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Zehn Jahre Schallplattenlabels Ost

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Teil II des Artikels „Zwischen Buschfunk und Turbo Beat“ · Von Christine Wagner (Teil I)
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Erst Mitte der 80er-Jahre durften sich die DDR-Bands offiziell so etwas wie einen Manager, der freiberuflich arbeiten konnte, leisten. Nur wenige konnten in dem geschlossenen Markt ihre Fähigkeiten voll entfalten. Die Mehrzahl war nicht in der Lage, weder selbstständig noch produktorientiert zu arbeiten – und vertraute wohl auch nicht der in der DDR entstandenen Musikkultur.

Kapital besaß keiner der Labelgründer im Osten. Doch nicht dieser Mangel erwies sich als Hauptproblem. Die ersten Labelpioniere waren um die 40 und verfügten über Erfahrungen aus einem System, das Politik und Ideologie mehr Beachtung schenkte als der Wirtschaft. So war es fast logisch, dass auch die Labelgründer Promotion und Vertrieb weniger gewichteten als die künstlerische Produktion. Für das eigene Produkt selbstbewusst zu werben und auf die Medien zielgerichtet zuzugehen, bereitet heute noch einigen Labels Schwierigkeiten. Sie waren gewohnt, dass man auf sie zukommt – und nicht umgekehrt. Manches interessante Produkt blieb somit einer gesamtdeutschen Öffentlichkeit verborgen. Erst Mitte der 80er-Jahre durften sich die DDR-Bands offiziell so etwas wie einen Manager, der freiberuflich arbeiten konnte, leisten. Nur wenige konnten in dem geschlossenen Markt ihre Fähigkeiten voll entfalten. Die Mehrzahl war nicht in der Lage, weder selbstständig noch produktorientiert zu arbeiten – und vertraute wohl auch nicht der in der DDR entstandenen Musikkultur. Das erklärt, dass neun Jahre nach der Wende westdeutsche Medien nur selten Produkte der ostdeutschen Musikszene zur Kenntnis nehmen und es mit „Buschfunk“ nur einen eigenständigen ostdeutschen Vertrieb gibt. Und der ist flächendeckend nur im Osten präsent.

Andererseits ist die Bindung zwischen Publikum und Künstlern lockerer geworden, obwohl die neuen Songs nicht schlechter als die alten sind. Und in Krisenzeiten greifen die meisten Fans gern auf Altvertrautes zurück. Hinzu kommt das Überangebot auf dem Plattenmarkt und der schmaler gewordene Geldbeutel der Käufer, den die kleinen Label und ihre Künstler zu spüren bekommen.

„Buschfunk“ (Berlin): 1990 gegründet von Kulturwissenschaftler Klaus Koch, einst Angestellter im DDR-Kulturapparat. Drei Angestellte. Dreieinigkeit aus Agentur, Vertrieb und Plattenlabel. Zweimal im Jahr erscheint ein Vertriebskatalog, der Markenzeichen und Orientierung für fast das gesamte Repertoire ostdeutscher Tonträger ist. Mittlerweile gibt es 50 CDs, allesamt mit deutschen Texten und stilistisch weit gefächert von Rock, Pop bis Liedermacher – unter anderem von Engerling, Wenzel, Lutz Kerschowski, Rockhaus und vor allem von den Label-Stars Gerhard Schöne und Gerhard Gundermann. Gundermann verkörpert das Label-Ziel: Statt nostalgisch alten Zeiten hinterherzu- jammern soll sich in neuen Songs das heutige recht widersprüchliche Lebensgefühl der 20- bis 50-jährigen widerspiegeln.

„Löwenzahn“ (Leipzig): Mai 1990 gegründet als regionales Label für Sachsen. Das Kapital der Label-Gesellschafter ist ihr künstlerisches Potenzial. Ulrich Doberernz, Folkmusiker, kümmert sich um den Labelalltag. Grafiker Jürgen Wolff, auch Musiker des „Duo Sonnenschirm“, gestaltet Cover. Peter Uhlmann, einst Folkclub Leipzig, betreut Verlagsangelegenheiten. Rockmusiker Heinz Kölling stellt das Tonstudio für Produktionen zur Verfügung. Keine CD erscheint ohne Zustimmung aller Gesellschafter. In der Arbeit mit Künstlern setzt man auf familiäre Teamarbeit, Experiment und langfristige Zusammenarbeit – von der Idee bis zum Endprodukt. Stilistisch breites Angebot mit Klassik, Folk, Jazz, Rock und Mundart.

„Barbarossa“ (Berlin): 1994 gegründet von Karl-Heinz-Ocasek, 25 Jahre bis zur Auflösung bei der Deutschen Schallplatten GmbH. Wertet vor allem das Archiv des DDR-Rundfunks aus. Zahlreiche Porträtplatten und auch Serien (u.a. „Beatkiste“, „Rockballaden“), die von historischem Wert sind. Ocasek will Ost-Produktionen für den gesamtdeutschen Markt aufbereiten – von Rock und Schlager bis hin zum politisch anspruchsvollem Lied und der Volksmusik. Jeder CD liegt ein ausführliches Booklet mit Hintergrundinformationen zu Musikern, Werk oder Entstehung bei.

„Grauzone“ (Berlin): Gegründet im Oktober 1994 von Gerd Sonntag, einst Manager von Rockhaus (Ost) und Bernward Büker, Sänger und Verlagsbesitzer (West). Backkatalog und Neuerscheinungen von Rock und Pop – darunter Pankow, Falkenberg, Petra Zieger. Motto: Wir leisten uns den Luxus, viel Geduld und Zeit zu haben.

Major-Deals

K&P hatten Glück. BMG Ariola honorierte das Label der beiden City-Musiker mit einem Kooperationsvertrag dafür, dass es sich kurz nach der Wende als erstes in Ostdeutschland gründete. Einem Deal mit einem Major gelang danach nur noch Turbo Beat. Das Berliner Label entwickelte sich innerhalb kurzer Zeit zum kommerziell erfolgreichsten Ostlabel und verkauft seine Produkte weltweit. Turbo Beat verbindet auf hochprofessionelle Weise Musikproduktion und Label. Es ist in der Lage, den Künstler von der Produktion bis zu Promotion und Management zu betreuen. Und es kann innerhalb weniger Stunden flexibel Entscheidungen zu unterschiedlichen Aspekten treffen. Hits gehen da weit weniger durch die Lappen als im großen Apparat eines Majors. Auch die familiäre Atmosphäre, nach der sich Künstler und Produzenten sehnen, entsteht leichter.

Von Verträgen mit den Großen der Musikindustrie träumen die meisten der Kleinen, denn diese halbieren ihr finanzielles Risiko. Die großen Musikkonzerne sind zu Verträgen mit kleinen Labels gezwungen. Längst haben sie ihre Vormachtstellung in der künstlerischen Arbeit und den Überblick über die Szene verloren. Vom riesigen Vertrieb und vom Marketing wiederum können die kleinen Labels profitieren. Im Interesse des gegenseitigen Nutzens machen also Knebelverträge für beide Seiten keinen Sinn. Um einen neuen Künstler heute in dem von Überangeboten strotzenden Markt durchzusetzen, braucht es neben einer aggressiven Werbung Partner bei den Medien.

Toni Krahl sieht das Problem in der Struktur der elektronischen Medien: „Da es vorrangig um Einschaltquoten geht, erstellen Privatradios Formate, die nur Top 40-Hits zulassen. Hoffentlich verläuft die Gleichschaltung der Medien noch rasanter, damit der Sättigungsgrad schneller erreicht ist. Umso eher wird der Knoten zugunsten des Spartenradios platzen.“

„K & P Music“ (Berlin): 1990 gegründet von den beiden Rockmusikern Toni Krahl und Fritz Puppel, um ihre Band City mit Label und Verlag optimal zu vermarkten. Dann Produktion von Rockbands wie Keimzeit, Inchtabokatables, Andre Herzberg, Fast Food Cannibals, de Buffdicks und Abschluss eines Kooperationsvertrags mit der BMG Ariola. Motto: Für uns ist wichtig, dass die Wurzeln unserer Künstler in Mitteleuropa – und nicht in Liverpool und Jamaika liegen.

„Turbo Beat“ (Berlin): 1995 von den Musikern Ingo Politz und Bernd Wendlandt (beide Produktion) sowie dem früheren BMG-Promoter Frank Maaß (Promotion, Marketing, Vertrieb, rechtliche Angelegenheiten) zunächst als Produzent gegründet. Studio und Plattenfirma unter einem Dach. Seit Juli 97 dreijähriger Optionsvertrag mit BMG Berlin. Größter kommerzieller Erfolg mit Bell Book & Candle – Gold und Platin für den Song „Rescue me“. Deren CD „Read My Sign“ wird in 18 Ländern vermarktet. Devise: Artist Developement ist uns wichtig, aber auch, dass die Chemie zwischen Label und Künstlern stimmt.

Independents

Von den rund 25 Labels, die in Ostdeutschland nach 1989 entstanden, kommen die meisten aus dem sogenannten Independent-Bereich. Einige Labelgründer wie Holger Roloff (Amöbenklang), Ralf E. Friel (Moloko) und Karsten Zinsik (Noiseworks Records) stammen aus dem Umfeld der sogenannten anderen Bands, die sich vor der Wende bewusst von der staatlich geförderten DDR-Szene abgrenzten. Als illegale Kassettenlabel vertrieben sie die offiziell kaum produzierte Musik der zweiten Rockmusikergeneration. Erst nach dem Zusammenbruch der zentralistischen Strukturen des Sozialismus konnten sie ein Label gründen.

Die Independent-Label sind Ein- bis Zwei-Mann-Unternehmen, die meist als Hobby bzw. Zweiteinkommen betrieben werden. Das Label-Domizil ist in der Regel Wohnung, Büro, CD-Lager und Versandort zugleich. Ihre Betreiber vereinigen die üblichen Funktionen einer Plattenfirma wie A & R Manager, Talentescout, Produzent, PR-Mann und Sekretär in Personalunion. Mitunter helfen Freunde oder die Familie.

Es sind fast ausschließlich idealistische Motive, die Labelmacher zur Suche nach neuen kreativen Bands drängen. Und die entdecken sie nicht nur in Ostdeutschland, sondern – wie Noiseworks Records – auch in den USA, Australien und Neuseeland. Andere Labels wie Metrix (Halle), Jay Records (Magdeburg), Backyard Records (Erfurt) oder SAP Records (Dresden) fühlen sich für die Entwicklung in der Region zuständig.

Karsten Zinsik nennt „freundschaftliche Kontakte die wichtigste Grundlage für eine Zusammenarbeit“ und „ob ich einen Draht zu dem habe, was die Band macht“. Ralf E. Friel legt Wert auf „Gleichberechtigung, gegenseitiges Respektieren und Unterstützen, vor allem Idealismus“.

Amöbenklang sieht sich als „Anlaufstelle für unbekannte Bands“. Und Moloko + möchte wie alle Indie-Label „Massenproduktion vermeiden“. Deshalb betrachtet das Label jede CD als Kunstwerk. Bildende Künstler werden für Cover verpflichtet, Digipacks und Sonderformate eingesetzt. Auch Live-Performances veranstaltet das Label, bei denen sich Musiker mit Künstlern anderer Genres paaren.

Unkonventionelle Wege durch die Aufweichung eingefahrener Vertriebswege beschreitet rastermusic (Chemnitz). Über den Daten-Highway sucht das Label Kontakt zur internationalen Künstlerszene und vertreibt auf demselben Wege die eigenen Produkte. „Auf dem lokalen Markt interessiert unsere Musik nur eine Minderheit. Durch den internationalen Vertrieb vergrößert sich unser potenzieller Abnehmerkreis“, sagt Frank Brettschneider über seine Musik, die sich mit Sounddesign, Technologie, Rhythmik, Klangästhetik und Minimalismus umschreiben lässt. Manchmal gründen auch Bands wie Fluchtweg aus Berlin aus erlebten Enttäuschungen heraus ein eigenes Label. Tollshock (Berlin) hat mittlerweile nicht nur einen Mailorder-Versand, sondern auch CDs mit anderen Bands veröffentlicht. Ein Label wie Fun Music Promotion & Distribution GmbH (Gönnsdorf), das Erfolg mit internationalen Hits von Jermaine Jackson und Stefan Waggershausen sucht, ist die Ausnahme.

Hochprofessionell produziert sind die Mehrzahl der CDs. Dennoch nehmen sie Tages-, Zeitschriften- und Fachpresse, die die Neugier auf Entwicklungen an der Basis – bis auf wenige engagierte Redakteure – längst verloren haben, kaum zur Kenntnis. Nur wer genügend Geld für Promotion und Marketing zur Verfügung hat, kann sich im Überangebot des Marktes durchsetzen. Beides aber fehlt den Indies. Ihre wichtigsten Partner sind neben regionalen Radiosendern die Fanzines, für die wie für sie das Kommerzielle nicht im Vordergrund steht.

„Amöbenklang“ (Rostock): 1990 aus dem vier Jahre zuvor gegründeten Kassettenlabel Trash Tape Records hervorgegangen. Betreiber sind Holger Roloff und Torsten Wolff (Hamburg). Als wichtigstes Label von Mecklenburg-Vorpommern bundesweit aktiv. Unterlabels nennen sich High Society und Sub Flora. 26 Ausgaben des Mailorderkataloges mit einer Auflage von 4.000 Stück und 1.400 Scheiben umfassendem Angebot erschienen. Kassetten-Sonderausgabe „Bandsalat“ gibt Übersicht über die rund 30 Neuveröffentlichungen – von Punk bis Songwriter, Avantgarde, Noise Pop, Wave u.a.. Top-Bands: Dritte Wahl, Vampyre State Building, Ex-Perten, Dog Food Five u.a. Vertrieb EFA. Ansicht: Die Trends bestimmen eh die Indies, die Majors reagieren nur.

„Moloko +“ (Pretzien): 1995 von Ralf E. Friel gegründet. Ist zwar in Sachsen-Anhalt zu Hause, betreut aber vorwiegend Bands aus dem Berliner Prenzlauer Berg wie Herbst in Peking, Britannia Theatre, Infamis, und vermarktet sie bundesweit. Vertrieb EFA. Ziel: Die Verbindung von Real Independent Music, bildender Kunst bis hin zu Literatur und Lyrik ist ein Traum, an dessen Verwirklichung ich arbeite.

„Noiseworks Record“ (Chemnitz): 1990 zunächst als Kassetten-Label von Karsten Zimalla und Karsten Zinsik gegründet, der es mittlerweile allein betreibt. Ab 1993 CD-Produktion. 95 Prozent der produzierten Bands kommt aus Ostdeutschland, der Rest aus USA, Australien und Neuseeland. Neben alternativem Rock und Rock’n’Roll Filmmusik und Ethno-Experimentelles im Programm. Bietet vom Mastering über CD-Premastering bis zur Disk-Produktion. Motiv: Ich kämpfe für höhere Präsenz und Akzeptanz hochwertiger Alternativkultur aus Deutschland Ost auf dem gesamtdeutschen Markt.

„rastermusic“ (Chemnitz): 1996 von den beiden Grafikern Olaf Bender und Frank Brettschneider gegründet. Dank hervorragender Technik Betreuung von LPs und CDs von Produktion über Mastering bis zum Cover-Layout. Produktions- und Experimentierzentrum ist ein eigenes Studio, wo Künstler zeit- und kostenunabhängig arbeiten. Das Label konzipiert seine Produkte als „clear series“ mit einheitlichem Layout und hohem Wiedererkennungswert. Weiterer Schwerpunkt: Visualisierung von Musik – bei CD-Releases mit zusätzlichen CD-ROM-Tracks, bei Live-Events durch softwaregesteuerte Computeranimation. Neue Kooperationen durch größer werdenden Kreis von Künstlern und wechselnden Besetzungen. Ansicht: Persönliche Kontakte sind wichtiger als Marketingkonzepte.

 
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