Shakespeare-Dramen sind immer schon großartige Opernvorlagen gewesen. Aber ausgerechnet sein „Hamlet“ scheint im Musiktheater sehr rar zu sein. Weil das Original zu perfekt ist? Richard Wagner war ja der Meinung, „Hamlet“ gehe den Musiker nichts an. Dabei soll es allein in den vergangenen zwei Jahrhunderten rund 40 höchst unterschiedliche Versuche gegeben haben, sich mit dem Stoff zu beschäftigen. Neben Franz Liszts Sinfonischer Dichtung und der Oper von Ambroise Thomas sind aber kaum Deutungen im Repertoire geblieben, ob es Timo Jouko Herrmann mit seiner in Dortmund herausgekommenen Version „Hamlet – Sein oder Nichtsein“ schaffen wird, daran etwas zu ändern, bleibt abzuwarten.
Doch der Italiener Franco Faccio widersprach Wagners Duktus und hat vor rund 150 Jahren einen eigenen „Hamlet“ gestemmt. Der ist nun in Chemnitz als deutsche Erstaufführung herausgekommen. Und das, obwohl die sächsische Industriemetropole in diesem Jahr eigentlich Wagner-Stadt ist und sich dem „Ring“ verpflichtet hat, um die Nibelungen-Tetralogie von vier Regisseurinnen inszenieren zu lassen.
Trotzdem sollten Freunde der italienischen Oper offensichtlich nicht darben, man hat ihnen sogar eine Entdeckung beschert: „Hamlet“ als Übernahme von den Bregenzer Festspielen! Bloß gut, dass sich deren Intendantin Elisabeth Sobotka während ihres Studiums mit diesem Opus gründlich beschäftigt hat. Sonst wäre der „Hamlet“ von Faccio, einem Zeitgenossen von Verdi, als Dirigent und ab 1871 auch als Direktor der Mailänder Scala von sich reden machte, womöglich noch länger in der Versenkung liegengeblieben. 1865 ist das Stück (original „Amleto“) in Genua herausgekommen und später nach Mailand umgesetzt worden. Zur dortigen Premiere war der damals äußerst populäre Tenor Mario Tiberini allerdings indisponiert und vergeigte den Titelpart – folglich blieb es bei nur einer völlig missratenen Aufführung, Faccio soll daraufhin nie wieder komponiert und lediglich seine Dirigenten-Karriere gepflegt haben, unter anderem mit der gefeierten Uraufführung von Verdis „Otello“ im Jahre 1887.
Sein „Hamlet“ jedoch ist erst zu Shakespeares 450-Jahr-Feier in den USA wiederentdeckt worden und kam zwei Jahre danach auch in Bregenz heraus. Das Libretto dazu hat kein Geringerer als der „Mefistofele“-Komponist und Verdi-Hausautor Arrigo Boito verfasst. Von Faccio stammt dazu eine dramatische Musik voll der Wucht des damaligen Zeitgeschmacks, die Verismo und Belcanto zitiert, Verdi und Leoncavallo anklingen lässt, nur leider keinen echten Ohrwurm besitzt.
Die Robert-Schumann-Philharmonie vermochte diesen Klangzauber unter Gerrit Prießnitz sehr opulent umzusetzen, hier und da freilich zu Lasten der Solisten, die sich gegen die aufbrausende Italianità aus dem Graben nicht immer durchsetzen konnten. Mit Gustavo Peña als Hamlet konnte Chemnitz diese Oper aber sehr groß besetzen: Als schneidiger Tenor voller Energie beherrschte er die Szene, wandelte sich vom Trauernden zum Rächer, vom Liebenden zum Verzweifelten und ließ die Sorge, er könnte den knapp dreistündigen Vierakter mit derlei Verve nicht durchstehen, als unbegründet erscheinen. Ebenso überzeugend agierte Katerina Hebelkova als seine Mutter und Königin voller Strahlkraft und Eleganz. Die junge Sopranistin Tatiana Larina interpretierte erst die Liebe und dann die Verzweiflung der Ophelia sehr nahegehend mit vokaler Inbrunst, und auch Pierre-Yves Pruvot als mörderischer König Claudius überzeugte mit großem Timbre. All diese Leistungen sorgten mitsamt der durchaus dazu einladenden Musik für reichlich Szenenapplaus, den sich auch der wieder einmal glänzende Opernchor des Chemnitzer Hauses verdient hat. Umso bedauerlicher, dass einige kleinere Partien (Laertes, Totengräber) nicht adäquat überzeugt haben.
Auch die Inszenierung des in Paris geborenen Österreichers Olivier Tambosi wirkte hier und da widersprüchlich, wozu gewiss auch das Bühnenbild von Frank Philipp Schlößmann mit beigetragen hat. Mal gab es pompösen Revue-Charakter, dann wurde mit überreichlich viel Bühnennebel künstlich dramatisiert, schließlich kam Hamlets Vater als Geist aus dem gleißenden Licht der Hinterbühne, die aber ebenso theatralisch von Glühlampen umgeben war. Immerhin wurden das Schwarz des Bühnenraums und auch der rote Vorhang in den Kostümen von Gesine Völlm gespiegelt, auf das diese Pioniertat in Chemnitz von kräftigen Bildern gerahmt bleiben wird. Shakespearsche Größe und musikalische Emotionalität haben das Premierenpublikum ohnehin überzeugt.
- Termine: 18.11., 8.12.2018 sowie 18.1., 17. und 29.3.2019.