Im Frühjahr 2008, im Frühjahr 2012 und im Sommer 2017 wurde jeweils eine bundesweite Umfrage zu Einkommenssituation und Arbeitsbedingungen von Musikschullehrkräften von der Fachgruppe Musik in ver.di durchgeführt. Die Tabellen auf dieser Seite zeigen die zentralen Ergebnisse in einer Übersicht. Der Vorsitzende der ver.di-Fachgruppe Musik, Stefan Gretsch, beleuchtet im folgenden Artikel die Situation der Lehrkräfte an deutschen Musikschulen. Details zu den Umfrageergebnissen und den Interviews: musik.verdi.de
Ein Verdacht wird zur Gewissheit: Die negative Entwicklung der sozialen Situation der meisten Lehrkräfte an deutschen Musikschulen setzt sich fort. Die bundesweit fortschreitende Umwandlung fester Arbeitsverhältnisse in unsichere Beschäftigungsverhältnisse hat die so-ziale Lage der Lehrkräfte erneut dramatisch verschlechtert. Das ist das im Dezember veröffentlichte Ergebnis der dritten Umfrage der ver.di-Fachgruppe Musik.
Die Resultate sind erschreckend: 2008 lag der Anteil der Honorarbeschäftigungen in den alten Ländern noch bei 33 Prozent, in den neuen Ländern bereits bei 60 Prozent. In 2017 sind es inzwischen fast 60 Prozent in den alten und über 70 Prozent in den neuen Ländern (in Berlin sogar rund 93 Prozent). Gleichzeitig liegt das durchschnittliche Jahreseinkommen weiterhin nur bei rund 13.300 Euro Brutto. Davon kann keiner würdig leben. Davon kann sich niemand fürs Alter ausreichend versichern.
Die Folgeumfragen 2012 und 2017 belegen, dass die Politik den Negativ-trend, insbesondere den Stellenabbau ungebremst fortgesetzt, und zwar in allen Bundesländern mit Ausnahme Berlins, das seit dem letzten Jahr endlich eine Umsteuerung eingeleitet hat.
Als Begründung wird regelmäßig die Finanznot der Kommunen oder des Landes ins Feld geführt. Auf der Einnahmeseite – so wird argumentiert – lasse sich ohne problematische Gebührenerhöhungen nichts machen, und auf der Ausgabenseite kommen nur die Personalkosten in Betracht, wenn die Musikschule mit ihren Qualitätsstandards erhalten bleiben sollen. Probates Mittel sei da nun einmal der Stellenabbau und die Schaffung von preiswerteren „freien“ Mitarbeiterverhältnissen.
Da gibt’s kaum Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung, und Schwangere muss man später auch nicht zwingend weiterbeschäftigen. Der Verlust wesentlicher Sicherheiten wie Kündigungsschutz, Arbeitslosen- und Sozialversicherung oder Altersvorge wird billigend in Kauf genommen – trotz enormem allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwungs.
Gesetzlicher Anspruch
Wer als Honorarkraft in einem bestimmten Umfang für einen Auftraggeber (Kommune) tätig ist, hat in der Regel einen gesetzlichen Anspruch auf Anerkennung als „arbeitnehmerähnliche Person“ und davon unabhängig das Recht auf Versicherung in der Künstlersozialkasse. Dieser Status beschert den Betroffenen zwar eine Kranken- und Rentenversicherung sowie das Recht auf den gesetzlichen Mindesturlaub, macht das Beschäftigungsverhältnis im Ganzen aber weder sicherer noch auskömmlicher. Das belegen die tatsächlich durchschnittlich erreichten Jahres-Brutto-Einkommen der Honorarkräfte, die oft für sich schon allein durch zu hohe Mietkosten aufgezehrt werden.
Die kurzfristig erwirtschafteten „Einsparungen“ durch diese Art von „Personalpolitik“ werden durch die Kosten für den sich ständig erweiternden Bedarf an Sozialleistungen langfristig um ein Vielfaches übertroffen werden. In der sozialen Bilanz von Einnahmen durch die Schüler einerseits und den Ausgaben für Honorare und der später anfallenden Leistungen für Grundsicherung und andere Sozialleistungen im Alter andererseits, erweist sich so die scheinbare Einsparung bei Honorarkräften schnell als künftige gesamtgesellschaftliche Ausgabenfalle, als bildungs- und sozialpolitischer Irrwitz.
Wenn obendrein die Öffentliche Hand höchstselbst und entgegen ihrer Vorbildverpflichtung den Vorturner für die absichtliche Schaffung von Prekariat und Altersarmut in den eigenen Reihen gibt, dann ist kaum noch vorstellbar, wie der bereits gefährdete allgemeine soziale Frieden erhalten oder wiederhergestellt werden kann.
Baustein Musik
Zur Erinnerung: Musizieren ist nachgewiesen ein wichtiges persönlichkeitsformendes Moment, und im gemeinsamen Tun mit Anderen zudem ein bedeutender sozialer Akt.
Musizieren ist damit auch ein erfolgreicher Baustein zu Integration und Inklusion. Das war schon so, als diese Begriffe noch nicht in aller Munde waren, gewinnt aber bekanntermaßen sehr an Bedeutung.
Die kommunale Musikschule ist für eine außerschulische musikalische Bildung in der Regel die erste und wichtigste Anlaufstelle für Jung und Alt. Sie hält gleichermaßen Angebote in der Begabtenförderung wie im Rahmen ihres Auftrages zur musikalischen Breitenbildung bereit. Sie ist in ihrer Funktion in der Regel hoch angesehen und gut nachgefragt.
Für die Kommunalen Musikschulen gibt es deshalb und im Sinne der VdM-Richtlinien keine stichhaltigen Gründe, „freie“ Mitarbeiterverhältnisse als Standard zu begreifen. Dennoch wird es fast überall gemacht, obwohl allen Beteiligten – insbesondere den politischen Entscheidungsträgern – klar sein muss, dass sie mittels Schaffung unsicherer Beschäftigungsverhältnisse im großen Stil eine komplette Berufsgruppe, die zu Freude und Integration beitragen soll, in eine prekäre Lebenssituation drängt.
Wer kann unter diesen Prämissen einem jungen Menschen noch guten Gewissens raten, Musikschullehrer/in zu werden?
Und tatsächlich: Vielerorts sind die Musikschulen mit wachsenden Wartelisten und bereits einsetzendem Fachkräftemangel konfrontiert. Wie kann die Musikschule ihrem Bildungsauftrag so überhaupt noch gerecht werden? Wer kann bei solch einer Personalpolitik einem jungen Menschen noch guten Gewissens raten, Musikschullehrer/-in zu werden?
Niemand wird ernsthaft bestreiten wollen, dass auch Musikschullehrkräfte das Recht haben „auf einen Lebensstandard, der seine und seiner Familie Gesundheit und Wohl gewährleistet“ (Artikel 25 „Recht auf Wohlfahrt“ der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte). Ja, das klingt richtig gut – ist aber für zu viele Menschen auch im Musikschulbereich inzwischen sehr weit weg von ihrer Lebensrealität.
Perspektiven zur eigenen Lebens- und Familienplanung sind immer mehr Musikschullehrkräften verwehrt. Eine Journalistin des NDR brachte es zur Weihnachtszeit auf den Punkt: Die interviewte Lehrerin erfreut die Schüler durch das Einüben weihnachtlicher Musik, kann sich mit ihrem geringen Einkommen jedoch selbst wohl keinen Tannenbaum ins Wohnzimmer stellen. Da passt also einiges nicht zusammen, da muss zusammen gebracht werden, was zusammen gehört. Für viele Probleme der Welt gibt es wohl keine Patentrezepte, aber im vorliegenden Fall schon:
Die Festanstellung der Lehrkräfte in Vollzeit muss wieder der Regelfall sein, Schüler-Wartelisten sind unter allen Umständen zügig abzubauen. Die Musikschulen müssen endlich wieder bedarfsgerecht wachsen dürfen, und zwar ohne Zwang zur Ausbeutung der Lehrenden und ohne Zwang zur Ausgrenzung sozial schlechter gestellter Nutzer. Dann müssen die Lehrer/-innen nicht so viel darüber nachdenken, wovon sie die nächste Miete bezahlen, wie sie an einen Kredit kommen. Das schafft enorme gesundheitliche und emotionale und damit produktive Kapazitäten. Und: so teuer, wie oft behauptet, ist das Ganze gar nicht.
Wenn Politik verstanden hat
Ausgerechnet Berlin – das enfant terrible und zugleich der größte im Kreise der kommunalen Musikschulträger – zeigt, wie es gehen kann, wenn Politik es wirklich will: Das Land hat zunächst 2,5 Millionen Euro Zusatzmittel bewilligt für einen sofortigen Stellenaufwuchs von derzeit 7 Prozent auf mindestens 20 Prozent der Lehrkräfte an seinen zwölf bezirklichen Musikschulen. Das ist ein spürbarer erster Schritt in die richtige Richtung. Es geht also, wenn Politik verstanden hat.
Die öffentlichen Medien haben mit zahlreichen Interviews und Beiträgen zügig auf die ver.di-Umfrage reagiert.
Politik – auch die des Bundes – ist aufgefordert und verpflichtet, den himmelschreienden Missständen an deutschen Musikschulen ein Ende zu bereiten.