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„Neues Kollektiv München“. Foto: Hoang Phuong
„Neues Kollektiv München“. Foto: Hoang Phuong
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Barcode-Scanner und Extended-Technique-Goldgrube: Konzert des „Neuen Kollektivs München“

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Das Konzert des „Neues Kollektiv München“ am 6. Juli hat eine interessante Auswahl zeitgenössischer Musik im Münchner Gasteig angeboten – von elektronischer Improvisation bis zur virtuosen Solo-Musik. Es war durch herausragendes spielerisches Können geprägt, dennoch gab es êin paar Schwierigkeiten, die eher kompositorischen Ursprungs sind.

Komponisten der sogenannten „Neuen Musik“ beschweren sich öfters, dass das Publikum dafür sehr klein ist, was bei diesem Konzert auch nicht anders war. Aber wenn unter jedem Stück (mit einer Ausnahme) im Programm eine lange Beschreibung des Konzepts des Stückes steht, stellt man sich doch folgende Fragen: 1. Wieso ist diese Musik immer hochintellektuell konzipiert, als ob es nicht legitim ist, etwas zu schreiben, das vielleicht einfach rein emotionell/irrational entstanden ist? 2. Ist das Publikum so dumm, dass es eine Lektüre darüber braucht? 3. Spricht diese Musik nicht genug für sich selbst, dass man sie erklärt bekommen muss? Und wie bei fast jedem anderen solchen Konzert hatte ich nämlich genau dieses Problem – ohne die Beschreibung wäre ich nie darauf gekommen, was hinter dieser Musik steckt – der Komponist kann natürlich sein Superargument von „Sie haben es nicht verstanden“ nutzen, was wohl stimmen kann, aber liegt der Grund dafür unbedingt bei mir?

Andererseits war die Reihenfolge der Stücke sehr gut gegliedert – am Anfang und zwischen jedem Stück kam eines der fünf elektronisch-improvisatorischen „Frames“ von Christoph Reiserer und Tobi Weber, denen es gelungen ist, den ganzen Abend zu umrahmen. Die Mischung zwischen durch einen Barcode-Scanner elektronisch-manipulierten Schallplatten-Aufnahmen und improvisierten Klangflächen auf der E-Gitarre haben eine zum Teil unterdrückende, zum Teil humoristische Atmosphäre in den Raum gebracht, dennoch war der Barcode-Scanner, außer wegen dem Anti-Konsumerismus-Konzept dahinter, irgendwie unnötig – man hätte die Elektronik einfach manuell einstellen können, was vielleicht sogar zu noch besseren Ergebnissen geführt hätte.

Das erste Stück von Michael Hirsch war der schwächste Teil des Abends, ein absolutes Klischee der sogenannten „Neue Musik“ – plumpsende Töne in der Luft, ohne musikalischen Zusammenhang, bis zum Rand voll mit dem Avantgarde-Markenzeichen von Pause mit Fermate. Ab und zu tauchten motivische Anfänge auf, die dann aber leider nirgendwohin geführt wurden, was den Hörer enttäuscht ließ.

Im Gegensatz dazu kam aber die interessante Klanglichkeit des Stücks „Differenzen“ von Christoph Reiserer, was trotz seines auch hochgestochenen Konzepts musikalisch zum Teil gut funktioniert hat – ein schönes dreiteiliges Duett zwischen Flöte und Vibraphon, die ihre musikalische Rollen im zweiten Satz getauscht haben, gefolgt von der rein elektronischen Verarbeitung des schon Gespielten im dritten Satz. Das einzige Problem daran war die Dauer – als ein Stück, das eigentlich eine Art impressionistische Klangfläche aufgebaut hat, also eher atmosphärisch als linear wahrgenommen wird, war es einen kleinen Ticken zu lang geraten, was dem sonst schön aufgebauten Spannungsbogen nicht zugute kam.

Das Stück „3&4 – Summenstück IIIB“ von Alexander Strauch war eine Extended-Technique-Goldgrube, wo kaum einen Ton in „klassischer“ Technik gespielt wurde. Das dahinterliegende Konzept, was auf den Tönen 3&4 der Naturobertonreihe basiert war kaum durch die Musik allein zu verstehen, man fragte sich auch, wozu dies nötig war, außer der Komponist fände dieses Phänomen interessant. Das Stück hatte aber seine guten Momente, zum Beispiel in schönen Kontrasten zwischen perkussivem und melodischem Spiel im ersten Teil – ein gelungenes Bespiel von Extended-Technique-Verwendung. Dazu aber kamen Elemente, die sehr gewollt klangen, wie zum Beispiel der Fußstapfen im zweiten Teil und Reißen von Papier im Dritten – man hat wirklich den Zusammenhang nicht verstanden. Der dritte Teil war auch am problematischsten – im Programmheft stand, dass es angeblich mit melodischem Ansatz komponiert wurde – wenn das tatsächlich der Fall ist, hat offensichtlich die Bedeutung des Wortes „Melodie“ sich ohne meines Wissens verändert.

Vom spielerischen Können her war die Aufführung von Brian Ferneyhough‘s „Cassandra's Dream Song“ durch die Gastflötistin Carin Levine der absolute Höhepunkt des Abends – sie hat geschafft, was ich persönlich für unmöglich gehalten habe – mit der komplexen und manchmal fast unspielbaren Musik von Ferneyhough das Publikum komplett zu bezaubern. Hut ab!

Das Konzert wurde mit dem Stück „Capriccio“ der jungen Komponistin Katharina Müller beschlossen – ein guter Kontrast zu der sonst fast nur dissonanten Klanglichkeit des Abends, und dazu mit allen beteiligten Musikern. Das Stück hat einerseits einen sehr unschuldigen kindlichen Charakter, der aber andererseits zu manchmal hart dissonierenden Zusammenklängen im Kontrast stand – alles umrahmt durch sehr schön eingesetzten Ostinato-Figuren in der Marimba und E-Gitarre. Ein bisschen mehr melodische Linienführung wäre vielleicht zu wünschen, trotzdem aber hat das Stück den Abend sehr angenehm abgerundet. Schön war auch die Beschreibung im Programmheft – nur ein kurzes Gedicht, was zu dem restlichen Text als guter Kontrast gewirkt hat.

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