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Eine mit Warnwesten, Musikinstrumenten und dem Transparent "Rheinische Musikschule Köln" ausgestatte Gruppe im Freien.

Aktuelle Tarifrunde öffentlicher Dienst: Auch für Festangestellte gibt es noch viel zu verbessern – die Kolleg*innen der Rheinischen Musikschule im Streik. Dies und das 2. Foto v.li.: ver.di

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Zukunft der Musikschullandschaft

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Übergangsphase als Brücke zur flächendeckenden Festanstellung von Lehrkräften · Von Lisa Mangold
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Jahrzehnte war der Einsatz von Honorarkräften an Musikschulen umstrittene Praxis. Musikschullehrkräfte in ver.di setzen sich für Festanstellungen ein. Auch aus Perspektive der deutschen Rentenversicherung liegt in den meis­ten Fällen eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit an Musikschulen vor. An vielen Musikschulen gibt es darum keine oder nur noch wenig Honorarkräfte. Doch einzelne Musikschulen sowie finanzierende Kommunen und Länder widersetzen sich der Umwandlung in Festanstellung, ihre Begründung, sie können kurzfristig die finanziellen Mittel nicht herstellen.
 

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Der Bundestag verabschiedete jetzt eine Übergangsregelung bis 31.12.2026. In dieser Zeit ist der Einsatz von Honorarkräften an Musikschulen ohne Sozialversicherungszahlungen durch den Arbeitgeber möglich. Bedingung ist, dass Musikschule und Lehrkraft einwilligen, die Lehrtätigkeit auf Honorarbasis auszuführen. 

Adriana, Musikschullehrerin in Berlin kritisiert den Druck zur Einwilligung: „Dass wir mit dem neuen Gesetz aufgefordert werden, mit unserer Unterschrift die Lüge der Selbständigkeit zu bekräftigen – was wir auch tun müssen, wenn wir nicht in die Arbeitslosigkeit rutschen wollen – finde ich eine Zumutung.“

ver.di-Kolleg*innen führten in den vergangenen Monaten zahlreiche Gespräche mit Musikschulleitungen sowie Landes- und Kommunalpolitiker*innen, sie organisierten Kundgebungen und Infoveranstaltungen. Der Frust über die erneute Übergangsphase ist groß:

„Der Beschluss für einen Übergangszeitraum zur Festanstellung ist eine wahnsinnige Enttäuschung. Weitere Jahre werden ohne Lösung des Problems von Scheinselbständigkeit vergehen, prekäre Beschäftigungsverhältnisse bleiben bestehen. Die ‚Zweiklassengesellschaft‘ aus Festangestellten und Honorarkräften an den Musikschulen wird zementiert. So gern würde ich mit voller Kraft Musikschule gestalten, doch nun fühle ich mich weiter ausgebremst. Es wäre eine Riesenchance für die musikalische Bildung in unserer Stadt, Musikschullehrkräfte durch feste Arbeitsverhältnisse gerecht zu beschäftigen und gleichzeitig in ihrer wichtigen Arbeit zu motivieren“, kritisiert Dorothea, Musikschullehrerin in Berlin.

Ausbleibende Festanstellungen sind Ausdruck mangelnder Wertschätzung der Kolleg*innen 

Die Übergangszeit ist dafür gedacht, dass Kommunen und Länder die Finanzierung von öffentlichen Musikschulen absichern können. Unter den Lehrkräften besteht die Sorge, dass bereits begonnene Umwandlungsprozesse durch die Übergangsregelung gebremst und Versprechen gebrochen werden: 

„Nachdem ich seit 33 Jahren als Honorarkraft in prekärem Beschäftigungsverhältnis für die Musikschule Tempelhof-Schöneberg gearbeitet habe, dachte ich, dass ich noch vor dem Eintritt ins Rentenalter in wenigen Jahren endlich in den Genuss eines sozial abgesicherten Arbeitsverhältnisses mit Kranken- und Sozialversicherung, etwas aufgebesserten Rentenansprüchen, tariflichen Zusatzleistungen und Absicherung etwa im Krankheitsfall kommen würde. Nach den einschlägigen Versprechungen des Berliner Kultursenators, bis Ende 2024 für einen relevanten Prozentsatz an Umwandlung in Festanstellung zu sorgen, bin ich nun mehr als enttäuscht und sehe das als krassen Ausdruck mangelnder Wertschätzung meiner Lebensleistung und der von vielen Kolleg*innen, denen es genauso geht“, erklärt Ali, Musikschullehrer in Berlin. 

Auch Kolleg*innen am Peter-Cornelius-Konservatorium, der größten Musikschule in Rheinland-Pfalz, fühlen sich in ihrem seit fast einem Jahr andauernden Kampf für Umwandlungen ausgebremst. Während rund 40 Honorarkräfte weiterhin um ihre berufliche Zukunft bangen, wächst der Unmut. Zum November 2024 erhielten die Honorarkräfte neue Verträge, von denen fraglich ist, ob sie tatsächlich eine selbstständige Tätigkeit begründen. Eine von Honorarkräften initiierte Prüfung deutet darauf hin, dass sich an ihrer Arbeitsweise nichts geändert hat – ein klares Indiz für eine abhängige Beschäftigung. Besonders fragwürdig erschien das Vorgehen bei der Vertragsübergabe: in mehreren Fällen wurden Lehrkräfte während laufender Unterrichte oder direkt in ihren Koope­rationsschulen aufgesucht und gedrängt, die Änderungskündigungen anzunehmen. Einige Kolleg*innen sahen sich gezwungen, gerichtliche Schritte zu gehen. Doch damit nicht genug: Zahlreiche Honorarkräfte berichten von Benachteiligungen und belastetem Arbeitsklima. In solchen Fällen erweist die Übergangsregelung den Kolleg*innen einen Bärendienst. Die Frage, inwieweit ein Einverständnis bei prekär Beschäftigten auf Augenhöhe erfolgen kann, steht dahin. 

Dies während andere Musikschullehrkräfte aus Rheinland-Pfalz von Positivbeispielen berichten konnten. So erzählt ein Kollege einer anderen rheinland-pfälzischen Musikschule, der anonym bleiben will: „Für mich hat sich die Situation seit dem Herrenberg Urteil verbessert, da meine Honorarstelle in eine Festanstellung umgewandelt wurde. Daneben hatte ich schon immer eine halbe Stelle als Festanstellung und bin jetzt sozusagen doppelt fest angestellt.“ 

Und aus RLP teilt auch Kollegin Almut ihre große Freude für die vorher positiven Auswirkungen des Herrenberg-Urteils: „Hier was Positives: Ich habe seit Januar eine Festanstellung in der Kreismusikschule Westerwald bekommen, die erste meines Lebens! Die Musikschule hatte plötzlich Bedarf an Trompetenunterricht durch die Nachfrage eines Musikvereins. Super für mich gelaufen! Früher war ich an anderen Musikschulen nur Honorarkraft, an einer habe ich für bessere Bezahlung gekämpft und sie nicht bekommen, dann gekündigt. Und dann hat die Musikschule die Honorare der verbliebenen Lehrer erhöht, auch eine schöne Geschichte.“ 

Als Gewerkschaft der Musikschullehrkräfte rufen wir die Kolleg*innen dazu auf, sich zu organisieren, mit Musikschulleitungen und Entscheidungstragenden ins Gespräch zu gehen und sich an einer faktenbezogenen und ehrlichen Debatte zu beteiligen. Dazu gehört auch, Festanstellung zu entmystifizieren. Viele Kolleg*innen haben und brauchen mehrere berufliche Standbeine. Gerade wenn nicht in Vollzeit angestellt wird, muss sichergestellt werden, dass freiberufliches Arbeiten planbar möglich ist. Die Festanstellung muss verbindlich und verlässlich sein – also ohne Befristung, Probezeit und so genannte „Flexi-Klauseln“.

Sylvia, die als Musikerin, Medienkünstlerin und Musikschullehrerin in Berlin arbeitet, formuliert es so: „Nach nunmehr 32 Jahren der prekären Selbstausbeutung ohne jegliche Wahlmöglichkeit, erwarte und fordere ich eine deutliche Verbesserung meiner Situation: eine Stelle, individuell auf meine Erfahrung und die Vereinbarkeit mit meiner internationalen Konzerttätigkeit zugeschnitten – die Flexibilität, die von mir in den vergangenen Jahren auch erwartet wurde. Nur so kann Instrumentalunterricht auf höchstem Niveau weiter unterrichtet werden!“ 

Musikschullandschaft retten: Faire Arbeitsbedingungen für Musikschullehrkräfte! Bezahlbarer Unterricht für Schüler*innen!

Um die musikalische Bildung zu sichern, benötigen wir flächendeckende, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung von Musikschullehrkräften. Sonst verschärft sich der Fachkräfte- und Nachwuchsmangel an Musikschulen. Eine Berliner Kollegin, die seit 15 Jahren als Honorarkraft an Musikschulen arbeitet und anonym bleiben möchte, sagte im Gespräch mit ver.di:

Der Beschluss des Übergangszeitraums ist für mich untragbar, ich kann und will das so nicht mehr mitmachen und werde mich ziemlich sicher beruflich umorientieren. Ich war und bin leidenschaftlich gerne Instrumentalpädagogin, aber nicht zu jedem Preis. Das Gefühl, dass unsere Arbeit wertgeschätzt wird, fehlt vollkommen.
Ich fordere eine Festanstellung sofort und zwar mit einer Einstufung, die unserer Erfahrung entspricht und uns nicht als Berufsanfänger degradiert. Nur so können ich und meine Kolleg*innen diesen Beruf ohne Existenzängste weiter ausüben.

Bis einschließlich 31.12.2026 können Honorarkräfte an Musikschulen arbeiten. Bedingung ist, dass Musikschule und Lehrkraft einer selbstständigen Tätigkeit zustimmen. Wie genau diese Zustimmung abzugeben ist, wird in der Gesetzesänderung nicht näher erläutert. Anzunehmen ist, dass das Unterzeichnen eines Honorarvertrags diese zum Ausdruck bringt. Oder nach einer Prüfung durch die Deutsche Rentenversicherung erneut durch die Lehrkraft bestätigt wird.

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Was bringt die Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch „§ 127 Übergangsregelung für Lehrtätigkeiten“?
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Übergangsregelung

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Bis einschließlich 31.12.2026 können Honorarkräfte an Musikschulen arbeiten. Bedingung ist, dass Musikschule und Lehrkraft einer selbstständigen Tätigkeit zustimmen. Wie genau diese Zustimmung abzugeben ist, wird in der Gesetzesänderung nicht näher erläutert. Anzunehmen ist, dass das Unterzeichnen eines Honorarvertrags diese zum Ausdruck bringt. Beziehungsweise nach einer Prüfung durch die Deutsche Rentenversicherung erneut durch die Lehrkraft bestätigt wird.

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Statusfeststellung der Deutschen Rentenversicherung | Versicherungspflicht ab 1.1.27 

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Lehrkräfte und Musikschulträger können bei der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung klären lassen, ob ein aktuelles oder zurückliegendes Auftragsverhältnis im Einzelfall selbstständig oder als sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis zu werten ist. Darüber hinaus kann die Rentenversicherung Betriebsprüfungen durchführen. 
Stellt die Rentenversicherung eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit fest, liegt erst ab dem 1.1.2027 eine Versicherungspflicht seitens der Musikschule vor.
 

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Wenn die Lehrkraft nicht selbstständig arbeiten möchte

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Die Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch besagt, wenn eine Lehrkraft nicht (mehr) damit einverstanden ist, selbstständig als Honorarkraft zu arbeiten, ist der Aufschub der Versicherungspflicht bis 2027 nicht möglich. Allerdings hat die Lehrkraft, die einen Honorarvertrag ablehnt, nicht das Recht auf eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Im schlechtesten Fall steht die Lehrkraft ohne Job da. 

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