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Wieland Wagner (1917–1966) Foto: Richard Wagner Museum Bayreuth
Wieland Wagner (1917–1966) Foto: Richard Wagner Museum Bayreuth
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Ethos-Pathos-Logos: Mit einem Sonderkonzert gedenken die Bayreuther Festspiele des 100. Geburtstages von Wieland Wagner

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Schon vor der mit Spannung erwarteten Neuinszenierung der „Meistersinger von Nürnberg“ begannen die Bayreuther Festspiele in diesem Jahr mit einem Vorabend im Festspielhaus. Bereits am Morgen war im Neubautrakt des Wagner Nationalmuseums eine imposante Rauminstallations-Ausstellung über Leben und Schaffen Wieland Wagners eröffnet worden, am Abend gab es im Festspielhaus mehrere Erstaufführungen.

Ein wirklich ungewöhnliches Konzert in vieler Hinsicht: Gemäß Satzung der Stiftung dürfen im Festspielhaus ausschließlich die Musikdramen Richard Wagners ab dem „Fliegenden Holländer“ erklängen, selbst Beethovens, Richard Wagner vielfältig verbundene und daher zu besonderen Anlässen zwischen 1951 und 1963 bisweilen auf der Bühne erklungene Neunte, darf dort inzwischen nicht mehr zur Aufführung gelangen. Zum 100. Geburtstag des im Jahre 1966 mit 49 Jahren verstorbenen Festspielleiters Wieland Wagner wurde eine ganz große Ausnahme gestattet: der Festakt mit drei Ansprachen zwischen vier musikalischen Blöcken, umriss Leben und Schaffen des Revolutionärs der Szene. 

Der hatte 1957 in Stuttgart, seinem so genannten „Winter-Bayreuth“ als Probe- und Experimentierbühne für seine künftigen Bayreuther Inszenierungen, auch eine eigene Fassung des „Rienzi“ realisiert und plante die von Cosima für noch nicht bayreuthwürdig erklärte Oper, den jungen Richard Wagner auch ins Festspielprogramm zu integrieren. Daraus wurde nichts, und so erlebte die Ouvertüre zu „Rienzi, der letzte der Tribunen“, beim Wieland Wagner Gedenkkonzert mit dem Festspielorchester unter Hartmut Haenchen an dieser Stätte ihre späte, durchaus imposante Erstaufführung.

Dahinter jene Karfreitags-Aue, die in Wieland Wagners längstgespielter Inszenierung des „Parsifal“ im dritten Aufzug als Rundhorizont als Zusammenspiel von Struktur und Licht zu erleben war: eine nun zwar nicht mehr gerundete, flach auf Operafolie projizierte Arbeit Wieland Wagners. Mit spezifischem Pinselstrich stellt diese Mischtechnik auf Karton das enorme malerische Können des Regisseurs unter Beweis. In jener Ausstellung, die am Vormittag in Haus Wahnfried eröffnet worden war, sind auch einige seiner fotografischen Arbeiten zu erleben, kontrastreich und mit starker Räumlichkeit.

Festspielleiterin Katharina Wagner betonte in ihrer Begrüßungsansprache die reibungslose Zusammenarbeit mit den Kindern Wieland Wagners für dieses Festakt und formulierte, was sie selbst von ihrem Onkel, der 22 Jahre vor ihrer Geburt gestorben war,  aus Anekdoten und Erzählungen wusste, insbesondere aber die immensen Eindrücke von dessen starken Bühnenräumen, deren Außergewöhnlichkeit selbst auf Schwarz-Weiß-Fotos vermittelt wird.

Da Wieland Wagner nicht nur Bühnenwerke seines Großvaters szenisch neu gedeutet hatte, spannte auch das Konzert auf der Bühne des Festspielhauses den Bogen zu anderen Stücken des Musiktheaters, die Wieland Wagner inszeniert hat, so in seinem letzten Lebensjahr beide Opern von Alban Berg.
Stilistische Nähe in der Orchesterbehandlung Alban Bergs zu Richard Wagner – gewachsen über die Beschäftigung mit Franz Schrekers Oper „Der ferne Klang“, zu welcher Berg den Klavier Auszug gefertigt hatte – wurde deutlich in den drei Bruchstücken aus der Oper „Wozzeck“ für Sopran, Orchester und Kinderchor ad libitum op. 7. Das Festspielorchester, sonst selten sichtbar positioniert, füllt als Klangkörper mit zwanzg ersten Violinen den gesamten Hauptbühnenraum und verblüfft mit schwebenden Piani.

Solistin Claudia Mahnke deckt nicht nur die gebotene Interpretationsbreite von dem in der romantischen Tradition verwurzelten Bibel-Zitat zu Maries sinnlichen Soldaten-Erlebnissen, sondern gestaltet auch – da es nicht mehr, wie in den frühen Jahren von Wieland Wagners Festspielleitung einen Knabenchor gibt –das abschließende „Hopp-Hopp“ ihres Knaben. Dazu stellt sich im Kopf das Rezensenten das Bild der Inszenierung Wieland Wagners ein, der diese Oper in Frankfurt realisiert hat, mit Maries verwaistem Kind inmitten von vier übervollen Mülltonnen – einem genialischen Bogenschlag zur Welt des absurden Theater von Samuel Beckett.

In einer sehr umfangreichen Festansprache verwies Sir Peter Jonas auf Richard Wagners frühe Bewunderung für Bellini und verglich den von ihm als Verbrecher gezeichneten John F. Kennedy mit dem fünf Monate älteren Wieland Wagner. Klug umriss Jonas psychologische Aspekte, die Zwänge des jungen Wieland Wagner und seine Angst, wie sein Vater gebrandmarkt und zwangsvergessen zu werden. Dem Hochgefühl des Siebzehnjährigen, dem Reichskanzler durch die Beziehung seiner Mutter persönlich nahe zu stehen, folgte – so Jonas’ Hypothese – Wieland Wagners Umschwenken, als er in der von ihm als Außenstelle des KZ Flossenbürg geleiteten Versuchsanstalt in persönlichem Kontakt mit Zwangsarbeitern gestanden habe. Vermutlich habe er so Informationen über das Terrorregime erhalten, die seinen radikalen Bruch mit der Vergangenheit, über die er später nie mehr gesprochen hat, auszulösen im Stande waren. Mit der Definition von Ethos-Pathos-Logos zeichnete Jonas Wieland Wagner als einen idealen, inspirierenden Leiter. Zugleich verwies der Festredner auf andere Persönlichkeiten der Kunstgeschichte, die – wie Gesualdo – Verbrecher waren und doch, dank ihrer künstlerischen Taten, die Welt positiv vorangetrieben hätten.

Ebenfalls im Jahr vor seinem Tod hatte Wieland Wagner in Frankfurt Verdis „Otello“ inszeniert. Daraus waren nun die Szene zwischen Desdemona und Emilia, Desdemonas Gebet und ihre Ermordung durch den eifersüchtigen Otello aus dem vierten Akt zu erleben, von Camilla Nylund, Christa Mayer und Steffen Gould trefflich gesungen und halbszenisch dargeboten, mit dem aus dem Schatten tretenden Otello und der aus dem Off klopfenden und singenden Emilia.

Auch die Ansprache des Sohnes von Wieland Wagner hatte eine szenische Komponente: an der Rampe suchte er nach dem Geist seines Vaters („Irgendwo hier muss er noch sein, sein Geist…“). Auch Wolf-Siegfried Wagner  – wie sein Vater zunächst Regisseur und heute erfolgreicher Bauunternehmer auf Mallorca – bestätigte den Ausspruch seines Vaters ihm gegenüber, er hasse sich selbst. Dabei reflektierte er den Wandel von familiär-zeitbezogenem Empfinden und Hinwendung zum Griechentum in dessen Namensgebungen für seinen Sohn und die beiden nachfolgenden Töchter Nike und Daphne. Am Ende, wie am Anfang, dann ein tastendes Suchen und die aus „Parsifal“ abgewandelte Frage, „Katharina, bist du am Amt?“ 

Diese leitete über zum letzten Programmpunkt, dem Vorspiel und der Verwandlungsmusik aus dem ersten Aufzug „Parsifal“. Jene Partitur, die Richard Wagner explizit mit den Erfahrungen des „Ring“ im Bayreuther verdeckten Orchester komponiert hatte, klingt auf der Bühne des Festspielhauses auch nicht transparenter als im Graben, zumal die Mischklangtechnik aus der Bühnenpraxis unmittelbar in die Komposition eingeflossen ist. Aber doch sind diese Klänge auf der Bühne luzider, breiter gefächert. Als eine Besonderheit war – vermutlich erstmals seit der Uraufführung, die Verwandlungsmusik mit den zusätzlichen vier Takten von Engelbert Humperdinck zu erleben, jener Einfügung im Auftrag Wagners um eine Wiederholungsschlaufe zu schaffen, erforderlich durch die technisch längere Dauer der Wandeldekoration. Auch wenn Wieland Wagner optisch auf diese Verwandlung verzichtet, lieber den Vorhang geschlossen und die Konzentration auf die Musik gelenkt hatte, war diese Darbietung, am Ende des zweieinhalbstündigen, pausenlosen  Abends, eine Besonderheit für die ausschließlich geladenen Gäste. Berechtigt viel Applaus für die Vortragsredner, die Solisten und das exquisit disponierte Festspielorchester unter dem in den verschiedenen Musikstilen voll überzeugenden Hartmut Haenchen. 

Von der ursprünglichen Absicht, auch Carl Orff in diesem Programm zu berücksichtigen, wurde abgesehen – denn dann hätten auch Strauss, Bizet und Beethoven nicht fehlen dürfen und insbesondere Siegfried Wagner, dessen Werke in den frühen Jahren Wieland Wagners den Schwerpunkt seines Schaffens als Bühnenbildner, Kostümausstatter und Regisseur bedeuteten. Diesen Aspekt wird jedoch eine Ausstellung in der Bayreuther Stadtbibliothek RW21 fokussieren, mit farbigen Bild- und Text-Dokumenten und bei der Vernissage auch mit Ausschnitten aus drei Opern von Siegfried Wagner.

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