uns alle. Deshalb: solidarisiert und organisiert euch!

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