Die „Weihnachtsoperetten“ der Komischen Oper Berlin werden auf dem Programmzettel halbfett als „Konzertante Aufführung“ bezeichnet – ein Understatement, denn es handelt sich dabei um eine Mischform zwischen Konzert und vollszenischer Darbietung, mit Beleuchtung, Choreografie der auswendig agierenden Darsteller*innen und glitzernden, paillettenreichen Kostümen. Die besondere Form hat seit acht Jahren Tradition und auch diesmal Qualität.
Immer wieder scheint es in der Komischen Oper Berlin eine merkliche Anzahl von Besuchern zu geben, die neu in diesem Theater sind – festzustellen an den Lachern beim Abspielen der nun schon in die Jahre gekommenen Aufforderung, während der Aufführung „nicht zu fotografieren, zu telefonieren, zu googeln oder SMSe zu versenden“, sondern die Handys auszuschalten. So auch bei der von Barrie Kosky eingeführten „Weihnachtsoperette“ in ihrem achten Jahr.
In der pausenlosen Reduktion der Operettenhandlungen auf deren wichtigste Musiknummern, und unter Verzicht auf fast alle Dialoge, häufig problematisch ist die Einführung eines Erzählers der unsichtbar bleibenden Handlungszüge. Diese war in vorvergangenen Jahren glücklicher gelungen als in dieser „bühnenpraktischen Rekonstruktion“ von Henning Hagedorn und Matthias Grimminger, mit dem Schauspieler Klaus Christian Schreiber als einem unglücklich am Text klebenden Conferencier. Insbesondere distanzierte sich dieser überdeutlich von der kruden Story und provozierte das Publikum, seine Handys doch wieder einzuschalten und nach den Behauptungen dieser Operette zu googeln sowie Fotos vom Wiederauftritt der männlichen Hauptfigur zu machen und diese anschließend an info [at] komische-oper_berlin.de (info[at]komische-oper-berlin[dot]de) einzusenden. Zumindest in der zweiten Aufführung unterblieb das vom Conferencier geforderte „Blitzlicht-Gewitter“.
Erstmals seit 80 Jahren zu hören war die im Dezember 1935 in Wien uraufgeführte Große Operette in zwei Akten von Paul Abraham auf ein Libretto von Alfred Grünwald und Fritz Löhner-Beda, „Dschainah, das Mädchen aus dem Tanzhaus“.
Die für diese gewieften Autoren ungewöhnlich schlecht konstruierte und dramaturgisch unglücklich hinkende Handlung ist der Versuch, Giacomo Puccinis „Madama Butterfly“ in die (noch) leichtere Muse zu transferieren, früher hätte man wohl gesagt, „eine Butterfly für Arme“. Auftraggeber dazu war aber der selbst mit einer Japanerin verheiratete Wiener Kaffeehauskönig Julius Meinl.
Das Mädchen Lylo aus dem Tanzhaus mit dem Beruf der Dschainah – dem angeblichen vietnamesischen Pendant einer Geisha – fasziniert den französischen Marineoffizier Pierre Claudel (von Johannes Dunz eindrucksvoll mit kräftigem Tenor verkörpert); um sie vor dem Verkauf in ein anderes Bordell zu bewahren, ehelicht er sie. Aber seine Familie und Freunde aus Frankreich reisen ihm nach Saigon nach, und dort heiratet er dann doch seine Verlobte Yvonne (Mirka Wagner).
Noch bevor im Jahre 1989 Claude-Michael Schönbergs Musical „Miss Saigon“ die Butterfly-Handlung nach Saigon verlegte, hatten also Mitte der Dreißigerjahre die besagten Autoren bereits einen ähnlichen Versuch unternommen. Ihnen vorausgegangen war allerdings bereits im Jahre 1896 eine Parallelhandlung, „Die Geisha" von Sidney Jones.
Auch in Paul Abrahams Operette geht der ungetreue Marine-Soldat eine Hochzeit mit der asiatischen, in Oper und Operette gleichermaßen als „Schmetterling“ besungenen fremden Schönheit ein und verlässt sie dann – um in seiner Heimat eine bürgerliche Ehe zu führen. Pinkertons gescheitertem Versuch, das gemeinsame Kind von Butterfly und ihm zu adaptieren, steht in der Operette eine Wiederbegegnung mit Lylo gegenüber, im Schlussakt als der Frau eines reichen Maharadschas.
Dabei gelingen Alfred Grünwald witzige Reime und Paul Abraham – mit dem unverzichtbaren ungarischen Einschlag, hier einem Baron Bogumil Barczewski (von Dániel Faki als Buffotenor wirkungssicher dargeboten) – ohrwurmverdächtige Nummern. Mit Gongs und Pentatonik erreicht er die angestrebte Wirkung fernöstlichen Kolorits, auch in einigen Chorsätzen.
Vermutlich war die Erzählerfunktion zunächst dem transsexuellen Ex-Stripper Zazie de Paris zugedacht, der nun in der Partie der fast stummen, im Schlussakt um die erste Strophe eines Chansons erweiterten Rolle der Madame Hortense (Veuve) Cliquot eine unglückliche Figur macht.
Souverän und spritzig, wie stets, Thalya Lieberman als Mussotte (sic!). Eine besondere Überraschung, stimmlich und in ihrer Darstellung bietet die junge Hera Hyesang Park in der Titelpartie, mit einem zur dramatischen Oper zielenden Sopran, in allen Registern kraftvoll und wohltimbriert. Ihre Aussprache, wie auch die der anderen Solist*innen und der des von David Cavelius einstudierten Chores ist so präzise, dass es kein Manko bedeutete, dass diesmal auf die Übertitelung der Gesangstexte auf den Vordersitzrücklehnen verzichtet wurde.
Der estnische Dirigent Hendrik Vestmann spielt und tanzt nach Leibeskräften mit. Den bläserlastigen, in den tiefen Streichern (mit drei Bratschen, zwei Violoncelli und nur einem Kontrabass) extrem schwach besetzten, aber mit Harfe und umfangreichem Schlagwerk, Gitarre, Banjo und Klavier aufwartenden Klangkörper hat der Dirigent schwungvoll im Griff.
Am Ende der vorletzten Aufführung des Jahres, der zweiten Vorstellung dieser Deutschen Erstaufführung, entgegnet Hausherr Barrie Kosky der Meinung, die Paul Abraham-Reihe sei damit abgeschlossen: „In den letzten zwei Jahren meiner Intendanz – hoffentlich nicht meiner Karriere – wird es in dieser Reihe zwei weitere Werke des aus Berlin verjagten Komponisten Paul Abraham geben, im kommenden Jahr eine besonders berühmte und im Jahr darauf eine ausschließlich in ungarischer Sprache gesungene Operette.“
Nach der mit Abrahams „Ball im Savoy“ und „Roxy und ihr Wunderteam" hoch gelegten Latte ist das Zwischentief in der Reihe der „Weihnachtsoperetten“ hinzunehmen – und neue Höhepunkte bestehen durchaus auch als Wünsche fürs neue Jahr.