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Staatskapelle Weimar. Foto: Felix Broede
Staatskapelle Weimar. Foto: Felix Broede
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Der Klang der Welt oder der Mut zu Gefallen – Spielzeitauftakt der Staatskapelle Weimar

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Als Teil des Kunstfestes Weimar startete die Staatskapelle Weimar mit der Uraufführung der „Sinfonia di due mondi“ von George Alexander Albrecht, am Pult sein Sohn Marc Albrecht. Das Konzert verfolgte für uns Joachim Lange.

Eine normale 65.000 Einwohner-Stadt ist Weimar schon lange nicht mehr. Seit die gar nicht so heimliche Hauptstadt der deutschen Klassik auch noch die Kulturhauptstadt Europas war, ist auch jeder Schritt vom Wege (zum Deutschen Nationaltheater, Richtung Frauenplan oder in den Ilmpark, zu Schiller, Herder oder zu Liszt, ins Schloss, zum Belvedere oder wohin auch immer) eine reine Freude. Das Deutsche Nationaltheater hat sich als erste Bühne des Freistaates Thüringen behauptet, die traditionsreiche Staatskapelle ist Spitze. Die aktuellen Jubiläen der Republik, ob republikanische Reichsverfassung von 1919 oder Bauhaus, kommen ohne Weimar nicht aus, wenn man sie begehen will. Das neue Bauhaus-Museum entfaltet seine Anziehungskraft und das Kunstfest den sommerlichen Charme des Ausgefallenen und Besonderen.

Dass die Staatskapelle den Auftakt ihrer Konzertsaison gleichsam ins Kunstfest (das mit einem spektakulären „Reichtstags-Reenacement“ begann und bis zum 8. September dauert) integriert, liegt auf der Hand.

Das erste Sinfoniekonzert war aber nicht nur ein Kunst-, sondern zugleich ein Familien-Fest der besonderen Art. Mit dem ersten Klavierkonzert von Johannes Brahms (und dem fabelhaften mazedonischen Pianisten Simon Trpceski) und einer Uraufführung. In dieser selbstbewussten Reihenfolge. Ohne den gelegentlich angewendeten Veranstalter-Trick, die Zuhörer zuerst mit einer Novität zu konfrontieren, um sie dann mit Altbekanntem zu versöhnen. In Weimar war das anders. Und das Risiko war gering. 

Der Komponist der Uraufführung hieß George Alexander Albrecht (Jahrgang 1935), der Dirigent war sein Sohn Marc und das Orchester der Klangkörper, dessen Chef Albrecht senior von 1996 bis 2002 war und dem der auch weiter in Weimar lebende Dirigent und Komponist nach wie vor eng verbunden ist.  (Er ist der Bruder des ehemaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht, also der Onkel der neuen EU-Kommissionschefin.)

Das Woher im Wohin

Seine uraufgeführte „Sinfonia di due mondi“ ist ein Werk für großes Orchester und Mezzosopran. Für den Schluss hat er Textzeilen der ausgesprochen musikaffinen Lyrikerin und Autorin Ulla Hahn vertont. Der Titel ihres Romans „Wir werden erwartet“ war dem Komponisten ein Fanal und er ergänzte es um einige von ihm ausgewählte Zeilen aus ihren Gedichten. Die in ihrer Platzierung und in ihrem Ernst durchaus an das „Oh Mensch! Gib Acht!“ erinnert, das Mahler in die Mitte seiner 3. Sinfonie aufleuchten lässt. Von der am DNT engagierten japanischen Mezzosopranistin Sayaky Shigeshima gemessen, präzise und mit Emphase beigesteuert, bilden sie einen grandiosen Schlusspunkt unter ein Werk, das vom ersten Ton an packt. Es entfaltet ein Eigenleben, in dem stets das Woher im Wohin mitschwingt. Das des Menschen. Und das der Musik. Auf Albrechts Wanderung übers Orchesterhochgebirge schweift der Blick beim Aufschauen und Durchatmen öfter einmal in Richtung der Mahler- oder Strauss-Massive am Horizont. Und lassen den Komponisten schmunzeln oder ausgelassen lachen, bei der (mittlerweile überwundenen oder zur Möglichkeit relativierten) Vorstellung, dass man von deren Pracht den Blick wenden sollte. In Weimar hört man den Blick. Und das Lachen.

Albrecht gelingt der Balance-Akt, untergehakt zu gehen, es nach Strauss oder Mahler klingen zu lassen und sich gleichzeitig wie verschmitzt von diesen Wanderkameraden abzuheben. Was überrascht und fasziniert, sind der Witz und die Heiterkeit, die aufkommen. Und die Einschläge, die der Fröhlichkeit dazwischen klirren. Diese Musik ist immer voller Lust. Wenn sie schwelgt, Fährten legt oder abrupt zur Seite abbiegt. 

Man kann dem Komponisten folgen wenn er die „zwei Welten“ gegeneinander antreten lässt, wenn das Ideale des Geistes, das Schöne der Kunst von den Blitzschlägen der Verzweiflung attackiert wird, und so die beiden Welten lebendig werden, in denen Menschen leben. Am Ende bietet die menschliche Stimme Trost. Der poetische Romantitel „Wir werden erwartet“ und ein paar lyrische Verweise in Richtung dieser Wahrheit, die nur in der Hoffnung liegt, sind wie das Ziel mit der wunderbaren Aussicht, die dem Wanderer als Lohn winken.

Wir werden erwartet

Dies ist ein Tag der sich die Stille nimmt
Kornfeld das in den Ähren fertig steht
und Silben aussät in die leeren Furchen
So ohne Angst vor Kälte Schnee Misslingen
lassen die Zeilen die Stille ein

                                 (Probelauf)

Zwischen den Fragen 
wachsen die Pausen
Antworten ziehen sich
hinter die Fragen zurück
Es kommt 
nah kommt näher es raschelt
ins Haus die Schlange
leibhaftige Schwester Weisheit 

…                                 Aus:Vesper VIII

Wir werden erwartet

Unser Atem angefüllt mit dem Licht der ersten Sterne
Von weit her kommt die Welle die uns durchzieht
mit Tag und Nacht Himmel und Feste Erde und Meer 

…                                 Aus: Vesper II

Die Musik zu diesen Zeilen ist angemessen melodisch, sie ist schön. So wie auf ihre Art die ganze, gerade mal 30 Minuten währende ohne Satzeinteilung auskommende Sinfonie. Sie ist nicht glatt, denn sie erzählt auch von Gefahren und Anfechtungen. Aber sie verstört dabei nicht. Bekennt sich ohne Scheu zum Tonalen, zur Tradition, zum Romantischen. 

Georg Alexander Albrecht hat mit dem Komponieren sehr früh angefangen. Mit 22 Jahren hatte er bereits 116 Werke komponiert. Dann wurde er Dirigent und war mit 29 in Hannover der jüngste GMD Deutschlands. Dem damals herrschenden Dogma des Atonalen und einer avancierten Moderne, die man sofort als solche erkennt, dieses auf Teufel komm raus Anderen, und einer Verstörung um des Prinzips willen freilich, vermochte er sich nicht zu beugen. Er blieb bei seiner Liebe zur Musik, die nicht kalt konstruiert wird, sondern vom heißen Herzen kommt, ging aber nicht wie Hans Werner Henze nach Italien, sondern blieb als Dirigent bei sich. Machte große Karriere. Der Komponist in ihm lag 53 Jahre auf der Lauer, richtet sich 2009 wieder auf, schüttelte sich, stellte fest, dass noch alles in Takt war, und fing wieder an zu komponieren. Folgte dabei seinen Leitsternen, zu denen Brahms, Mahler und Strauss gehören, ohne sie zu verleugnen. Ein neoromantisch tonaler Personalstil, der ankommt. Und das ohne Umwege über ausführliche Einführungen oder Erläuterungen. Albrecht traut sich, zu gefallen. Bestens geeignet, um das Aufeinandertreffen der due mondi, der zwei Welten, erlebbar zu machen.

Es hat den Komponisten sichtbar gefreut, dass ausgerechnet sein Sohn das erste Mal ein Werk des Vaters und dann auch gleich noch die Uraufführung seiner ersten Sinfonie dirigierte. Marc Albrecht (55) ist als Dirigent längst in den beruflichen Fußstapfen seines Vaters zu eigenem Ruhm gekommen. Seit 2011 ist er der Chefdirigent der Dutch National Opera und des Netherlands Philharmonic und des Netherlands Chamber Orchestra in Amsterdam. Auch an den großen Opernhäusern in Europa ist er ein gern gesehener Gast – der Hamburgischen Staatsoper, der Deutschen Oper Berlin oder der Dresdner Semperoper eng verbunden. 

Die „Sinfonia di due mondi“ hat mdr-kultur aufgezeichnet und gesendet. Man wünscht sich eine Wiederbegegnung. Und wartet auf eine zweite Sinfonie von George Alexander Albrecht. Standing ovations nach der Uraufführung!   

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