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v.l.n.r. Bianca Andrew (Aurelia; sitzend) und Nika Gorič (Anna). Foto: Barbara Aumüller.
v.l.n.r. Bianca Andrew (Aurelia; sitzend) und Nika Gorič (Anna). Foto: Barbara Aumüller.
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Betrogen vom alten Körper – Uraufführung der Kammeroper „Blühen“ in Frankfurts Bockenheimer Depot

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Hoffentlich löst das Werk keinen shit storm aus, wird zum Skandalon und bringt alle Beteiligten in Bedrängnis… Da schreibt schon dieser Nobelpreisträger Thomas Mann 1953 eine Novelle über „die Betrogene“ – und dann greifen zwei lebende Männer mitten im Gender-Zeitalter den Stoff auf! Wer denkt da nicht an den Amanda-Gorman-Skandal? Librettist Händl Klaus und Komponist Vito Žuraj formen nämlich sogar Monatsblutung und Eisprung zur Kammeroper – da kann nur ein gnädiger Tod das Ende bilden!

Das übrige von Thomas Mann übernommene Setting ist in Klaus‘ Sprache nicht skandalös, eher menschlich wahr: Da verliebt sich die 52jährige Düsseldorfer Witwe Aurelia, gut bürgerlich umgeben von der abstrakt malenden Tochter Anna und Sohn Eduard, in den 25jährigen Amerikaner Ken, die Englisch-Nachhilfe des Abiturienten. Fühlte sie sich bisher „von der frau zur alten frau“ gereift – schlimmer sogar: „welk verbraucht“ -, so glüht sie jetzt emotional, will „aus der hülle kriechen aus dem schlaffen fleisch“. Die einsetzende heftige Blutung hält Aurelia für erneutes weibliches „Blühen“: „weil ich liebe fließt es wieder alles spricht der körper aus“. Die feinsinnige, durch ihre Gehbehinderung um eine einstige Liebe auch betrogene Künstlerin Anna spürt die Irregularität. Der Hausarzt bestätigt: Blutung durch einen inoperabel gewucherten Unterleibskrebs; es gibt nur Morphium zur Milderung des schmerzhaften Sterbens. In dieses Ende lassen beide Autoren der Uraufführung wiederholt eine Art Seelen-Chor (feine Einstudierung: Takeshi Moriuchi) hereinklingen; dieses zwölfköpfige Vokalensemble begleitet die gradlinige Handlung zunächst mit Vokalisen; in der lang angelegten Sterbeszene von Aurelias „Weg hinüber“ – „keine tränen für das ungelebte leben“ – klingen sie dann wie ihre innere Stimme – „ich entgleite – still der schritt der alles nimmt“ – in immer wieder absteigenden Linien bis ins ruhige Verlöschen Aurelias.

Dafür hat der schon preisgekrönte und vom Ensemble Modern mehrfach mit anderen Werken aufgeführte Vito Žuraj (*1979) eine Klangwelt voller Reize geschrieben. Das große, reguläre Schlagwerk ist oft verfremdet gefordert, bis hin zu mit Violinbögen gestrichenen Xylophon-Klangstäben. Alt- und Bass-Saxophon, Klavier, Streicher, Blechbläser, Akkordeon, Waterphone formen kleinteilige Obertonmischungen. Das Ende begleiten nicht wohlig schwingende, sondern in Händen gehaltene, dadurch trocken klingende Klangschalen. Die Singstimmen sind nur kurz kantabel geführt. Aurelia darf mit Saxophonlinien schon mal schwärmen, während Tochter Anna zu schrägem Klavier schimpft bis zum Keifen; Ken ist mit Gitarrenklängen gekennzeichnet, der Doktor durch tiefes Horn. So reihen sich die Reize, aber der längere Atem zu Atmosphäre fehlt, auch kantable Bögen für die großen Emotionen. Lediglich die Sterbeszene kann durch Eindringlichkeit überzeugen. Das ist auch der überragenden Expression von Mezzosopranistin Bianca Andrews zu danken. Sie stürzte sich darstellerisch vom feinen „ersten Blick“ über die leidenschaftliche Vereinigung mit Ken auf dem Boden bis hin zum schrittweisen Lebensabschied selbstvergessen in Aurelias Frausein – und meisterte die vokale Vielfalt staunenswert. Die eher freudlose Lebensstrenge von Tochter Anna bekam von Sopranistin Nika Gorič mal Schärfe, mal vorwurfsvolles Klagen. Rollendeckende Qualitäten auch von -den übrigen, kleineren Rollen. Daneben und immer wieder einzeln waren die rhythmische und klangliche Präzision der Umsetzung durch das Ensemble Modern und Dirigent Michael Wendeberg beeindruckend zu hören.

Gut, dass ein weibliches Team für die Inszenierung verantwortlich war. In Brigitte Fassbaenders 85 Regiearbeiten war dies die erste Uraufführung. Sie ließ sich für ihre fein differenzierte, lebensnah realistische Personenführung von Martina Segna einen offenen Bühnenraum bauen, dessen Naturbeschwörung an Annas abstrakte Malerei erinnerte, Alltagsmöbel nutzen ließ und lediglich parallel zur Krebs-Diagnose dann surreal einen fast Rückwand-großen Tumor zeigte. In den an die 1920er Jahre unaufdringlich angenäherten Kostümen von Anna-Sophie Lienbacher beeindruckte Regisseurin Fassbaender abermals ohne „Konzept-Gebäude“, sondern stellte nachvollziehbar und mehrfach eindringlich ein neues Werk vor. Ob „Blühen“ zu einer Aufführungsblüte die Kraft hat, lässt sich dennoch schwer prognostizieren.

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