„Das Rheingold“ mit Kapitalismuskritik und Walhall hinter der Mauer – Verena Stoiber wagt mutige Ansätze. Ein wirklicher „Ring“ kann daraus nicht werden. Die neue Chemnitzer Wagner-Tetralogie wird sich aus vier Einzelwerken formen. Dennoch steht ein Gesamtkonzept dahinter: Jeder Nibelungen-Abend wird von einer Regisseurin inszeniert. Um Wagner aus weiblicher Sicht zu zeigen? Um zu sehen, was den vier unterschiedlichen Sichten am Ende an Gemeinsamkeiten und Unterschieden innewohnt?
Fest steht freilich schon jetzt, dass am Chemnitzer Opernhaus ein gewaltiges Wagner-Wagnis eingegangen worden ist, mit dem bis zum Jahresende „Der Ring des Nibelungen“ geschmiedet werden soll. Und fest steht auch, dass just Chemnitz damit die beiden eigentlichen Wagner-Städte in Sachsen, Leipzig und Dresden, ein wenig in den Schatten stellt. Richard Wagners Geburtsstadt zeigt in diesem Frühjahr mit Rosamund Gilmores Produktion wieder den ersten Zyklus seit dem noch immer als legendär gehandelten Geniestreich von Joachim Herz aus den 1970er Jahren, während Dresden die gesamte Tetralogie gar erst einmal nach Kriegsende auf die Bühne gebracht hat – soeben ist diese Inszenierung von Willy Decker in einer Star-Besetzung zweimal unter Chefdirigent Christian Thielemann (und mit einem mittelprächtigen Theaterkrach) komplett über die Bühne der Semperoper gegangen.
Chemnitz hingegen geht nach Michael Heinickes um die Jahrtausendwende herausgekommener Sichtung nun bereits die zweite Interpretation in jüngerer Zeit an. Es ist die erste unter der musikalischen Leitung des neuen Generalmusikdirektors Guillermo García Calvo, der sich bereits vorab als überzeugter Wagnerianer bekannt hat.
Dramatisch mitreißendes Fließen
Wie sehr er dies ist, hat er nun im „Rheingold“ mit der Robert-Schumann-Philharmonie beweisen können, die der junge Spanier mit größter Umsicht durch die Wogen geführt hat. Wenn auch im Sog dieser Strömung so manch kleiner Blechschaden zu verzeichnen gewesen ist und insbesondere die Hörner schon im ersten Rauschen des Rheins auf Untiefen stießen (was sich späterhin noch holprig wiederholte), so blieb doch als Gesamteindruck eine klar konturierte Gestaltung, der hier und da noch etwas leicht Dumpfes anhaftete, die alles in allem jedoch ein sängerfreundliches, mitunter dramatisch mitreißendes Fließen gewesen ist.
Und was für eine Sängerbesetzung Chemnitz da aufbieten konnte! Ein solch smarter Wotan wie der Ungar Krisztián Cser dürfte schwer zu finden sein. Nobel in der Stimmführung und elegant in seinem Spiel, da verwunderte allenfalls, dass der Göttervater gemeinsam mit Gattin Fricka zu spät zur Premiere erschienen ist. Während das Vorspiel sich schon entfaltet, suchen die zwei (scheinbar) ihre Plätze – und finden sie auf der Bühne, um erst einmal als Zaungäste den Rheintöchtern und Alberichs Goldraub beizuwohnen. Was Wotan, geschäftsmäßig im blauen Anzug, nicht sehr zu interessieren scheint. Denn er lebt in einer anderen Welt.
Wie an Schlingpflanzen pendeln Woglinde, Wellgunde und Floßhilde anmutig durch die Szene, suggerieren Nacktheit und werden von einer Art notgeilem Faun aufgeschreckt. Beim Wahrnehmen von dessen Phallus stellt sich die Frage, wie darauf reagiert worden wäre, wenn ein Mann inszeniert hätte. Hier aber gab Verena Stoiber ihr Chemnitz-Debüt und sollte das Publikum noch mit ganz anderen Anspielungen reizen. Auf allen Vieren rutscht Alberich an die goldhaarigen Nixen heran und lässt sie schließlich geschändet zurück, indem er ihre güldene Haarpracht an sich reißt – und der Liebe entsagt. Jukka Rasilainen entfaltete seinen Part zur Premiere zwar stimmkräftig, etwas derb, doch nur begrenzt textverständlich. Guibee Yang, Sylvia Rena Ziegler und Sophia Maeno als Rheintöchter gaben sich betörend sportiv, hörenswert lasziv, um ganz am Ende als leidend Gezeichnete im Wohlstandsmüll zu liegen.
Der Bogen dorthin geht über ein ummauertes Wallhall, das an Berliner Mauerzeiten ebenso erinnert wie an Donald Trumps mexikanischen Wahnsinn. Mit Fasolt und Fafner schreiten zwei Riesen durch diesen Wall, die optisch zwar das Format von CDU-Kreisvorständen haben, stimmlich aber dank Magnus Piontek und James Moellenhoff große Potenz ausstrahlen konnten. Sie fordern Freia als Kompensation für ihren Bau, die Maraike Schröter als pummelig verwöhnte Göre darstellen musste, aber mit schöner vokaler Beweglichkeit ausgestattet hat. Die Fricka von Monika Bohinec als tonangebende Geschäftsfrau ist von berechnender Kühle umgeben, während Matthias Winter und Petter Wulfsberg Moen als Donner und Froh dem großstädtischen Alltag entsprungen scheinen und mit adäquatem Gesang überzeugten.
Geschmeidig in seiner schlank geführten Stimme und aalig als Spielführer Loge hat Benjamin Bruns zunächst auch einen Bühnensitzplatz, spielt sich aber zunehmend frei und hält die Fäden des Geschehens in Händen selbst da, wo ihn die Entwicklung überraschen müsste. Alberich nämlich entschwindet nicht unter einem Tarnhelm, sondern blendet mit einem goldgerahmten Spiegel. So ist es ein Leichtes, ihn zu fangen und sowohl Mime – von Edward Randall hinreißend leidend gespielt und auch so gesungen – als auch die geknechteten Nibelungen zu befreien. Die nun sind Kinder und junge Mädchen, die als billige Sexsklaven und Produzenten von Turnschuhen gehalten werden. Spätestens hier ist diese „Rheingold“-Inszenierung bei purer Systemkritik angelangt – als logische Folge erhalten die Riesen gegen ihr Freia-Pfand auch kein Gold, sondern all den (nicht nur aus Fernost stammenden) Verpackungsmüll, auf den ein Großteil der Zeitgenossen offenbar bis heute nicht verzichten kann. Oder will.
Ob Erdas Warnung „Ein düst’rer Tag dämmert den Göttern“ – so eindringlich wie betörend vorgetragen von Bernadett Fodor als ganz in Schwarz gehüllte Mahnerin – als Menetekel verstanden wird? Wotan scheint ergriffen und überlegt, die Rheintöchter aber stranden im Müll.
Das Premierenpublikum ließ Orchester und Sängerensemble im Beifall baden, während die Regisseurin und ihre Ausstatterin Sophia Schneider auch mit einigen Buh-Rufen bedacht worden sind.
- Termine: 22. Februar, 3., 31. März, 15., 28. April 2017