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Rudolf Barschai ist tot. Foto: Internationale Schostakowitsch Tage Gohrisch
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Abschied von einer Legende des Musiklebens: Rudolf Barschai ist tot

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Rudolf Barschai hat sein letztes Opus vollendet. Eine Bearbeitung von Johann Sebastian Bachs „Kunst der Fuge“ als Krönung eines äußerst umfangreichen Œuvres – und nun auch als Abschluss eines schaffensreichen Lebens. Am Dienstag (2.11.2010) ist Rudolf Barschai 86-jährig in Basel gestorben.

Vor genau zehn Jahren sorgte eine Sinfonie von Gustav Mahler für gewaltiges Aufsehen: Die Zehnte war endlich – mal wieder – komplett. Mal wieder? Der 1911 gestorbene Komponist selbst hat das 1910 begonnene Werk nicht mehr fertigstellen können, es gab eine ganze Reihe von derartigen Versuchen fremder Hand. Genau 100 Jahre nach den ersten Tönen ist die jüngste Vollendung von Yoel Gamzou uraufgeführt worden. Aber im Jahr 2000 war es Rudolf Barschai, der mit seiner Version von Mahlers Zehnter für Furore gesorgt hat.

Überhaupt hat der 1924 in der südrussischen Region Krasnodar geborene Barschai eine Fülle an Bearbeitungen und Neufassungen von Musik anderer Komponisten geschaffen – und nun hinterlassen. Vorrangig beschäftigten ihn Werke seiner Zeitgenossen, allen voran Dmitri Schostakowitsch und Sergej Prokofjew. Aber war ihm dieses schöpferische Tun in die Wiege gelegt?

Rudolf Barschai studierte am Moskauer Konservatorium bei Dmitri Schostakowitsch, dem er bis zu dessen Tod 1975 als enger Freund und Vertrauter verbunden blieb. Er musizierte beizeiten mit Koryphäen wie Emil Gilels, Leonid Kogan, mit Yehudi Menuhin, David Oistrach, Swjatoslaw Richter und Mstislaw Rostropowitsch. Eigens aus seiner Leidenschaft für die Kammermusik heraus wechselte er nach dem bei Lew Zeitlin absolvierten Violinstudium zur Viola und muss damit wohl rasch zu einem überaus gern genommenen Partner avanciert sein.
So war es nur eine Frage der Zeit, bis Barschai auch selbst Ensembles ins Leben rief. Er brillierte als Gründungsmitglied sowohl des renommierten Borodin-Quartetts als auch des Tschaikowski-Quartetts. Bereits als junger Bratschist arbeitete er am ersten Pult beim Orchester des Moskauer Bolschoi-Theaters. 1955 gründete er das international renommierte Moskauer Kammerorchester, das er mehr als zwei Jahrzehnte leitete und dem er nicht wenige Werke quasi auf die Besetzung schrieb.

Posthume Ehrung

Bald nach dem Tod Schostakowitschs, dessen heftig umstrittene 14. Sinfonie Barschai 1969 gegen einen starken ideologischen Widerstand uraufgeführt hatte, emigrierte er über Israel in den Westen, wo er als Dirigent namhafter Orchester in aller Welt gefeiert wurde. Dem kompositorischen Vermächtnis seines Freundes ist Barschai nachhaltig verbunden geblieben, sei es als Interpret, sei es als Bearbeiter. Immer wieder beschäftigte er sich neben dem eigenen Schaffen mit dem Werk Schostakowitschs und transkribierte zahlreiche seiner Kammermusiken in neuer Fassung.

Am bekanntesten ist gewiss die auf dem 8. Streichquartett c-Moll op. 110 basierende Kammersymphonie, die von Schostakowitsch umgehend autorisiert und als Opus 110a eingetragen worden ist. Mit diesem vom biografischen D-Es-C-H-Motiv geprägten Werk wollte Barschai im vergangenen September sein spätes Debüt bei der Sächsischen Staatskapelle Dresden geben und bei den 1. Internationalen Schostakowitsch-Tagen Gohrisch gastieren. In jenem Ort in der Sächsischen Schweiz ist 1960 bekanntlich das Streichquartett entstanden. Eine Erkrankung hinderte Rudolf Barschai an dieser Reise – als erster Preisträger des neu gestifteten Internationalen Schostakowitsch-Preises Gohrisch ist ihm diese Ehrung in Abwesenheit zuerkannt worden. Eine persönliche Übergabe war für die kommenden Wochen geplant. Doch der große alte Herr ist nicht mehr genesen, der Preis wird ihm nun posthum gewidmet sein.

Ganz im Sinne des verstorbenen Genies, der schon zu Lebzeiten als Legende gehandelt wurde, dürfte gewiss eine baldige Uraufführung seiner Bach-Bearbeitung der „Kunst der Fuge“ sein. Gut denkbar, dass dies durch die Sächsische Staatskapelle erfolgt.

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