Wieder einmal ist beim Festival Schloss Britz eine Opernrarität aus der Mozart-Zeit zu erleben, die 1774 in Rom uraufgeführte Oper „L’Italiana in Londra“ von Domenico Cimarosa: ein unkompliziertes Fünfpersonenstück als sommerliches Opernspektakel.
Im 16. Jahre ihres Bestehens brachte die Sommeroper des Festival Schloss Britz unter ihrem rührigen musikalischen Leiter Stefan R. Kelber das einstmals viel gespielte, heute völlig vergessene Intermezzo des neapolitanischen Komponisten Domenico Cimarosa, „Die Italienerin in London“, in neuer deutscher Übersetzung zur Erstaufführung. Titel und Handlung der Cimarosa-Oper standen Pate für Rossinis „Italienierin in Algier“ und möglicherweise auch für die jüngst von der Kammeroper Neuburg an der Donau zur Wiederaufführung gebrachte Oper „Der Bäbu“ von Heinrich Marschner.
Das Libretto von Giuseppe Petrosellini erzählt von einer genuesischen Edeldame Livia (Katharina Ajyba), die ihrem Geliebten, dem Lord Arespingh (in Berlin „Lord Aspirin“ genannt) nach London nachgereist ist, nachdem dieser auf Druck seines Vaters in die Heimat zurückgekehrt ist um dort standesgemäß verheiratet zu werden. Die Beiden finden wieder zu einander, nachdem auch zwei andere Herren, Don Polidoro (in Berlin: „Don Pomodoros“) und der holländische Geschäftsmann Sumers, erfolglos um ihre Gunst geworben haben.
Die Produktion im ehemaligen Kuhstall, dem heutigen „Kulturstall“ des Britzer Schlosses, siedelt die zwei Akte der dürftigen Handlung auf einem Bahnhof in London an (Ausstattung: Alexander Martynow). „Gleis 9 ¾“ verweist auf Harry Potter, der frühzeitig – mit charakteristischer Brille und Zauberstab, aber zum Erwachsenen gereift – selbst als Randfigur auftritt. Zu den „running gags“ gehören die Geräusche vorbeifahrender Züge ebenso, wie die Glockenschläge des Big Ben, und ein immer wieder aufs Neue verwendeter Teebeutel.
Als wollte der Regisseur Oliver Trautwein unter Beweis stellen, dass man „German Trash“ – die amerikanische Bezeichnung für das Regietheater in Deutschland – auch wörtlich nehmen kann, wird hier keine Unappetitlichkeit ausgespart, vom Sammeln alter Plastikflaschen aus Abfalleimern inklusive Fehlgriffen nach Ratten, Arien mit Müllbehälter als Liebes-Ersatzobjekt, Wasser aus dem Abfluss, ein ausgelutschter Teebeutel oder – als Pausengag – das Kotzen in eine Aldi-Tüte.
(In der Pause wurde im Publikum gerätselt, ob die ostentativ zur Schau gestellte Plastiktüte des sonst akkurat britisch gekleideten Lords auf den Hauptsponsor verweise; aber ein Blick auf die Figurine im Programmheft zeigt, dass die gewählte Tüte nur Ersatz für die ursprünglich geplante Tüte der Konkurrenzkette Lidl war.)
Auf der Normaluhr des Bahnhofs ist es permanent 5:30, und ebenso permanent sitzt eine auf die Darstellerin kackende Taube daneben. Doch das prall inszenierte Geschehen kommt nicht nur bei jüngeren Besuchern gut an: die zur dauergeilen Kioskverkäuferin umgedeutete, Popo wackelnde und ihre Kunden bis auf die Unterhose ausziehende Gasthausbesitzerin Madama Brillante (trefflich quirlig im Spiel: Andrea Chudak), die beinahe deren Verführungskünsten erliegenden Herren Sumers (Julian Rohde) und der als kolumbianischer Einwanderer umgedeutete, scheinbar mittels eines Heliotrops unsichtbare Don Pomodoros, sowie der permanent in Ohnmacht fallende Lord (Andreas Elias Post). Neben den fünf – zumeist aus den vorangegangenen Produktionen bereits bekannten – Gesangssolist_innen, unter denen stimmlich der Bassbariton Tobias O. Hagge hervorragt, verkörpert Björn Wunsch als (fast) stummer Darsteller „mehrere, zum Teil unmögliche Bahnhofsgestalten“: von Harry Potter über einen Putz- und einen Schutzmann, bis hin zu Hamlet mit seinem Totenkopf, einem geflügelten Amor und der Queen.
Zu den Positiva der Produktion gehört das sauber aufspielende, 22-köpfige Orchester aus Instrumentaldozent_innen der Musikschule Paul Hindemith Neukölln. Während die klang- und lichttechnisch glaubhaft als vorbeifahrende Ungeheuer realisierten Züge alle das gleiche Tempo haben, fallen Tempowechsel beim Orchester vergleichsweise weniger zielstrebig aus.
Die Schläge des Dirigenten Stefan R. Kelber, kostümiert mit Ponchoteppich und auch trefflich panflötend, sind für die fünf Solist_innen nur aus einem Monitor abzunehmen, was manches nicht intendierte Rattern und Schwanken entschuldigt.
In altbewährter Tradition der Praxis der zurückliegenden Ära an der Komischen Oper Berlin folgend, wurde auch in diesem Sommer eine köstlich ins Neudeutsch übertragene Textfassung erarbeitet, für welche wieder Bettina Bartz und Jürgen Hinz verantwortlich zeichnen: „Ich rede mit ihnen Klartext: dies geht auf keine Kuhhaut, wenn meine Faust erst zuhaut!“
Angesichts ihrer Kontinuität trägt die Sommeroper Festival Schloss Britz deutlich zur Bereicherung des Berliner Spielplans bei. Die traditionellen, sich aber in der Form unkonventionell gebenden Produktionen werden von einem dankbaren Kiez-Publikum aufgenommen. Dieses folgte auch in der dritten Aufführung dem Ruf des rührigen Bezirksbürgermeisters Martin Hikel und interagierte im gut gefüllten Kulturstall, ganz im Sinne des im Schlussgesang besungenen Fazits: „O Bella Italiana, wir feiern dich in Britz!“
- Weitere Aufführungen: 18. und 19. 8. 2018.