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Jens Neundorff. © Michael Reichel / arifoto.de
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Ein Rückkehrer für den Neustart – Der Neue in Meiningen: Jens Neundorff im Gespräch

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Jens Neundorff von Enzberg wird am 1. August 2021 Intendant des Meininger Staatstheaters. Er tritt die Nachfolge von Ansgar Haag an, der 16 Spielzeiten die Geschicke des traditionsreichen südthüringer Hauses lenkte. Für die nmz sprach Joachim Lange mit dem neuen Intendanten.

Für den 1966 geborenen Ilmenauer ist es eine Rückkehr – er war von 1992 bis 1996 unter dem damaligen Intendanten Ulrich Burkhardt Dramaturg für alle Sparten in Meiningen. Nach dem Studium der Musikwissenschaften, von Theatermarketing und Kulturwissenschaften in Berlin und Leipzig war das sein erstes Engagement. 1996 wurde er Dramaturg an der Sächsischen Staatsoper Dresden. 2000-2007 war Neundorff stellvertretender Intendant der Oper Bonn, bevor er 2007 Operndirektor am Staatstheater Braunschweig wurde. Seit 2012/13 ist er Intendant des Theaters in Regensburg.

nmz: Herr Neundorff, – wir können einfach telefonieren. Aber wie leitet man im Moment ein Theater?

Jens Neundorff: Auf ungewohnte, auch ungewöhnliche Art: mit unzähligen Telefonaten, virtuellen Besprechungen und persönlichen Treffen in großen Räumen. Unser Spielplan hat sich bis Ende der Spielzeit ins Digitale verlagert: mit Online-Premieren, gestreamten Lesungen, Telefonaktionen und einer 72-Stunden-Besetzung des Zuschauersaals, bei der wir unsere Verbundenheit zum Haus und die schmerzlich fehlende Öffentlichkeit thematisieren. 

Unterm Strich arbeiten wir an einem Notprogramm, bei dem man versucht, mit der Situation und den sich täglich ändernden Tatsachen umzugehen. Natürlich entwirft man auch schon Konzepte, wie es weitergehen könnte.  

Die Wiederbegegnung mit dem Publikum wird in der laufenden Spielzeit nicht mehr zustande kommen. Wir haben, wie viele andere Theater auch, den Spielbetrieb bis Ende der Spielzeit eingestellt. Das ist bitter. Das Theater Regensburg hat immerhin eine Auslastung von knapp 90%, darunter 6000 Abonnenten. Wir suchen nach Lösungen im Interesse der Zuschauer und wie wir das Vakuum der kreativen Arbeit bei den Künstlern kompensieren können. Aber uns geht es uns an den subventionierten Theatern ja noch vergleichsweise gut, wenn Sie das mit der freien Szene vergleichen, der das Wasser bis zum Hals steht … In Regensburg wurde deshalb von Kulturamt, Theater und Mittelbayerischer Zeitung ein Solidaritätsfond für die freien Künstler aufgelegt („Frei sein, und nicht allein“), der sich am Heidelberger Projekt „Solo fantastico“ orientiert.

nmz: Meiningen ist ein Haus mit großer Tradition, einer bedeutenden historischen und einer in der neueren Geschichte. Was bedeutet für Sie der Schritt an das traditionsreiche Haus? 

Neundorff: Meine Berufung nach Meiningen ist eine Rückkehr – aber unter neuen Vorzeichen, mit neuer Position und entsprechender Verantwortung, der Tradition des Hauses gerecht zu werden. 

Nach der Wende hatte mich Ulrich Burkhardt als Dramaturg für die Jahre von 1992-96 engagiert. Ein bemerkenswerter Mann. Die Zeit in Meiningen hat mich für mein Berufsleben sehr stark geprägt. In der Mielitz-Ära habe ich mir natürlich den „Ring“ angeschaut und durfte Kirill Petrenko kennenlernen.

nmz: Überregional waren die Jahre unter Res Bosshart, gemeinsam mit seinem Oberspielleiter Sebastian Baumgarten, besonders aufregend… 

Neundorff: Stimmt, sehr aufregend, auch im Spannungsverhältnis mit dem Publikum vor Ort. In Regensburg ist unser Erfolgsrezept, dass wir immer offensiv kommunizieren, bewusst Theater für eine Stadt und eine Region zu machen. Man sollte Teil der Stadtgesellschaft sein, in der man Theater spielt. Im Idealfall – in Regensburg ist das so – hält einem die Politik dafür den Rücken frei.

nmz: Warum Meiningen? Weil es ein Theater mit einer Stadt ist? 

Neundorff: Die Entscheidung für Meiningen habe ich mit klarem Verstand und einer Portion Realismus getroffen. Ich sehe vor allem die Möglichkeiten, die sich bieten und einen großen Rückhalt in der kommunalen und Landespolitik.

Das Bonmot zu Meiningen vom Theater mit der Stadt (und nicht umgekehrt) bewahrheitet sich ja immer noch! Das Meininger Staatstheater ist ein überregional wichtiger Theaterstandort in einer heterogenen Region mit Besuchern aus mehreren Bundesländern. Unter anderem diese Vielfalt an Publikum reizt mich! 

nmz: Die Zeit bis zum Amtsantritt im August 2021 ist, wenn man die Planungsvorläufe in der Oper berücksichtigt, nicht allzu lang.

Neundorff: Es ist nicht üppig, aber ich halte es durchaus für realistisch, das mit meinem Netzwerk hinzubekommen. Außerdem ist das Haus bestens aufgestellt! Alle Kollegen, die dort gearbeitet haben, waren immer begeistert, haben immer geschwärmt.

nmz: Mit welcher Programmatik dürfen die Theaterbesucher rechnen?

Neundorff: Hier in Regensburg hat sich die Programmatik im Zusammenspiel des Theaters mit der Stadt und der Region schrittweise entwickelt und herauskristallisiert. Damit sind wir gut gefahren. Mein Vorteil ist, dass ich ein Gefühl für Meiningen und die Region habe und die Menschen kenne.

nmz: Aber auch wenn sie ihr Konzept im Kontext entwickeln wollen,  wie Sie sagen, einen programmatischen Einstieg werden Sie sich ja vorgenommen haben? 

Neundorff: Ich werde meiner Linie treu bleiben, der Gegenwart eine Zukunft zu geben und mit Ausgrabungen das Ererbte neu zu befragen. Verbiegen muss ich mich da keineswegs. Ich habe schon eine Menge ausgegraben. Auch mit Uraufführungen war ich ziemlich erfolgreich. Denken Sie an „Lola rennt“ von Ludger Vollmer – das ist heute eine der meist gespielten Opern.

Für Meiningen interessiert mich besonders der sogenannte Thüringer Barock. Das wird für mich ein großes Thema werden. Ich sehe da etliche Möglichkeiten und Chancen, versunkene Schätze fürs Repertoire spielfähig zu machen.

nmz: Haben Sie mit dieser Schiene Erfahrungen, an die Sie anknüpfen können? 

Neundorff: Schon in Bonn habe ich einen Rameau-Zyklus mit unterschiedlichen Regisseuren initiiert, in Regensburg folgte Purcells „The Fairy Queen“, Händels „Saul“, eine szenische Aufführung von Bachs „Messe in h-Moll“ und in dieser Spielzeit Vivaldis höchst selten gespieltes Werk „La fida ninfa“. J.S. Bach, in Eisenach geboren, hat zwar keine Oper geschrieben, aber ein umfangreiches Werk hinterlassen, das wir szenisch befragen können. Außerdem hatte er nicht ganz unbegabte Söhne… hier gibt es noch immer viel zu entdecken.

nmz: Wie könnte ihr Barock-Schwerpunkt in Meiningen aussehen?

Neundorff: In dem Zusammenhang wird vor allem das Theater in Eisenach interessant. Das Haus könnte aufgrund der Möglichkeiten und Größe eine barocke Perle werden. Das reizt mich und war durchaus einer der Gründe, die Intendanz in Meiningen anzutreten. 

nmz: Haben Sie eigentlich den Ehrgeiz, auch selbst Regie zu führen? 

Neundorff: Nein, mit Sicherheit nicht. Ich mache keine Regie. Ich war immer Dramaturg – das wird man nicht los. Ich sehe mich viel mehr als Ermöglicher. Dabei habe ich auch einige Leute „entdeckt“. Vera Nemirova oder David Hermann z.B., der jetzt für den neuen Bayreuther Ring vorgesehene Bühnenbildner Andrea Cozzi hat sein erstes Bühnenbild in Regensburg gemacht. Oder denken Sie an Florian Lutz, der in Halle Furore gemacht hat und von da als Generalintendant nach Kassel gehen wird. Der hatte bei mir in Bonn seine ersten Regiearbeiten. Selbst bleibe ich da lieber im Hintergrund.

nmz: Sie haben doch bestimmt eine Liste mit Regisseuren für Meiningen in petto?

Neundorff: Die habe ich, aber die verrate ich hier noch nicht – sonst kommen Sie nicht zur Pressekonferenz.

nmz: Weil wir vorhin über Eisenach gesprochen haben: ich nenne mal einen, der dort schon mal was gemacht hat: Jochen Biganzoli …

Neundorff: Der würde mich natürlich interessieren. Seine Lady Macbeth in Lübeck fand ich sehr beeindruckend – und dann natürlich seine h-Moll Messe in Regensburg….Aber das sind noch ungelegte Eier.

nmz: Heutzutage ist das Marketing besonders wichtig. Da hat Ansgar Haag einiges auf die Beine gestellt…..

Neundorff: Stimmt – das Haus ist gut vermarktet. Darüber hinaus bin ich immer an neuen, neuartigen Vertriebswegen im von Gruppen und Individualpersonen interessiert, die das Theater gemeinsam mit Stadt und Region denken.

Man muss darüber hinaus auch mit den Pfunden wuchern, die da sind….Denken Sie nur an die touristische Achse zwischen Meiningen und Eisenach!

nmz: Und wie sieht es mit den Künstlern aus – wird es da einen großen Wechsel geben?

Neundorff: Das ist bei einem Intendantenwechsel, unabhängig von der gegenwärtigen, Krise immer ein Thema. Deshalb ist es immer das Bestreben, die KünstlerInnen in so vielen Produktionen wie möglich zu sehen. Die Pandemie-Situation ist nun eine besondere – es müssen andere Wege beschritten werden, um eine intensive Auseinandersetzung mit den Künstlern stattfinden zu lassen, die ein konstruktives Bild ermöglichen.

Ansgar Haag war 16 Jahre in Meiningen. Nach so langer Zeit erwartet das Publikum auch Neues. Corona macht nun einen normalen Intendanzwechsel nicht möglich. Dennoch versuche ich, mich mit einem Höchstmaß an Konzentration auf diese neue herausfordernde Aufgabe vorzubereiten.

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