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Iain MacNeil (Odysseus). Foto: Barbara Aumüller.
Iain MacNeil (Odysseus). Foto: Barbara Aumüller.
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Ein „Niemand“ auf der Suche nach sich selbst: „Ulisse“ von Luigi Dallapiccola in Frankfurt

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Der Odysseus-Stoff gehört seit Homer zur Weltliteratur. Seit Claudio Monte­verdis Oper aus dem Jahre 1640 ist er immer wiederkehrendes Thema auch des Musiktheaters, man denke nur an Offenbachs „Schöne Helena“, Berlioz’ „Les Troyens“, Bruchs „Odyssee-Szenen“ oder Egks Odysseus-Oper „Circe“ von 1949. Eine der jüngsten Opern-Vertonungen des Stoffes stammt von dem italienischen Komponisten Luigi Dallapiccola, er hat das Stück in den 1960er Jahren komponiert.

Der Odysseus-Mythos faszinierte Luigi Dallapiccola ein Leben lang. Er hat schon 1938 für den Choreographen Léonide Massine ein Ballett über Homers Odysseus geschrieben und 1941 Monteverdis Odysseus-Oper für das Festival „Maggio Musicale Fiorentino“ bearbeitet. Mit seiner Oper „Ulisse”, es war seine letzte, hat Dallapiccola eine eigene Lesart des Odysseus-Mythos vorgelegt, sie wurde am 29. September 1968 an der Deutschen Oper Berlin unter der Leitung von Lorin Maazel uraufgeführt. Seither wurde das Stück nur selten gespielt, in Deutschland seit mehr als 40 Jahren nicht mehr. In Frankfurt ist es jetzt zum ersten Mal zu sehen.

Dallapiccola war ein Außenseiter schon zu seiner Zeit, der Zeit des Zusammen­bruchs des italienischen Faschismus mit seinem Heroenkult einerseits und seinem Verismus etwa eines Mascagni andererseits. Komponisten wie Luigi Nono oder Ildabrando Pizzetti haben neben ihm die italienische Musik gewissermaßen „neu erfunden“. Zwölftonmusik war angesagt. Neue Musik wurde auch in Italien wesentlich von der Avantgarde der Darmstädter Schule und ihren Doktrinen beeinflusst. Dallapiccola (der sein musikalisches Initialerlebnis übrigens Arnold Schönberg verdankt) hat sich nie ganz von der italienischen Operntradition abgewandt. Obwohl er sich an der Musikdra­maturgie Alban Bergs orientierte, wollte er immer wohlklingende, singbare Musik schreiben. Das nahm man ihm übel, man bescheinigte ihm melodisch italianisierte Zwölftonmusik, er sah sich vielen Anfechtungen seiner Zunft ausgesetzt, er wurde als Komponist ausgegrenzt, weil er sich dem Zeitgeist verweigerte. Davon hat er sich bis heute nicht erholt.

Wo Monteverdis Oper sich relativ eng an Homer hält, schlägt Dallapiccola in seinem „Ulisse” einen großen Bogen von der Antike ins Heute. Er hat aus den 24 Gesängen des Homer 13 Handlungsepisoden ausgewählt und daraus eigenhändig ein Libretto mit Prolog und zwei Akten verfasst. Er schildert die Rückkehr des jahrelang umherirrenden Odysseus in seine Heimat Ithaka und zu seinem Weib Penelope (das ihm nicht sonderlich viel bedeutet). Odysseus memoriert am Hofe des Königs Alkinoos einige seiner zentralen Abenteuer, etwa mit der Göttin Kalypso, mit Circe, seinen Abstieg in den Hades, er erinnert an die Stürme des Poseidon. Die zentrale Szene ist das Festmahl der Freier, die um Penelope werben. Odysseus erschießt diese mit seinem Bogen. Als Epilog folgt dann die letzte Szene mit dem unterm gestirnten Himmel aufs Meer rudernden Odysseus. Er erkennt Gott und fühlt sich endlich nicht mehr allein. Einsamkeit ist sein Lebensthema, ebenso wie Sinnlosigkeit. Dallapiccola lässt ihn auf dem Meer unterm Sternenhimmel die Anschauung Gottes erfahren. Das ist eindeutig von Dante inspiriert, auf dessen Odysseus Episode sich Dallapiccola beruft, wie auch die Odysseus-Deutung von James Joyce. Das ist sehr spirituell und natürlich nicht homerisch gedacht. Es geht um existenzielle Zweifel des Menschen, um spirituelle Einheit und Sinnfindung, um Identität und die Stellung des Menschen im Kosmos. Eine sehr moderne Sicht auf Homer. Dieser „Ulisse“ ist Dallapiccolas letztes Werk, sein „Weltabschiedswerk“ und Summe seines Lebenswerks voller Anspielungen und Selbstzitate.

Die Regisseurin Tatjana Gürbaca hat das Stück an der Oper Frankfurt inszeniert, nachdem sie sich dort bereits mit Dallapiccolas Oper „Il prigioniero“ – der Gefangene – auseinandersetzte, der erfolgreicheren Oper Dallapiccolas, einer existenzialistischen, antifaschistischen Inquisitions-Tragödie.

Gürbaca stellt Odysseus als facettenreichen Sinnsucher in den Mittelpunkt ihrer Inszenierung. Er ist ein ambivalenter, von existentiellen Sinnfragen angefressener Mensch von Heute, ein traumatisierten Krieger und nomadenhafter Liebender, nicht mehr der trickreiche Held Homers, sondern ein moderner Mensch, ein „Niemand“ (wie er sich selbst bezeichnet) auf der Suche nach sich selbst.

Die Regisseurin zeigt das undramatische, eher oratorische und durchaus anstrengende Stück in heutigen Bildern und zeitlosen Straßen-, aber auch glitzernden, bunten Phantasiekostümen (von Silke Willrett), die den Bezug auf die Antike nicht verleugnen.  Der leere Raum von Klaus Grünberg ist eine Mischung aus Tiefgarage und Tempelberg, eine Vergegenwärtigung der Antike durch moderne Touristen (Statisten) auf einer Ausgrabungsstelle. Harte Schnitte, Verwandlungen, große Chortableaus, aber auch einsame Monologe, retrospektive Momente und die Verwischung von Traum und Realität, Geschichte und Gegenwart wechseln sich ab und evozieren effektvolles Musiktheater. Gelegentlich gerät es allerdings allzu plakativ, beispielsweise wenn der Hades als Altersheim mit der Mutter des Odysseus im Krankenbett, umgeben von Stehlampen gezeigt wird. Gürbaca entwickelt eine grelle Plastik-, Pop- und Menschheits-Parabel über Einsamkeit und Sinnsuche, die als erotisch aufgeladenes, vulgäres Pandämonium endet, das in seiner symbolschwangeren, grell überzeichneten Künstlichkeit die Künstlichkeit der Musik spiegelt. 

Der Italiener Francesco Lanzillotta hat die musikalische Leitung der Aufführung, die in der deutschen Übersetzung von Heinrich Kreith gegeben wird. Er bringt die artifizielle Musik Dallapiccolas mit ihren sich überlagernden Strukturen, mit ihren Zwölftonreihen und Klangfarben äußerst präzise, farbig, um nicht zu sagen suggestiv zum Klingen und entfesselt ein Optimum an Expressivität. Fast möchte von einer modernen „Belcantooper“ sprechen, zumal das insgesamt respektable Sängerensemble Bewundernswertes leistet. Unter den 17 Partien ragen besonders eindrucksvoll Iain MacNeill als Odysseus, Katharina Magiera in den Doppelpartien der Kirke und Melantho sowie Juanita Lascarro in den Partien der Kalypso und der Penelope heraus. Auch der Chor, einstudiert von Tilman Michael leistet Enormes. Zweifellos eine herausragende Aufführung.

Doch so interessant man diese Oper auch finden mag und so engagiert sie in Frankfurt präsentiert wird: Das Libretto ist zu philosophisch und die Musik zu sophisticated, zu mathematisch, als dass das Werk fürs breite Publikum je die Popularität eines „Rigoletto“ oder einer „Tosca“ erreichen wird. Die Aufführung, so gut sie ist, wird kaum Anstöße zu einer Aufnahme in die Spielpläne initiieren. Dallapiccolas „Ulisse” ist und bleibt ein Ausnahmewerk. Man kann es ausgraben, an es erinnern, das ist lobenswert, aber eine Zukunft als Repertoirestück hat es nicht.

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