Das ewig Bildungsbürgerliche zieht uns hinan! Wer vorab die Conferencière mit ihrem Schnäppchenverkauf kulturellen Wissens im Foyer verpasst hatte, bekam im Innern der generalsanierten Münchner Reaktorhalle mit Mahlers Achter die nötige Dröhnung. Ganz so ernst schien man es mit der „Aventure Faust“ also doch nicht gemeint zu haben. Gott sei dank.
Gott sei dank? Am Ende des etwa 70minütigen Abends hätte man dann doch gerne etwas mehr mit nach Hause genommen als die permanent zaunpfahlartig herumgewunkenen Anführungszeichen, mit denen Librettistin Birgit Müller-Wieland und Regisseur Cornel Franz sich dem Faust oder gar dem Faustischen an sich zu nähern versuchten. Ein wenig Ironie beim Umgang mit des Geheimrats großem Erbe? Gerne, jederzeit, aber spätestens wenn der Lidkrampf droht, darf auch mal wieder Schluss sein mit dem Augenzwinkern.
In eine „Kaufhalle der Beliebigkeit“ hatte der Leiter des Regiestudiengangs der Münchener Hochschule für Musik und Theater den bemerkenswerten Betonkasten verwandelt, ohne allerdings die enorme Höhe des Raums auszunutzen. Da schoben Graukittel nun also die Sonderangebotskörbe hin und her, drei von ihnen verhandelten ihre Dreiecks-Nichtbeziehung in faustdicken Dialogresten, drei andere trieben als Insekten (!) allerlei Schabernack.
Gut, dass da in einem der Grabbelkästen die Noten eines gewissen György L. zum Verramschen freigegeben waren und sich drei weitere Sänger dieser annahmen:
Ligetis epochale Miniaturdramen „Aventures“ und „Nouvelles Aventures“ kommen ganz ohne semantische oder gar zitathubernde Bestandteile aus, weil stattdessen in einer minutiös auskomponierten Textur aller erdenklichen menschlichen Lautäußerungen ein subtiles Feuerwerk an sinnhaftem Nonsense oder auch sinnfreier Bedeutungsschwere abgefeuert wird. Von dem siebenköpfigen Instrumentalensemble unter Jan Müller-Wielands ebenso präziser wie sinnlich zupackender Leitung gelang Andrea Brown, Salome Kammer und Peter Neff eine in ihrer tragischen Komik hinreißende Interpretation dieses Klassikers der Moderne.
In den Begegnungen mit dem Personal aus den umrahmenden „Traumszenen“ Müller-Wielands ergaben sich weitere schöne Momente von Pseudodramatik, die in einer entsprechend bestaunten Videozuspielung aus dem Gründgens-Faust kulminierte.
Jan Müller-Wieland hatte gut daran getan, seine Szenen mit einer Erweiterung der instrumentalen Palette und klanglich wie rhythmisch süffigerem Ton deutlich von Ligetis eigentümlicher Mixtur abzusetzen. Die Sanglichkeit seiner Textvertonungen, vom jungen Hochschulensemble bravourös umgesetzt, brachte eine weitere Abgrenzung. Besser als diese handwerklich gediegene, die permanente Traditionsparodie des Textes wenigstens ein Stück weit in nachdenklicheres Fahrwasser lenkende Musik geriet freilich jene zugespielte Klangfläche, über der sich ein Teil des Instrumentalensembles offenbar mit gewissen Freiheiten virtuos und klangsinnlich bewegte – ein plötzlich neue Dimensionen aufschließendes Intermezzo, das Müller-Wieland zwischen die beiden Teile von Ligetis „Nouvelles Aventures“ geschoben hatte.
Dennoch war es die Subtilität des Letzteren, welche die Unternehmung weitgehend trug, die Einbettung in einen abendfüllenden szenischen Zusammenhang konnte dem kaum etwas hinzufügen, freilich auch nichts anhaben. Andere Abenteurer mögen darin eine Ermunterung sehen.