Am 14. September 2003 war die 5. Ministerrunde der Verhandlungen über das Allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen in Cancún (Mexiko) endgültig gescheitert. Angeführt von so genannten Schwellenländern wie Indien oder Brasilien haben die so genannten Entwicklungsländer mitgeteilt, dass sie die vorgeschlagenen Kompromisslinien ablehnen und damit die Verhandlungen scheitern lassen. Den ersten Teil über die Liberlalisierungsbestrebungen der Welthandelsorganistaion WTO finden Sie in der neuen musikzeitung November 2003. Es folgt hier Teil II.
In seiner aktuellen Stellungnahme „Resolution des Deutschen Kulturrates zu den GATS-2000 Verhandlungen der WTO über bestimmte audiovisuelle Dienstleistungen und über Kulturdienstleistungen” , die im Rahmen des Konsultationsprozesses der Europäischen Kommission vor den Verhandlungen in Cancún vom Deutschen Kulturrat der Europäischen Kommission zugeleitet wurde, fordert der Deutsche Kulturrat:
- Die Einbindung der Zivilgesellschaft in den Konsultationsprozess,
- die Anwendung der Kulturverträglichkeitsprüfung,
- die Sicherung der kulturellen Vielfalt,
- keine weiteren Zugeständnisse bei den Bildungsdienstleistungen,
- keine Erstellung von abschließenden Listen, in denen Kultureinrichtungenaufgeführt werden, die von der Liberalisierung ausgenommen werden,
- den Erhalt des hohen Niveaus an Urheber- und Leistungsschutzrechtenzur ökonomischen Sicherung der Künstler und der Kulturwirtschaft.
Der Deutsche Kulturrat hält es für unerlässlich, dass künftig die Zivilgesellschaft frühzeitig über Entscheidungsprozesse im Rahmen der WTO-Verhandlungen informiert wird und so die Gelegenheit erhält, sich durch Stellungnahmen zu dem Verhandlungsprozess zu äußern und ihn gegebenenfalls zu beeinflussen. Die Liberalisierung des Welthandels mit Dienstleistungen sowie urheberrechtlich geschützten Werken hat eine zentrale Bedeutung für das heutige und künftige gesellschaftliche Leben. Es sollte daher selbstverständlich sein, dass die organisierte Zivilgesellschaft durch Stellungnahmen und Anhörungen an den Entscheidungsprozessen beteiligt wird. Die so genannte Kulturverträglichkeitsprüfung soll gewährleisten, dass durch Entscheidungen in kulturfernen Politikfeldern die Kultur Schaden nehmen kann. Die Kulturverträglichkeitsprüfung ist in Artikel 151 Absatz 1 des Amsterdamer Vertrags fixiert worden. Der Deutsche Kulturrat fordert, dass die Europäische Kommission als Verhandlungsführerin für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union die Kulturverträglichkeitsprüfung auch bei internationalen Vereinbarungen wie den Verhandlungen im Rahmen der Welthandelsorganisation konsequent anwendet.
Weiter ist der Deutsche Kulturrat der Auffassung, dass der Frage der kulturellen Vielfalt verstärkte Aufmerksamkeit in internationalen Verhandlungen geschenkt werden muss. Die Universale Erklärung zur kulturellen Vielfalt der UNESCO-Generalkonferenz vom 2. Oktober 2001 wird vom Deutschen Kulturrat geteilt.
Das heißt der kulturellen Vielfalt ist ebensolche Aufmerksamkeit zu schenken wie der Biodiversität. Nachhaltige Kulturpolitik muss daher darauf ausgerichtet sein, die kulturelle Vielfalt zu sichern und damit auch die Entwicklung einer nationalen Kulturwirtschaft zu ermöglichen.
Mit Blick auf die Bildungsdienstleistungen geht der Deutsche Kulturratmit der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung konform, die fordert, dass sektorale Verpflichtungen auf privat finanzierte Bildungsdienstleistungen beschränkt bleiben sollen.
Die Befürworter der Liberalisierung schlagen teilweise vor, für den Kulturbereich abschließende Listen zu erstellen, in denen aufgeführt wird, welche Kulturdienstleistungen zum hoheitlichen Bereich gezählt werden, damit sie von der Liberalisierung ausgenommen werden. Solche abschließenden Listen hätten zur Folge, dass all jene Einrichtungen, die nicht auf der Liste stehen, zur Liberalisierung freigegeben wären. Dies hätte für neue Einrichtungstypen verheerende Folgen, da sie bei einer möglichen Liberalisierung des Kultursektors nur schwerlich mit dem Argument, dass sie zum hoheitlichen Bereich gehören, geschützt werden können. Darüber hinaus würden solche Listen in Deutschland in die Autonomie der Länder sowie der Städte und Gemeinden eingreifen, die den größten Teil der Kulturfinanzierung übernehmen. Das Urheber- und Leistungsschutzrecht verdient als Marktordnungsrecht der Informationsgesellschaft besondere Aufmerksamkeit.
Der Deutsche Kulturrat vertritt die Auffassung, dass die Einhaltung bestehender Abkommen oder deren Fortentwicklung zum Schutz des geistigen Eigentums für ein lebendiges kulturelles Leben unabdingbar sind. Es muss sichergestellt werden, dass im Rahmen internationaler Konventionen wie etwa den aktuellen GATS-Verhandlungen außerhalb des Urheber- und Leistungsschutzrechts „durch die Hintertür“ nicht ein generelles Inländerbehandlungsprinzip eingeführt wird, ohne gleichzeitig für materiell gleich hohes Schutzniveau in allen beteiligten Staaten zu sorgen.
Wie geht es weiter?
Nach dem Scheitern der Verhandlungen in Cancún stellen viele die Frage, wie es nun weitergeht. Waren die zahlreichen Proteste aus dem Kulturbereich nur viel Lärm um nichts oder findet das Spiel nun hinter den Kulissen statt?
Fest steht, dass das Scheitern in Cancún lediglich eine Atempause bedeutet. Die GATS-Verhandlungen, so ist es das Grundprinzip der Welthandelsorganisation, werden fortgesetzt.
Solange weltweit die Liberalisierung und der Abbau von Handelshemmnissen als Maxime weltwirtschaftlichen Handelns und der Gestaltung der Rahmenbedingungen unangetastet bleibt, wird dieser Prozess weitergehen.
Das heißt für den Kulturbereich, dass den jetzt stattfindenden Vorbereitungen der nächsten Ministerkonferenz höchste Aufmerksamkeit geschenkt werden muss. Dazu gehört auch, dass die deutschen Politiker noch stärker sensibilisiert werden.
Der Deutsche Bundestag hat vor den Cancún-Verhandlungen einen Parlamentsvorbehalt beschlossen. Das heißt, die getroffenen Vereinbarungen müssen im Deutschen Bundestag debattiert und gebilligt werden. Solche Instrumente gilt es zu stärken. Weiter gilt es sich dafür einzusetzen, dass die Zivilgesellschaft in den Verhandlungsprozessen stärker Gehör findet.
Der Deutsche Kulturrat informiert unter http://www.kulturrat.de/aktion/aktion-gats.htm fortlaufend über Stellungnahmen, Aktionen und Positionen zu den GATS-Verhandlungen.