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Foto: Christina Iberl
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Bühnenzauber: Im Staatstheater Meiningen geht es mit barocker Lust in die neue Spielzeit und eine neue Intendanz

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Er hat natürlich auch einen von seinem Vorgänger inszenierten „Fliegenden Holländer“ und dann eine „La Boheme“ auf der Agenda, zu der er den Malerfürsten Markus Lüpertz als Regisseur und Ausstatter verführt hat. Außerdem will der gebürtige Ilmenauer Jens Neundorff von Enzberg nach seinem Wechsel von der Intendanz in Regensburg zu der des Staatstheaters der Thüringer Theaterresidenz Meiningen in Eisenach einen Schwerpunkt zu barocken Erkundungen von Werken etablieren, die in der Region entstanden aber in Vergessenheit geraten sind. Insofern passt seine Spielzeiteröffnung mit der Händeloper „Amadigi di Gaula“ sogar programmatisch. Sie passt aber auch dem Gesundheitsamt. Denn in jedem Intendantenbüro sitzt ja bis auf weiteres das Virus sprich das ihn bekämpfende Amt mit am Tisch.

In solchen Zeiten ist eine Oper mit nur vier Protagonisten ohne Chor wie diese frühe von Händel aus dem Jahre 1715 ein Traum. (Für mach einen Besucher von außen, sind diverse Wahlplakate in Meiningen, mit den Rechtsaußenpolitikern von CDU und AfD allerdings näher an einem Alptraum.) 

Von den 726 Sitzplätzen im Glanze des Theaterherzogs Georg II. wieder erstrahlenden Hauses dürfen derzeit 500 Plätze besetzt werden. Hier gilt im Moment 3G plus Maske auch während der Vorstellung. 2G ohne Maske würde bei vielen Besuchern sicher besser ankommen. 

Am Ende von Händels Zauberinnenoper „Amadigi di Gaula“ ist die Hälfte des Personals tot. Das ist für eine opera seria dieses Barockmeisters eine ziemlich hohe Rate. Da es aber insgesamt nur vier Protagonisten sind, hält sich das Gemetzel in Grenzen. Der eine Tote ist zwar ein Prinz, aber er ist in die Geliebte seines Freundes verliebt. Daher verliert er erst seinen Freund (Amadigi) und wird dann zu dem im Eifersuchtszweikampf tödlich getroffenen Kollateralschaden einer ziemlich verfahrenen Beziehungskiste. Almerija Delic darf in der Hosenrolle dieses Dardano aber noch einmal aus dem Totenreich zurückkehren und als Deus ex machina verkünden, wo der Notausgang aus dem Intrigenstadel in Richtung Happyend zu finden ist. 

Die zweite Tote ist die Zauberin Melissa (mit fabelhaftem Biss: Monika Reinhard). Die begeht auf offener Bühne einen im doppelten Wortsinn theatralischen Selbstmord, gibt also nicht nur ihren hartnäckigen, mit allen einer Zauberin halt zur Verfügung stehenden Mittel geführten Kampf um den begehrten Amadigi, sondern gleich noch sich selbst auf. So ist endlich der Weg in eine gemeinsame Zukunft von Amadigi (der barockszenenkompatible Counter Rafal Tomkiewicz) und Oriana (mit gefühlvoll flexibler Kehle Sara-Maria Saalmann) frei. 

Dass der neue Meininger Intendant für den Auftakt nach einer nervenden Zwangspause ausgerechnet eine Händeloper ausgesucht hat, ist angesichts der mittlerweile gut entwickelten, teils hochspezialisierten Barockszene mutig. Aber was geboten wurde, war nicht nur ein Feuerwerk von Händelscher Arienkunst. 1715 in London uraufgeführt ist das Ganze ein Musterbeispiel der damals dominierenden italienischen Oper. Allein schon deshalb ist der Italiener Attilio Cremonesi der Richtige am Pult der Hofkapelle für ihren Ausflug ins nicht allzu oft besuchte barocke Opernerbe. Straff, pointiert und doch leicht – was die Musiker boten, lieferte genau den Rückenwind, um die Protagonisten in ihrem Wechselbad der Gefühle in einen Arienfuror zu steigern, der im Laufe des Abends immer besser gelang. 

Szenisch setzte Regisseur und Ausstatter Hinrich Horstkotte auf ein Spiel mit dem Barocktheater. Es gab eine barocke Prospektebühne auf der Bühne, deren Theatermittel ausführlich vorgeführt werden, dazu eine mehr als nur angedeutete Opulenz bei den Kostümen für die Protagonisten (dabei kommt Melissa am besten weg) und für das halbe Dutzend (Furien-)Hilfskräfte, das die Zauberin in verschiedenen Aufmachungen immer wieder beschwört, wenn sie versucht, Amadigi zu umgarnen oder dessen Liebste aus dem Weg zu räumen. Dazu wird das ganze Repertoire einer Barockbühne samt ihren Feuer- und Wasserimitationen entfesselt. Horstkotte traut – wie sich das für einen kritischen Zeitgenossen, der auch Meister Händel einen Hang zum doppelten Boden zutraut, heutzutage gehört – dem lieto fine nicht über den Weg. Seine Oriana schnappt sich vorsichtshalber Melissa Dolch. Offenbar wusste die damals schon, dass es da noch eine gewisse Alcina gibt, die ebenfalls eine Schwäche für schöne Helden hat….  

So weit sich ein Repertoiretheater dem heutigen Standard barocker Operninterpretation annähern kann, ist es in Meiningen gelungen!

Nächste Vorstellungen:  24.09.,   3.10., 9.10., 19.11., 4.12. 2021

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